UNENDLICHE WEITEN – Leseprobe 3
Neunter Abschnitt
Der Admiral und seine Frau Symphorosa reisten ab – in die neue Heimat auf TERRA II. Die „Erbin der Obersten Gebieterin“ war neugierig und zugleich ein bisschen ängstlich, was sie erwarten würde. Kurylenko und sie nahmen den Umweg über TERRA I, damit er ihr zeigen konnte, was das ursprüngliche Vaterland der Menschheit war – und wie das Schicksal es vernichtet hatte, durch eigene und durch Fremdeinwirkung. Vielleicht würde sie es besser verstehen, wie ihnen zumute gewesen war. Er hatte die Absicht, sie nachvollziehen zu lassen, in welch paradiesische Zustände die Erdbevölkerung (oder das, was von ihr übrig war) geraten war. Und war es auch – Symphorosa galoppierte auf und ab, sie fühlte sich von Anfang an wie zu Hause. Sie trug ein leichtes Gewand und der Admiral (in Uniform) ließ seine Augen nicht von ihr. Er stellte ihr eine (natürlich menschliche) Zofe zur Verfügung, das war er ihrem Rang entsprechend schuldig – nach ein paar Anfangsschwierigkeiten klappte auch das.
Ψ und Pak Sang-Ook vergnügten sich in aller Ruhe. Ψ hatte wiederum „ihre“ humane Gestalt angenommen, und verwöhnte Pak mit einigen Tricks, sodass lustvoll aufschrie. Sergeant Ositanachi („Frag‘ einen Sergeant!“) bastelte weiter insgeheim an seinem neuentwickelten Raketenabwehrsystem, von dem allerdings niemand wusste. Und auch die übrigen Besatzungsmitglieder hatten sich eine kleine Pause. ε-Avior kreiste jetzt an Stelle von β-Miaplacidus um TERRA II – man konnte nicht wissen, ob es eine der fünfunddreißig anderen Zivilisationen geschafft haben würde, TERRA II und die übrigen bekannten Zivilisationen zu bedrohen, die Hominiden, die Schleimis, die Wasserwesen und neuerdings auch die Sacsayhuamán-Kultur, die Heimat von Symphorosa.
Der eigentliche Kapitän des Flaggschiffes α-Canopus, Juan Pablo Garcia Aspe, ging das erste Mal seit ihrer ersten Ankunft in‘s Freie, in den Sonnenschein, was für ihn (nach allem, was seither passiert war) ein Erlebnis war. Er genoss die frische Atmosphäre, er vollführte – sowie er sich unbeobachtet fühlte – sogar einen Luftsprung. Er spazierte querfeldein, bis er in einen Wald kam, wo noch kein Mensch gewesen war, und machte folgende Entdeckung: Ein riesiger kubischer Stein, der sich in den Himmel hob!
Was mochte das sein? War das gefährlich? Aspe beschloss, den Admiral unverzüglich zu informieren. Das war gar nicht so einfach, denn Kurylenko hatte sich mit seiner Frau zu einem Schäferstündchen zurückgezogen. Aber der Kapitän hat begehrte sofort zu ihm vorgelassen zu werden – was er da sah, trieb wie ihm die Schamröte in‘s Gesicht. Der Admiral und seine Frau machten ungeniert weiter in ihrem Liebesspiel. Jetzt hatte Aspe bei der Vorstellung Symphorosas sie schon kennengelernt – aber angezogen, während sie sich komplett bei der Gelegenheit nackig zeigte.
„Was gibt‘s denn?“, fragte Kurylenko leutselig und vollkommen entspannt. „Ich habe die Plicht von einem eigenartigen Phänomen zu berichten. Das müssen Sie sich selbst ansehen!“, antwortete Aspe.
„Das können Sie mir nicht erklären, ohne dass ich aufstehe.“, insistierte der Admiral. Der Kapitän: „Bedaure!“ Kurylenko erhob sich seufzend und zog sich an: „Dann wollen wir mal!“ Die Karawane setzte sich in Bewegung, das heißt, so groß war der Zug auf auch wieder nicht – der Admiral vorneweg, dann der Kapitän sowie Pak Sang-Ook und Sergeant Ositanachi.
Dann bestaunten sie den Würfel.
Zehnter Abschnitt
Der Würfel war mausgrau und eigentlich unansehnlich. Bis auf der Seite ein Lämpchen leuchtete, das rasch größer wurde – am Ende wurde der ganze Würfel davon erfasst. Eine metallische Stimme war zu hören: „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“
„Eine Endlosschleife!“, sagte Sergeant Ositanachi, „Nicht weiter gefährlich!“ Er sollte behalten, wenngleich er einräumen musste, dass dies nicht immer gewesen sein dürfte.
„Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des To – -“. Die Stimme erstarb.
Der Admiral und die Übrigen waren ratlos – bis auf Ositanachi. Er machte sich auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Dass er dabei den Würfel empfindlich beschädigen musste, nahm er in Kauf. Kurylenko hielt ihn nicht auf, ja er forderte Ositanachi geradezu auf, keinerlei Rücksicht zu nehmen. Dann empfahl er sich mitsamt seiner Entourage. Der Sergeant blieb allein zurück – er wandte zunächst die Radiocarbon-Methode C-14 an, mit der Hilfe er das Alter des Würfels genau bestimmen konnte. Dabei stellte er fest, dass das Objekt mindestens 1000 Jahre alt sein musste. Ein Wunder, dass der Mechanismus so lange ausgehalten und just in dem Moment eingegangen war, als die Delegation vor Ort war.
Als Nächstes nahm Ositanachi sich den Würfel an sich vor, was gar einfach war – er musste Brachialgewalt anwenden und den Kubus nahezu zerstören. Er hatte einen Gesichtsschutz angelegt, dazu eine Schürze und Handschuhe. In den Trümmern fand sich – nichts. Nichts, außer einer Vorrichtung zur Bandaufnahme – ein Fake, das nur als Abschreckung diente.
Sergeant Ositanachi erstattete – kaum dass er wieder zurück war – Bericht. Er beschönigte nichts. Symphorosa bekam einen Lachkrampf (bei ihr klang es wie Wiehern), obwohl sie nicht direkt Ositanachi angesprochen worden war, sondern der Admiral und seine engsten Mitarbeiter. Ositanachi war über die Massen pikiert, aber das ging vorbei. Es war ihm zuletzt gleichgültig.
Symphorosa war gelangweilt, sie flötete: „Schatz, wir sollten in‘s Bett miteinander gehen!“ Und das sagte sie ganz ungeniert vor allen Anwesenden, in der unverblümten Art, wie sie es gewöhnt war – denn der Pferdeplanet erlaubte es den noch jungfräulichen Stuten nicht, dass in der anzüglichen Konduite mit ihnen gesprochen wurde, aber sowie sie einen Deckpartner hatten, sprich verheiratet waren, ein lockerer Ton vorherrschte. Der Admiral, der sich daran gewöhnt hatte, nahm es locker. „Na, und ob!“, antwortete er. Er freute sich riesig darauf, sie zu befriedigen – nicht zuletzt, weil auch er befriedigt war.
Elfter Abschnitt
Sergeant Ositanachi war nicht zufrieden – er stahl sich in der Dunkelheit noch einmal zu dem ruinierten Würfel, und siehe da, bei Nacht leuchteten die Überreste magisch auf. Es war gut, dass er in der Finsternis ein weiteres Mal nachgeschaut hatte. Da war lediglich ein Hindernis, er hatte persönlich den Kubus zerstört. Nun war guter Rat teuer!
Wie durch ein Wunder setzte sich der Würfel wieder zusammen – hier war die Physik, zumindest im landläufigen Sinne, scheinbar außer Kraft gesetzt. Ositanachi unternahm nichts, konnte nichts unternehmen: Der Körper entstand selbsttätig, da musste beziehungsweise konnte er gar nicht einschreiten. Dabei bedauerte er nur, dass er nicht mit mehr Sorgfalt vorgegangen war, aber der Admiral höchstpersönlich hatte ihm freie Hand gegeben. Und jetzt musste er zusehen wie der Kubus sich entwickelte, ohne dass er irgendetwas tat. Und da war die Stimme wieder: „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – „Eindringlinge, das wird euch noch leid tun! Wer sich an mir vergreift, ist des Todes!“ – und so fort…
Ositanachi Wurde halb wahnsinnig – da waren wir schon, das Ganze war eine Endlosschleife, nicht nur der Text der Nachricht!
Der Sergeant musste kühlen Kopf bewahren. Wahnsinn half ihm da nicht weiter. Er fasste sich und überlegte: Was sind die Fakten?
1. Die Kultur ist längst ausgestorben.
2. Der Stein ist ein Überbleibsel längst vergangener Herrlichkeiten.
3. Von Gefahr kann keine Rede sein.
„Da steh‘ ich nun, ich armer Tor. Und bin so klug als wie zuvor!“, zitierte Ositanachi „Faust“ (da konnte man sehen, wie gebildet er war). Allein das half ihm auch nicht weiter, diese klassische Bildung, gepaart mit einigen praktischen Tricks. Da kam ihm eine Idee – warum nicht den Untergrund des Würfels bearbeiten. Er grub und grub, bis er vor eine Tür stand (eigentlich konnte man eher von einen Tor sprechen), hinter der/dem sich riesige Hallen auftaten.
