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Johannes Themelis
PROLOG IM HIMMEL

Der noch unveröffentlichte Roman „Trash – Eine Bibel für Agnostiker” beginnt mit der folgenden Sequenz, die zum Ausgangspunkt verschiedenster Diskussionen aus den Spannungsfeldern “glauben oder nicht glauben” sowie “Glaube und Lebensrealität der Gläubigen” wird.

Und im Himmel – einem nach manchen Aufzeichnungen weiten, nach anderen wieder engen Ort, an den die Menschheit ihre Vorstellungen von einer anderen Welt mehr oder weniger konkret projizierte – bestand seit urdenklichen Zeiten jene Rivalität zwischen den einzelnen Göttern, Gottheiten und Dämonen, sprich eine niemals endende Diskussion darüber, wer gerade höher im Kurs stand als der andere: Zeus und Wotan und all jene, die einmal machtvoll geherrscht hatten, nun aber nur noch schattenhaft umherschlichen, gönnten dem Dreifaltigen (der in ihren Augen mit einem unlauteren Schwenk vom sogenannten Alten zum Neuen Testament seine Regentschaft über Gebühr ausgedehnt hatte) von Herzen sein aktuelles Verblassen in einem säkularisierten Abendland, in dem ihm der ideologische Boden vielfach entzogen war. Allerdings hielt ihnen dieser quasi prolongierte Jahwe, dem wahrhaftig mit der Einbeziehung eines Sohnes und eines Heiligen Geistes ein genialer Schachzug gelungen war, höhnisch entgegen, dass nicht sie – die anderen alten Numina – als Nutznießer seiner Schwäche gelten konnten. Nein, jener Allah sei es, der auf der Erde mit atemberaubendem Tempo Geländegewinne erziele und damit auch hier drüben immer mehr Raum beanspruche – ein relativ junger Allmächtiger, nahezu unangreifbar in seiner hermetischen Unität: Von Anfang an hatte er mit einfachen, von gewissen lyrischen Elementen geprägten Aussagen gearbeitet, die – speziell wenn sie mit rhythmisch wogenden Körpern ständig wiederholt wurden – schlechthin nicht mehr zu hinterfragen waren. Niederschreiben ließ er diese Sätze von einem Typen, der zunächst herkömmlichen Rauschmitteln nicht abgeneigt war, diesen aber später völlig entsagte und sich nur noch seiner psychischen Ekstase hingab. Seine Anhänger folgten ihm hierin bereitwillig – am Ende sahen sie ihn sogar auf einem weißen Pferd geradewegs in die Wolken reiten…

Die mannigfachen erlauchten Figuren ringsum lächelten ein wenig mitleidig über dieses Bild, hatten sie doch alle ihre eigenen Metaphern und hielten diese für die einzig zutreffenden. Da wieder begehrte Allah auf, denn es störte ihn ja bereits grundsätzlich, dass er den Himmel, anders als er es sich vorgestellt hatte, mit anderen teilen musste. Wenn er aber schon die Anwesenheit so vieler abgehalfterter Kolleginnen und Kollegen zu ertragen hatte, dann sollten diese ihn wenigstens als ihre eigene Fortführung und Weiterentwicklung begreifen lernen! Nicht nur dass er ganz allgemein auf das seit Jahrtausenden bestehende Bedürfnis nach Religion aufbaute und dabei ohne weiteres akzeptierte, dass dieses Terrain von den früheren Heiligkeiten lange vor seiner Zeit aufbereitet worden war, hatte er sich sogar ganz bewusst in die Tradition älterer Erscheinungsformen dieses Phänomens gestellt, insbesondere jener der jüdisch-christlichen Varianten – aber doch nicht, um diesen ein neues Renommee zu verschaffen, sondern um ihnen zu zeigen, dass er sie überwand und vollendete. Sie sollten begreifen, dass er es den Andersgläubigen damit nur leichter machen wollte, sich auf seine Seite zu schlagen, damit seine Anbeterschar sich mehrte und zuletzt die ganze Menschheit umfasste. Aus demselben Grund hatte er seinen Gefolgsleuten auch die Lizenz erteilt, mit Feuer und Schwert vorzugehen, denn man musste wohl annehmen, dass in vielen Fällen nichts zu machen war ohne ein bestimmtes Maß an – Grausamkeit.

Und er wünsche geflissentlich, so führte er – einmal richtig in Fahrt geraten – aus, in diesem Punkt nicht kritisiert zu werden: „Ich darf nur an die Kreuzzüge erinnern, bei denen fromme Ritter gestochen, geköpft, gepfählt und vergewaltigt haben!?, rief er heftig gestikulierend in die Menge, in der sich bis jetzt noch gar kein Widerspruch geregt hatte, denn alle waren der uralten, immer gleichen Debatten gründlich überdrüssig.

