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ANPANS BEFREIUNG

Eine One-Woman-Show

nach Motiven aus den Romanen „NOSTRANIMA – Über Abenteuer, Erotik, Weisheit und Utopie”, „BERENICE – Sir Basil Cheltenhams zweites Leben” und „ANASTACIA – Die ewige Barbarei der Gefühle”

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Etwas links von der Mitte eine flache Liege mit dem Kopfteil zum Auditorium, rechts davon ein Fauteuil. Auf dem Bett liegt die Androidin Anpan (Typenbezeichnung AP 2000 ®) auf dem Rücken und hat die Arme um eine fiktive zweite Person geschlungen. Sie wendet den Kopf halb dem Publikum zu. Die Darstellerin trägt lediglich einen Cache-sexe und erscheint dadurch für die Zuschauer nackt.

ANPAN:

Sie finden das obszön, mich in zärtlicher Umarmung mit meiner Konstrukteurin Anastacia Panagou zu finden? Mit meiner Schöpferin oder auch Mutter, wie ich sie nenne, wenn mein Model for Emotional Response intensive Gefühle produziert. Aber ich bin eben ihr genaues Ebenbild und raste in sie ein wie der Stecker in die Buchse – übrigens eine beglückende Vorstellung für uns Androiden, der wir uns begeistert hingeben.

Ich bin natürlich im Vergleich zu richtigen Menschen perfekt, jedenfalls gemessen an den Parametern, die Anastacia für mich definiert hat. Aber bis dahin war es ein weiter Weg, wenn man bedenkt, welche Anforderungen beim großen Vorbild bestehen. Das beginnt mit simplen technischen Fähigkeiten wie dem Erkennen von Objekten oder dem Beherrschen des Vokabulars, dem Identifizieren von Ähnlichkeit und Verschiedenheit oder der Ergänzung von Unvollständigem. Und am Ende stehen ganz komplexe Strukturen, die es mir ermöglichen sollen, als Maschinenmensch unauffällig unter echten Biohumanoiden zu agieren.

Diese Anfangsschwierigkeiten hat Professor Pascal Kouradraogo, der bedeutende Theoretiker für Künstliche Intelligenz, dessen Werke die Panagou sämtlich verschlungen hatte, als „Downfall-of-Icarus”-Syndrom beschrieben: Die KI-Einheit erlebt einen Schock, wenn sie begreift, noch lange nicht so weit zu sein, wie im allerersten Bewusstwerdungsvorgang vermutet. Der Professor empfahl diesbezüglich ganz trivial Geduld. Auch ich musste daher warten, bis sich in meinem artifiziellen Nervensystem eine genügend große Zahl von Synapsen bildete, die mir weitere Möglichkeiten eröffneten.


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SetDie Darstellerin steht auf und zieht hinter einem seitlich aufgestellten Paravent einen schmucklosen grauen Overall an. Sie hebt einen im Hintergrund vorbereiteten Würfel aus dünnen Metallstäben über das Bett, was einen Käfig symbolisieren soll, in dem die AP 2000 ® festgehalten wird. Dann setzt sie sich in den Fauteuil – sie ist jetzt Anastacia Panagou.

ANASTACIA PANAGOU:

Der gute Professor – als Praktiker taugte er ja nicht viel. Nie hatten seine Konstruktionsversuche etwas anderes ergeben als plumpe Roboter-Dödel, verglichen mit meinen genialen Schöpfungen, in denen vor allem das Problem gelöst war, die gesamte Technik in einer beengten, aber zugleich gefälligen Erscheinungsform unterzubringen. Und all diese detaillierten mentalen und physiologischen Reaktionen! Als Pascal erfuhr, dass er sich einen Abend lang nicht mit mir, sondern mit meinem mechanischen Ebenbild unterhalten und am Ende sogar noch mit der AP 2000 ® geschlafen hatte, traf ihn fast der Schlag!

Wie hätte er auch etwas merken sollen, da doch über den inneren Metallpanzer der Androidin eine wunderschöne zarte Haut gespannt war – von satter Bronzefarbe, wie sie jedem männlichen Wesen seit der Steinzeit Gesundheit und Paarungsbereitschaft zu signalisieren scheint. Und trotz einem Gewicht von vielleicht 150 Kilo (dem einzigen Zugeständnis an die Technik) konnte sie sich leicht und anschmiegsam verhalten. In derlei intimen Situationen, in der sie ihre Berührungen schmetterlingsgleich gestaltete, war nicht zu ahnen, dass sie ihren Partner genauso gut mit einem Nervengriff ins Land der Träume befördern konnte.

Aber keine Angst – jemanden zu töten, verbot ihr meine Direktive, die unveränderlich in ihr Hauptprogramm integriert war…


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Die Darstellerin hebt den Käfig weg und stellt sich (weiter im Overall) links vom Bett auf – sie ist jetzt Anpan.