Der Sergeant trat mit einem gewissen Gefühl der Ehrfurcht diese Räumlichkeiten!
Er überwand sich und ging durch diese Hallen, die blankgeputzt und mit Leuchten versehen waren. Und er spazierte Raum für Raum ab, ohne dass ein Ende in Sicht war. Er drang immer weiter vor. Und dann die Räumlichkeiten mit den geheimnisvollen Maschinen, die zu welch auch immer gearteten Zweck dienten. Er würde Monate vielleicht Jahre damit verbringen, das zu katalogisieren.
In einem der Räume war schließlich ein Standbild erkennbar, auf dem eine nackte Frau und ein nackter Mann zu sehen waren.
Zwölfter Abschnitt
Reglos waren sie – bis der Sergeant erkannte, dass es sich bei den Skulpturen nicht um normale Steinbilder handelte, sondern um durch künstliches Intelligenz geschaffene Darstellungen (Ositanachi war sofort klar, um was es sich handelte).
Bis Leben in die Gruppe kam. Sie umarmten sich inniglich, legten sogleich einen irren Fick hin, der sich gewaschen hatte. Dabei war Folgendes zu beobachten (für das ungeübte Auge nicht sichtbar): Die mechanischen Bewegungen waren wie einstudiert und irgendwie gekünstelt. Die Partnerin – wie sonst sollte man sie nennen – sagte: „Fremdling – er beobachtet uns bei unserem Liebesspiel! Da musst Du etwas dagegen unternehmen!“. Der Partner – wie sonst sollte man ihn nennen – antwortete: „Völlig harmlos, der Bursche! Beachte ihn gar nicht!“
„Wie soll ich nicht beachten? Er irritiert mich bei der ‚Sache‘!“, setzte sie noch eins drauf. Der Partner war genervt: „Was stehen Sie herum! Sie wird durch Ihre Anwesenheit bei der ‚Sache’ irritiert! Hier ist nichts zu sehen – gehen Sie bitte weiter!“ Ositanachi beherzigte die Rat des Partners nicht – zu fasziniert war er vom Gebotenen. Da überwanden die Beiden sich erneut, um einen Geschlechtsverkehr zu zeigen.
„Und haben Sie nun genug gesehen? Oder müssen wir es noch einmal treiben – das Potenzial haben wir, wir könnten ewig so weitermachen!“, sagte die Partnerin. Der Sergeant gab keine Antwort, und so gab es noch ein Dacapo und ein weiteres Dacapo und noch eins. Ositanachi konnte nicht genug bekommen, so erregend war die Vorstellung, dass es erneut ein Dacapo gab. Und er hatte eine andere Idee: „Was wäre, wenn ich einmal mit Ihrer Partnerin Sex hätte, würde Ihnen das etwas ausmachen?“, sagte er. Darauf die Partnerin: „Warum fragst Du mich nicht direkt?“ Und er fragte.
„Ich habe an sich nichts dagegen, wenn ich‘s einmal mit einem Anderen versuche – nur will ich gefragt werden!“, insistierte sie. Und Ositanachi fragte abermals. Der Sergeant zog sich ungeniert aus. Die Partnerin war am Ende einverstanden und sie schliefen miteinander, sowie er Sex noch nie erlebt hatte. „Und nicht sicher Du!“, sagte die Partnerin zu ihrem Partner. „Jetzt treibt es Ihr miteinander – in einer homoerotischen Beziehung!“ Die Lüsternheit war der Partnerin anzusehen. Die physische Kraft ging beim Sergeant rasch zu Ende, zwei- bis dreimal reichte es aus, dann musste er sich regenerieren. Die Partnerin und der Partner machten es noch sechs Mal, nur um zu zeigen, dass sie ohne Unterlass Sex haben konnten.
Sergeant Ositanachi trat den Rückweg an – durch die Hallen mit den Maschinen und durch leere Hallen, bis er beim Würfel gelandet war. Er nahm sich vor, nichts davon jemals wieder zu erzählen. Die Insubordination, die erste in seinem Leben, erheiterte ihn sogar – das Wiehern Symphorosas klang ihn noch im Ohr, das hatte der „Dame“ insgeheim nie verziehen. „Insubordination, Insubordination, Insubordination!“, trällerte er fröhlich.
Er verließ die Stätte genauso wie er sie zunächst angetroffen hatte.