Plötzlich trat hinter den Massen asiatisch aussehender Himmelsbewohner ein unscheinbarer Mann hervor, der schon durch seinen einfachen grauen Business-Anzug in all dieser Buntheit Aufsehen erregte. „Sie gestatten, dass ich mich legitimiere!?, bemerkte er schlicht. „Ich vertrete hier Millionen von Menschen, die Sie als Atheisten abzutun belieben oder sogar als Ungläubige zu verleumden pflegen, die aber nichts weiter sind, als Leute, die das, was Sie zu sehen verlangen, nicht sehen können (und es sei mir der Zusatz gestattet: weil da objektiv auch gar nichts zu sehen ist!). Und ich vertrete darüber hinaus weite Kreise, die nur allzu gerne etwas Überirdisches sehen würden – allein, die irdischen Organisationen der diversen Heiligkeiten desavouieren derlei Wünsche durch die anmaßenden Gedanken, Worte und Werke ihrer Funktionäre, was dieser Sorte hinter mir stehender Skeptiker Begründung genug ist für ihre Zweifel!?

Eine verhutzelte Naturgottheit – sie fühlte sich offenbar aufgrund ihres beträchtlichen Dienstalters dazu berufen – machte sich bemerkbar: „Was haben Sie denn überhaupt hier zu suchen?”, lautete die recht unfreundliche Frage. – „Verzeihen Sie, wenn das Folgende für Sie etwas überheblich klingt!”, war die Antwort: „Ich bin graduiert in Ontologie, wissenschaftlicher Theologie, Psychologie und Kosmologie und fühle mich deshalb schon einigermaßen berufen, diesen metaphysischen Ort mit Ihnen allen zu teilen. Dieser beherbergt schließlich sogar die menschlichen Projektionen des Bösen, also die zahllosen und unterschiedlichsten Teufel mit Satan höchstselbst an ihrer Spitze (übrigens, meinen Respekt, Eure Exzellenz, Sie sind ein amüsanter Gesprächspartner und somit gut erfunden!). Unter diesen Umständen wird es doch wohl möglich sein, auch die Projektionen des Nichts, ob es sich nun als das nicht Vorhandene oder als das nicht Beweisbare manifestiert, hier anzusiedeln!?

„Blasphemie!”, bellte die Naturgottheit mit eingerosteter Stimme.

„Bleiben wir doch bei den Tatsachen, Euer Ehrwürden!”, replizierte der Bevollmächtigte der Nichtglaubenden. „Selbst in Ihrer Steinzeithorde wird es den einen oder anderen gegeben haben, der sich darüber wunderte, dass er die Strapazen und Gefahren der Jagd auf sich nehmen musste, während der Schamane zu Hause in der Höhle bei den Frauen blieb und dennoch die besten Beutestücke für sich beanspruchte! Was könnten Sie ihm entgegenhalten?”

„Dass er gesegnet hinausging in die feindliche Umwelt, dass er sich kraft des Fetischs, den ihm der Geistliche mitgab, geborgen fühlen konnte in meiner unsichtbaren Hand!”

„Hier aber begannen die religiösen Schwierigkeiten unseres prähistorischen Agnostikers erst so richtig: denn bei ausnahmslos jedem Aufbruch rezitierte Ihr Priester seinen Weihespruch, aber der Erfolg des Unternehmens stellte sich deshalb nicht immer zuverlässig ein. Mehr noch – der eine oder andere der Gesegneten kehrte von solchen Ausflügen niemals wieder…”

„Der Glaube hat immer Recht!”, versetzte das Wesen schroff, um dann triumphierend und – hoffen wir einmal – mit unfreiwilligem Zynismus hinzuzufügen: „Wenn einer ins Gras beißt, bedarf es des Schamanen, um die Witwe zu trösten!”

An dieser Stelle begehrte Allah massiv auf. Das Ganze hier dauerte ihm schon viel zu lange, war ihm weitaus zu differenziert – und vor allem: es ging dabei nach seiner Wahrnehmung nicht um ihn! Die große Mehrheit der Anwesenden begriff aber sehr wohl, dass es um sie alle ging, um die Auseinandersetzung aller mit der Position des grauen Unscheinbaren. Eine wunderschöne Göttin aus dem vorislamischen Zweistromland (ihr Name war auf Erden längst in Vergessenheit geraten) gebot mit einem betörenden Lächeln dem Stifter des Koran zu schweigen, und siehe da, dieser gehorchte völlig überrumpelt: Er persönlich besaß nämlich, anders als seine sterblichen Jünger, keine Strategie gegenüber Frauen, die sich eigenes Denken und eigene Entscheidungen herausnahmen.

Und so konnte der Vertreter der Religionskritiker ungestört auf einen wesentlichen Punkt seiner Argumentation kommen: „Ich sehe hier ausschließlich jenseitige Gestalten, die von unserer spezifischen Menschheit hervorgebracht wurden, aber niemanden, der von außerirdischen Zivilisationen verehrt respektive gefürchtet würde!”

Eine Schockwelle ging durch den Himmel. Nicht nur dass sie über alles begnadet waren, wurde hier geleugnet, sondern jetzt auch noch ihre Universalität: Sie, die sich als oberste Exponenten des gesamten Kosmos verstanden, sollten – wenn man sie überhaupt noch akzeptierte – bestenfalls für diesen mickrigen Planeten zuständig sein!