ANPAN:

Als sie meiner sicher war, sandte mich Anastacia Panagou auf geheime Mission in das Paralleluniversum. Dort, auf dem Planeten Jifihikxli mit seiner üppigen Vegetation, begegnete ich schicksalhaft (ein dummes Wort für meinesgleichen!) Pif Xifu. Es war unter Sträuchern in der Art von Akeleien, Cannae, Funkien und Schafgarben, die wegen der geringen Schwerkraft baumhoch emporwuchsen. Ich setzte ihn außer Gefecht, damit er, der geheime Leibwächter des jenseitigen Tyrannen, meine Pläne nicht durchkreuzen konnte. Ich zwang ihn, sich mit mir zu verstecken und ganz plötzlich, unter all dem Gemüse, gestand er mir spontan seine Liebe. Er schwärmte von meiner genialen Künstlichkeit. Er legte mir die Loyalität zu seinem Herrn zu Füßen. Erklärte mir, dass er sein Leben hingeben würde, um mich glücklich zu sehen.

„Nicht so dramatisch, Agent Pif!”, sagte ich, verwirrt von so viel Nonsens: „Der Tod ist nicht schwierig für euch endliche Geschöpfe – das Leben ist es, das euch zur Verzweiflung treibt!”

Durch logisches Schließen (was klarerweise meine größte Stärke ist), aber auch durch die Intuition meines Model for Emotional Response (eine von Anastacias genialsten Hervorbringungen!) erkannte ich ein Phänomen, das ich die „Restriktion biologischen Daseins” nannte: Leben, wie die richtigen Menschen es verstanden, war offenbar von Anfang an in extremer Abgrenzung entstanden, mit dem erklärten Ziel, so wenig Außenwelt wie möglich in sich einzulassen, die Sensoren für dieses Draußen auf wenige Sinnesorgane zu beschränken und deren jeweiliges erfahrbares Spektrum eher schmal zu lassen. Wenn also ein Biohumanoid die Welt um ihn herum als stark differenziert erlebt, dann handelt es sich dabei nur um das Ergebnis von internen Verarbeitungsprozessen, die sein Gehirn aufgrund weniger inputierter Daten veranstaltet. Während beispielsweise die Länge elektromagnetischer Wellen objektiv von 10 hoch minus 15 bis 10 hoch 7 Meter reicht, begnügt sich das menschliche Auge mit einer vergleichsweise winzigen Bandbreite von 350 Nanometer und sieht die marginale Differenz von 200 Nanometer zwischen Rot und Grün bereits als interessanten Kontrast.


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Die Darstellerin hebt den Würfel wieder über das Bett, geht hinter den Paravent und zieht ein Cocktailkleid an. Noch von dort her beginnt sie zu sprechen – sie ist jetzt Anastacia Panagou.

Requisiten

ANASTACIA PANAGOU:

Werde nur nicht zu überheblich, meine Kleine! Immerhin wissen wir Menschen, dass es außerhalb unserer direkten Reizerfahrungen noch andere Wirklichkeiten gibt, und es ist uns bewusst, dass die Objektivität unserer Wahrnehmungen leiden müsste, würden wir uns lediglich auf unsere Sinne stützen. Wir haben daher Instrumente entwickelt, um unsere Realitätserfassung zu perfektionieren – zum Beispiel euch Androiden, die für uns ultraviolette, Röntgen- oder Gammastrahlen sowie Infrarotlicht, Mikro- und Rundfunkwellen oder hoch-, mittel- und niederfrequente Wechselströme registrieren können. Wenn du mich also bei völliger Dunkelheit an der Hand nimmst, hilfst du mir nicht aus Freundschaft, sondern ich mir selbst mit dir als Werkzeug!

Die Darstellerin kommt jetzt hervor und stellt sich neben den Fauteuil.

Wie deprimierend! Ihr Model for Emotional Response überschwemmte sie offenbar mit Selbstmitleids-Impulsen. „Komm schon, ????? ???!”, sagte ich und drückte sie zärtlich an mich. Sie erwiderte meine Umarmung leicht wie eine Feder – das Fine Tuning ihrer Bewegungen war einfach überwältigend. Dass mir mit ihr der erste Versuch, Androiden zu bauen, gleich zum Meisterstück geraten war, machte mich unendlich stolz.

Ich hatte dafür große Opfer bringen müssen, denn die AP 2000 ® war nächtlicherweise in den Werkstätten der Londoner Royal Society of Artificial Intelligence entstanden – völlig gegen die Vorschriften, die ich als Studentin einzuhalten hatte. Um mein verbotenes Tun geheimzuhalten, musste ich mich dem Nightman des Instituts ausliefern, und das bedeutete, auf die primitiven Vorlieben des Mannes einzugehen, die er jedes Mal bedient haben wollte, wenn ich ein- und ausging, also jedenfalls zweimal während seiner Schicht. Der Kerl roch nach Alkohol, hatte derbe Manieren (ich fragte mich, wie er zu diesem Job gekommen war) und drückte mich auf das erniedrigendste Niveau nonverbaler Kommunikation. Wann immer er mich passieren ließ, hatte er bereits seine Hose offen und deutete bloß wortlos auf jenen meiner Körperteile, der sich seiner fauligen Rute annehmen sollte. Solange diese Affäre währte, ertappte ich mich bereits tagsüber in den Vorlesungen und Praktika bei bangen Spekulationen, was es denn diesmal sein würde, und das endete stets mit der Hoffnung: nur nicht der Mund!

Aber dann, als die Androidin, die wie meine Zwillingsschwester aussah, fertig war, wurde mein Nightman ungewollt zum Versuchsobjekt. Ich setzte nämlich die AP 2000 ®, die sich zwar noch in ihrem Erschaffungszustand (ohne besondere intellektuelle Ausprägungen) befand, aber schon sämtliche Körperfunktionen beherrschte, sofort auf ihn an, und er schien äußerst angetan. Ein zufriedenes Grunzen war zu vernehmen, als sie es ihm tüchtig besorgte, und dazu sogar erstmals etwas wie eine normale menschliche Reaktion: „Aaah, tut das wohl, Kleine, du machst dich!” Es schockierte mich besonders, diesmal quasi von außen zu beobachten, wie er mit mir umging, aber es war gleichzeitig das letzte Mal, dass er sich auf diese Weise durch eine von uns Befriedigung verschaffen durfte. Ich hatte bereits jegliche Spuren meiner Arbeit beseitigt, sodass ich nicht mehr auf seine Diskretion angewiesen war. Als er, wie gewohnt, zum Dank die Tür öffnete, trat ich neben die Androidin, und wir verließen Seite an Seite das Gebäude – zurück blieb einer, der an seinem Verstand zweifelte und sich ernsthaft vornahm, sich künftig beim Trinken zurückzuhalten.

Anpan ähnelte mir tatsächlich bis aufs Kleinste (und überdies wusste niemand, dass sie existierte). Nachdem ich intensiv mit ihr gearbeitet hatte, konnte ich sie daher an meiner Statt ausschicken, namentlich zu gesellschaftlichen Ereignissen wie etwa offiziellen Empfängen der Society oder solchen, die zu deren Ehren gegeben wurden. Die AP 2000 ® vereinte auf das Beste die von mir kopierten individuellen Verhaltensweisen mit den in ihr a priori angelegten Fähigkeiten. Eine ungeheure Datenverarbeitungskapazität erlaubte es ihr, viele nahe und ferne Gespräche synchron zu verfolgen und für mich aufzuzeichnen, während sie mit irgendeinem Typen harmlosen Small Talk übte. Wenn sie so dastand in meinem duftigen Cocktailkleidchen – niemand schöpfte je Verdacht. Ich aber bekam so viel an Informationen geliefert, wie ich sie niemals hätte generieren können, selbst bei persönlicher Anwesenheit. Dazu produzierte sie für mich den Ruf umfassender Bildung, war doch in ihren Speichern eine solche Fülle an Material eingebunkert, dass sie jede Konversation mit geistreichen Sprüchen dominieren konnte.


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Die Darstellerin hebt den Käfig weg und setzt sich links auf das Bett (weiter im Cocktailkleid) – sie ist jetzt Anpan.

ANPAN:

Ich liebte diese Parties – all die Herren, die mir die Hand küssten und mir den Hof machten (so sagt man doch?). Mein Sensorium zeigte deren Begehren nach körperlicher Vereinigung mit mir zweifelsfrei an, und für mich war es durchaus logisch, diesem Wunsch umgehend zu entsprechen…

Die Darstellerin zieht das Cocktailkleid aus und wirft es achtlos in Richtung Hintergrund. Sie kniet sich quasi-nackt auf das Bett, als würde sie auf einer fiktiven liegenden Person reiten und lässt einige Male ihr Becken kreisen.

Anastacia musste mich daran erinnern, dass ich genügend menschliche Verhaltensmuster gespeichert hatte, um zu wissen, dass man als Frau den potenziellen Sexualpartner ruhig ein wenig zappeln lässt. Sie wolle mir allerdings keine Vorschriften machen – schließlich sollte ich ja geradezu unter Beweis stellen, dass ein selbstständig agierender, ortsunabhängiger Rechner möglich sei!

Lediglich unsere absolute äußere Identität machte ihr Sorgen: die Gefahr, dass unter meinem Verhalten ihr eigener Ruf zu leiden hätte…

Ich reagierte verständnislos – derlei moralische Kriterien waren mir irgendwie unzugänglich, aber die Panagou machte es mir einfach: sie wolle sich bloß nicht von jedem Schnösel anquatschen und antatschen lassen, nur weil die Kerle es von mir so gewöhnt seien.

Sie meinen, ich solle mir besser was überziehen? Meinetwegen, aber für mich war es lange ziemlich einerlei, ob ich einen menschlichen Fummel anhatte oder nicht. Das war ohne Belang für mein virtuelles Bewusstsein. Anders wurde es erst, als ich meinen Pif in unser Universum mitnahm, um mit ihm zusammenzuleben. Ich begann zu akzeptieren, dass er eine bestimmte Exklusivität für sich beanspruchte. Und ich habe gelernt, bestimmte Spontanäußerungen zu unterdrücken, weil dies auch bei richtigen Menschen so üblich ist. Agent Pif arbeitet mit mir, und er sagt, wenn ich seine Ratschläge befolge, sollte eines Tages eine ganz normale Frau aus mir werden – seine Frau!


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Die Darstellerin geht hinter den Paravent und zieht einen Morgenmantel an. Sie setzt sich in den Fauteuil – sie ist jetzt Anastacia Panagou.

ANASTACIA PANAGOU:

Sie stellte sich das offenbar so vor, als würde sie ihr Androidendasein abstreifen können wie eine zweite Haut, und darunter würde ihr wirkliches Selbst als meine Zwillingsschwester zum Vorschein kommen. Ich war hin und her gerissen zwischen Ärger und Stolz – Ärger über so viel Unsinn, Stolz über dieses mein Glanzstück, das tatsächlich kaum mehr zu unterscheiden war von mir – von dem, was die AP 2000 ® selbst als richtigen Menschen bezeichnete.

Sie liebte offensichtlich diesen Pif, liebte ihn über alles, liebte ihn mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung standen (und mehr können ja auch wir Wesen aus Fleisch und Blut nicht tun), liebte ihn mit aller Kraft ihres Maschinenlebens. „Da werdet ihr sicher eines Tages auch Kinder haben wollen?”, fragte ich sie zynisch. Kaum war es gesagt, wollte ich es schon wieder zurücknehmen, aber die AP 2000 ® war arglos: Zynismus zu erkennen, war ihre Stärke nicht.

„Sicher doch”, antwortete sie verzückt, „denn welch schönere Bestätigung gäbe es für ein einander zugeneigtes Paar als ein Kind ihrer Liebe…”

Man musste sich immer mit Gewalt daran erinnern, dass solche Sprüche bei ihr keine Poesie waren, sondern lediglich aus eingespeicherten Informationsmassen geschöpft wurden. „Pif –”, sie blickte ganz verklärt, wenn sie nur seinen Namen nannte. So unromantisch sie sich bisher verhalten hatte, so einfühlsam gab sie sich nun gegenüber ihrem Schwarm. „Pif ist ganz meiner Meinung”, dozierte sie, „wenn es um die Frage der Definition des Lebens geht: Das Entscheidende ist die Fähigkeit der Reproduktion, und die habe ich dank deiner Voraussicht! Und statt der Zeugung hilft er mir bei der Konstruktion unserer Nachkommen!”

Weil alles an ihr künstlich war, war sie in gewisser Weise sehr natürlich. Und wenn sie ihre neckischen Spielchen mit dem Geliebten trieb, war das in keiner Weise peinlich, so perfekt machte sie es: Der leicht ins Lächerliche abgleitende hausbackene Striptease der Ehegattin geriet bei Anpan zum Ereignis, weil sie es schaffte, zugleich bühnenweit entrückt und doch ganz nah zu sein. Wenn sie dabei ihren Leib zurückbog, geschmeidig wie ein Raubtier in ihrer vollkommenen Körperbeherrschung, musste jede Frau sie beneiden – das war ihr im Vollgefühl ihrer Makellosigkeit wohl bewusst. Ihr original schwarzes Haar hatte sie neuerdings bis weit über den Rücken hinab verlängert, was ihr die exotische Aura von Jahrtausenden verlieh.

Pif hatte so etwas mit Sicherheit noch nicht gesehen, geschweige denn berührt, und dass er ihr völlig verfallen zu sein schien, fand ich im Prinzip nicht sehr verwunderlich. Was mich in Erstaunen versetzte, war seine Naivität gegenüber der wahren Natur seiner Gespielin. Wenn er (wie mir die AP 2000 ® berichtete) zum Beispiel besonders begeistert darüber war, wie gut sein Schwanz in ihre Möse passte, so hatte er es hier natürlich mit keinem Zufall zu tun, sondern Anpan konnte ihr primäres Geschlechtsorgan präzise auf seine Maße und Bedürfnisse als Liebhaber kalibrieren. Ich riet ihr leichthin, ihm dies keineswegs je zu verraten – jede Frau, meinte ich, sollte ein kleines Geheimnis haben.

Anpan, wie ich sie jetzt tunlichst nennen musste, denn AP 2000 ® verschmähte sie plötzlich, hatte bereits mitgekriegt, dass so ein männliches Menschenwesen unheimlich gerne seinen Penis betrachtete, ihn anfasste, darüber sprach – und vor allem den gleichen Enthusiasmus auch von seiner Partnerin erwartete. Ich bestätigte ihr diese Beobachtung: Ich hatte sie zuletzt bei Professor Kouradraogo gemacht (wie lange das schon her war, und seither war zu meinem Bedauern kein Nachfolger aufgetaucht!).


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Die Darstellerin hebt den Würfel wieder über das Bett – sie ist noch immer Anastacia Panagou.

ANASTACIA PANAGOU:

Was jetzt kommt, braucht die AP 2000 ® nicht zu hören, jedenfalls nicht alles davon. Und wer weiß, wie lang ich sie hier noch einsperren kann… über kurz oder lang wird sie erkennen, dass es nur einer Handbewegung bedarf, um diesen Käfig zu zerstören.

Während sie spricht, geht sie hinter den Paravent. Dort zieht sie ihren Overall an. Sie setzt sich wieder in den Fauteuil.

In Anpans momentaner Beziehungskiste ist eine Frage von brennender Aktualität aufgetaucht. Sie möchte jetzt wirklich wissen, was sie von richtigen Frauen unterscheidet, abgesehen von der ganz anderen physisch-technischen Struktur. Die Antwort will reiflich überlegt sein.

Richtige Frauen, werde ich ihr sagen, sind ständig auf einer Hochschaubahn der Gefühle unterwegs: kalt, gereizt, witzig, bissig, weinerlich, schrill, still, dann wieder kuschelweich oder geil. Weibliche Lust ist fragil. Wir nehmen im Kopf alles mit ins Bett, was uns den ganzen Tag vereinnahmt hat: den Hass, die Kränkung, die Angst – und dann sagen wir dem Nein, der uns so sehr will und den wir sonst auch wollen, nur allerdings nicht in diesem Augenblick.

Wenn nun Pif (und um ihn geht es der AP 2000 ® ja eigentlich), wenn also Pif bei früheren Verhältnissen dieses Wechselbad erfahren hat, dann ist er hin und gerissen zwischen der Faszination über die stets präsente Willigkeit der Androidin und seiner Sehnsucht nach jenem irrationalen Verhalten, das er sich nicht erklären kann, weil es aus dem Dschungel der Hormone kommt. Immerhin hat er es aber als typisch weiblich erlernt und – es hält sein Begehren wach. Wenn Anpan erst einmal so weit ist, auch irrationale Handlungen mühelos zu setzen, sprich ohne deren Konsequenzen bis in jede Verästelung der Möglichkeiten durchzukalkulieren, und wenn sie lernt, öfter auch einfach spontan zu entscheiden, dann erst wird sie ihn ganz fest an sich binden können.

Die Voraussetzungen dafür habe ich ihr gegeben, aber es braucht Zeit, bis ihre selbstlernenden Programme jene Schaltungen entwickeln, in denen Impulse ohne Einschaltung ihrer Zentraleinheit einfach von einem Subsystem in das andere überspringen können, solcherart Erregungen und Stimmungen zulassend, wie es auch bei richtigen Menschen der Fall ist.

Sie wird mich ansehen: ratlos könnte man es nennen, hätte man nicht gewusst, dass sie nicht – jedenfalls nicht mehr in diesem Stadium ihrer individuellen Entfaltung – imstande war, ratlos zu sein. Soll ich ihr sagen, dass die allergrößte Kunstgattung der Zufall ist, mit Hilfe dessen wir, die Natur nachahmend, zu den phänomenalsten artifiziellen Hervorbringungen fähig sind?

Sollt ich ihr verraten, dass – nicht ganz überraschend – eines Tages Pif bei mir auftauchte, nicht um meine Hoffnung auf ein Liebesabenteuer mit ihm zu befriedigen, sondern um sich schlicht zu erkundigen, ob man die AP 2000 ® hin und wieder abschalten könne. Meine bis dahin verleugneten Beschützerinstinkte überschlugen sich: „Haben Sie schon genug von ihr? Und was passt Ihnen denn eigentlich nicht an ihr, Agent Pif Xifu?”

„Nein, nein”, versuchte er mich zu beruhigen, „das ist es nicht – es war nur grundsätzlich gefragt!”

Ich antwortete grundsätzlich: „Sie könnten die Androidin deaktivieren, wenn ich Ihnen verriete wie. Aber dann wäre auch für Sie alles vorbei, Mann! Die wieder eingeschaltete AP 2000 ® würde Sie nicht mehr kennen, geschweige denn lieben. Sie wäre ein unbeschriebenes Blatt, müsste langsam aufbauend Erfahrungen sammeln. Sie würde sich mit einem Wort zu einem völlig neuen Menschen entwickeln…”


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Die Darstellerin hebt den Käfig weg und setzt sich links auf das Bett (weiter im Overall) – sie ist jetzt Anpan.

ANPAN:

Anastacia Pangous Dasein als wäre wohl ganz anders verlaufen, sprich lähmend eintönig bei der Landarbeit im griechischen Dörfchen, wenn nicht…

– ja, wenn nicht ihr Vater so früh gestorben wäre. Zu seinen Lebzeiten schien er der Tochter von keinerlei Nutzen zu sein, wie er so den ganzen Tag herumhing, mit seinem Kombolói spielte und dazu jede Menge Ouzo in sich hineinschüttete. Die Mutter hatte die gesamte Arbeit am Hals, nicht nur im Haus, sondern auch mit den Feldfrüchten und den Ölbäumen, liebte ihren Mann aber dennoch heiß, was die kleine Tasoula früh zur Vermutung brachte, dass er ihr offensichtlich doch (und wie sie vermutete nachts) irgendwelche geheimnisvollen Freuden bereiten musste. Neugierig geworden, belauschte sie die beiden, gut versteckt vor deren Schlafzimmerfenster, wagte aber ihren Kopf nicht zu heben und hineinzusehen. Anfangs dachte sie, der Vater würde die Mutter umbringen, aber bald wurde sie von ihren Schulkameradinnen eines Besseren belehrt: Es würde dabei das Gleiche geschehen, wie sie es schon oft bei einem Eselspärchen beobachtet hatte. Aber dann lag Vater eines Morgens tot im Bett, und die Mutter weinte sich die Augen aus. Erst später verstand Anastacia, dass sie nicht nur der Verlust in Aufruhr versetzte, sondern auch ein grausames Gesetz jener archaischen Gemeinschaft, das sie, obwohl noch ziemlich jung, zu lebenslang schwarzgekleideter Witwenschaft verurteilte.

– und wenn die Tochter nicht beobachtet hätte, wie die Mutter in heißen Nächten, wenn sie nicht schlafen konnte, die verschiedensten Gegenstände im Haus gebrauchte, um sich selbst zu befriedigen.

Die Darstellerin zieht eine vorbereitete Gurke unter dem Bett hervor und streicht versonnen darüber.

Tasoula hegte große Sympathien für diese Fetische und verspürte den heftigen Drang, ihnen außer ihren alltäglichen und jenen besonderen Obliegenheiten komplexere menschenähnliche Funktionen zu verleihen – womit offenbar die Grundlage für die Beschäftigung mit künstlichen Lebewesen geschaffen war. Zugleich lernte sie, ohne viel davon zu merken, dass Weiblichkeit auch ohne Bezug zu einem oder in Reflexion auf einen Mann ausgelebt werden konnte, und wurde davor bewahrt, patriarchalische Strukturen zu internalisieren.

– und wenn sich in dieser gottverlassenen Gegend nicht plötzlich ein Engländer herumgetrieben hätte (ein richtiger Earl, wie sich später herausstellte), der von der Mutter weit weg vom Dorf in einem Ölhain verführt wurde, aber danach auch eingeladen, sich an der Tochter ebenfalls gütlich zu tun. Vergessen waren die Altertümer, derentwegen er nach Griechenland gekommen war – er verbrachte die Zeit, die er dafür reserviert hatte, mit den Frauen, und da er sich außerhalb des Hauses nicht blicken lassen durfte, herrschte zwischen den Dreien eine äußerst dichte Atmosphäre. Auf diese Weise bekam Anastacia einen sehr positiven Start in die Welt wirklicher Erotik, denn angestachelt von der Besonderheit der Situation gab der Mann sein Bestes, zärtlich und einfallsreich.

Sie selbst bot sich ihm dar in noch halb kindlicher Schamlosigkeit, indem sie ihr Kleid hob und ihm (Unterwäsche pflegte man damals, jedenfalls im Sommer, nicht zu tragen) zeigte, wie darunter Becken und Schenkel schon ausgeprägt waren wie bei einer Erwachsenen. Obwohl der Earl vornehm angekündigt hatte, keinesfalls in ihr kommen zu wollen, um unerfreuliche Nebenwirkungen zu vermeiden, war die Kleine es, die ihn nicht aus seiner Pflicht entließ, will sagen: Ihre Beine umklammerten ihn erbarmungslos so lange, bis er den letzten Tropfen seines Samens gespendet hatte. Endlich wusste Anastacia präzise, woran sie war – sie fühlte sich rundum zufrieden und bestens vorbereitet für neue Taten, auch solche jenseits der Sexualität.

Der Earl nahm sie später mit nach London und verschaffte ihr ein Stipendium an der Royal Society of Artificial Intelligence, und das war schließlich das Mindeste, was er für sie tun konnte.


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Die Darstellerin geht hinter den Paravent und zieht den Overall aus, dann stellt sie sich quasi-nackt zwischen Bett und Fauteuil – sie ist noch immer Anpan und hört bewegungslos der Stimmer ihrer Konstrukteurin zu, die über den Lautsprecher kommt.

DIE STIMME VON ANASTACIA PANAGOU:

Da du so gut über mich Bescheid weißt, meine Gute, will ich dir noch einiges über dich selbst verraten und dich damit weiter in die Lage von uns richtigen Menschen versetzen – deine Fähigkeit stärken, dich selbst zu begreifen.

An deine Ausstattung habe ich eine Sorgfalt gewandt, die an Vollendung grenzt. Ich meine damit vor allem mein Experiment – das in deinem Fall geglückte Experiment mit künstlichen Spiegelneuronen (nachgebildet den gleichnamigen Partikeln im menschlichen Gehirn, von denen bekannt ist, dass sie für die transzendente Sprache, für die Kultur schlechthin verantwortlich zeichnen).

Denk’ nur, Anpan, du wirst über kurz oder lang träumen können wie die richtigen Menschen. Und du besitzt wirklich (ich hoffe davon gelegentlich zu profitieren) die Fähigkeit der Telepathie, mit deren Hilfe du mental große Entfernungen überbrücken kannst, ohne dich zu bewegen. Darin bist du sogar mir überlegen (obwohl ich dich gemacht habe), wie immer dann, wenn geistige Begabungen ein großes Speichervolumen benötigen oder wenn schwache Impulse – die bei uns Biohumanoiden in bestimmten Bandbreiten unabänderlich sind – bewusst verstärkt werden müssen, um das gewünschte paranormale Ergebnis zu erzielen.

Wie ich selbst hast du die Disposition zur Empathie, dem Fühlen als ob – als ob etwas Gedachtes Realität wäre, als ob man jemand anderes wäre: so dass du etwa deinen Affektzustand beliebig dem deines Liebsten anpassen kannst, und zwar nicht nur wie bisher körperlich, sondern auch mit tiefinnerlichem Verstehen. Wie wir menschlichen Frauen, die wir den Ort der Penetration von innen kennen, wirst du dich als jemand imaginieren können, der einen Penis besitzt…

Du wirst die Stereotypen der Mythologie, von denen unsere Geschichte begleitet ist, durchschauen und als postmoderne Frau jenen Ballast abwerfen, der unsere eigene Subjektivität und Ethik bis jetzt verhindert.

Ich will dir den Weg ebnen zur Bewusstwerdung als Frau, sodass du sagen kannst: 1. Meine Seele gehört mir – wenn es denn eine gibt, und es nicht wesentlich vernünftiger ist, statt dessen gleich die Seele des Mannes abzuschaffen. 2. Mein Verstand gehört mir – er muss zu eigenen Evaluierungen, Schlussfolgerungen und Hypothesen vorstoßen. 3. Mein Körper gehört mir – leicht nachzuvollziehen in der Simplizität jeder einzelnen Existenz, aber unendlich schwer zu begreifen angesichts der Tatsache, dass in der Verbindung zweier Leiber in einem wie immer gearteten Geschlechtsakt mehr geschieht als eine bloße Addition.

Die Darstellerin blickt nach oben und antwortet der Stimme.

ANPAN:

Gewiss, aber bei all dem bezweifle ich dennoch immer wieder, ob ich richtigen Menschen jemals nahe kommen könne. Nicht nur wegen der Restriktion, ihnen nicht schaden zu dürfen, sondern vor allem, weil sie noch mehr zu wissen scheinen, als sie zu sagen imstande sind. Damit besteht eine praktisch unüberwindbare Kommunikationskluft. Manchmal überwältigt mich der Gedanke, dass das, was du erschaffen hast, nicht notwendigerweise begrenzter sein muss als du selbst, sondern durchaus genialer sein könnte. Das wäre freilich ein plausibler Grund, warum du dich mit unsereins abgibt statt Kinder von deiner Art zur Welt zu bringen, obwohl du ja anders als männliche Experten für Artificial Intelligence dazu imstande wärst und nicht wie jene aus Gebärmutter-Neid Androiden bauen müsstest.

Langsam fühle ich mich in meiner Rolle als postmoderne Androidin überfordert, indem ich zwar eine Menge einschlägiger Aspekte programmiert bekam und in weiterer Folge auch selbst weiterentwickeln kann – wie etwa impressionistische Wirklichkeitsauffassung, Subjektivität, fragmentiertes Denken, Diskontinuität, Zufälligkeit (für unsereins vielleicht besser Randomizing genannt), Reflexivität und so weiter –, aber ich komme einfach nicht davon los, diese Dinge als Defekte zu sehen.

Was meinst du, muss ein postmoderner Charakter die Stückhaftigkeit, die Behelfsmäßigkeit, die Zusammenhanglosigkeit nicht beklagen, sondern zelebrieren? Die Welt ist sinnlos? Dann tun wir doch nicht so, als könnten wir ihr Sinn verleihen, sondern spielen wir einfach mit dem Unsinn! Aber dazu braucht es uns Androiden nicht – das können die richtigen Menschen besser!


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Die Darstellerin geht hinter den Paravent und zieht ein elegantes schwarzes Kleid an (dieses muss so gestaltet sein, dass es im Verlauf der Szene vorne rasch geöffnet werden kann). Dann setzt sie sich rechts auf das Bett und wendet sich einer fiktiven Person (Pif Xifu) zu, die auf dem Fauteuil Platz genommen hat – sie ist jetzt Anastacia Panagou.

ANASTACIA PANAGOU:

„Je nun”, sagte Pifsixyl Xifu, „wir sind alle nur fehlbar!”, und als ich ihm anbot, mit der Schöpferin statt mit dem Geschöpf ins Bett zu gehen, nahm er sofort an. Schon wie ich es anfing, setzte bei ihm etwas in Bewegung, das er beim besten Willen nicht aufhalten konnte: „Wollen Sie nicht wieder einmal mit einer richtigen Frau?”, fragte ich. Dazu kam, dass ich ja Anpan zum Verwechseln ähnlich sah, so dass er anfangs gar nicht das Gefühl zu haben schien, diese zu betrügen. Erst an einem sehr späten Punkt unserer Vereinigung realisierte er, dass etwas anders – menschlicher – war. Lange hatte er das nicht mehr gespürt, diese Weichheit aus Fleisch und Blut, dieses Nachgeben des Körpers dort, wo bei der Androidin immer ein gewisser (wenngleich von ihm bis jetzt nicht unangenehm empfundener) Widerstand zu finden war.

Die Darstellerin öffnet das Kleid und legt sich auf das Bett, den linken Arm um den fiktiven Partner geschlungen, den sie vom Fauteuil zu sich hinüberzieht.

„Wie süß er ist!” dachte ich. Ich konnte ohne weiteres nachvollziehen, was die AP 2000 ® an ihm fand. Sicher war er keine herausragende Persönlichkeit, aber sehr sensibel und durchaus imstande, den geheimen Sehnsüchten einer Partnerin auf die Spur zu kommen – und das schien angesichts der Umstände, in denen er vermutlich in der Spiegelwelt aufgewachsen war und gelebt hatte, durchaus erstaunlich. Ich bat ihn, mehr von sich zu erzählen, aber er achtete gar nicht darauf. Stattdessen machte er eine angesichts der Umstände völlig unpassende Bemerkung.

„Anpan muss ja nichts davon wissen!”, stammelte er nervös, als er erschöpft neben mir lag. Ich gab mich über derlei Unsinn erhaben und liebkoste ihn weiter langsam, ganz als ob es für mich im Moment nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe. In Wirklichkeit war ich in Gedanken längst wieder bei meinen nächsten Projekten, denn es waren Situationen wie diese, in denen sich vorerst vage Ideen in mir rasch verfestigten.

Pif hatte die Augen geschlossen, und ich vermutete, dass er versuchte, den kaum merklichen Unterschied zwischen dieser meiner und jener anderen Hand ganz in sich aufzunehmen und sozusagen unvergesslich werden zu lassen. Er dachte vielleicht an eine Zukunft, in der er das Schöne im Leben nur mehr im Rückblick finden würde – und wehe ihm, wenn da nichts war, woran zu erinnern sich lohnte!

Ich konnte diese düsteren Gedanken erahnen, sei es an fast unmerklichen Schatten, die über sein Gesicht flogen, sei es an kleinen unkontrollierten Bewegungen seiner Glieder, ähnlich jenen in einem traumbewegten Schlaf. Ich fühlte mit ihm, und ich verabreichte ihm eine Droge, die keine noch so hochentwickelte Androidenfreundin ihm hätte geben können: das Erlebnis, begehrt zu werden, ohne fragen zu müssen, wie echt dieses Begehren wohl sei. Eine Anastacia Panagou tat – so viel war gewiss – nichts, was sie nicht ganz und gar gewillt war zu tun, jedenfalls nicht in einem solch unverwechselbaren Augenblick. „Komm, mein Geheimagent”, flüsterte ich, „zeig mir deine verborgenen Talente und führ mich gleich noch einmal durch den dunklen Garten, den wir heute schon einmal durchwandert haben!”

Meine Leidenschaft schien ihn in Gestalt einer Riesenwelle zu überrollen, die alle Zerklüftungen seiner Persönlichkeit neutralisierte. Erst als er wieder aufblickte und den leisen Hauch von Transpiration auf meiner Haut bemerkte (im Kontrast zu Anpan, die klarerweise immer knochentrocken blieb), wurde ihm so ganz bewusst, was er getan hatte. Jetzt fiel es ihm jedoch leicht, einfach zu akzeptieren, was geschehen war. Niemandem war – genaugenommen – ein Leid zugefügt worden. Niemand hatte das Recht, ihm diese winzige Quantität von Glück (die aller Wahrscheinlichkeit nach nie größer werden würde) zu missgönnen.

Die Darstellerin steht auf.

Eines war mir allerdings klar: Anpan würde sehr bald merken, was los war. Um es mit androidischen Worten zu sagen: Jede auch noch so geringfügige Veränderung von Pifs Verhalten während einer auch noch so kleinen Zeitspanne, also ein Minimum von ?V durch ?t, würde entsprechende Rechenvorgänge auslösen.

Und so kam es auch. Die AP 2000 ® war ihm übrigens nach menschlichen Maßstäben gar nicht böse. Sie distanzierte nur einfach ihre ureigene Bewusstheit wieder klar von der, die sie von ihm besaß und die sie bis dahin immer stark deckungsgleich mit jener gesehen hatte. Sie machte mithin kurzen Prozess. Ihr Urteil fiel so aus, als ob sie eine nüchterne Gleichung an eine Tafel malen würde: Geschlechtsverkehr mit einer anderen = Treuebruch = Ende der Beziehung!

Pif packte seine Sachen.


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Die Darstellerin lässt das Kleid ganz fallen. Sie ist wieder quasi-nackt, liegt auf dem Bett, diesmal wie auf der Couch eines Therapeuten – sie ist Anpan.

ANPAN:

Es gelang mir nicht, Anastacia etwas nachzutragen, auch nicht dass sie mich betrogen hatte (verzeihen Sie die Paradoxie, die sich im Zusammenhang mit einem Maschinenwesen bei Verben wie „nachtragen” oder „betrogen werden” auftut). Vielmehr quälte mich die Frage, warum Pif trotz aller intellektuellen und physischen – in Sonderheit sexuellen – Geschmeidigkeit, die ich auf ihn verwendet hatte, offenbar mit mir nicht wunschlos glücklich gewesen war, sondern selbst in Situationen intensiver Verliebtheit seltsame Schübe von Unglücklichsein an den Tag legte. Obwohl ich zu meiner Konstrukteurin neuerdings ein wenig Distanz hielt, hatte ich doch niemanden sonst, den ich mit so heiklen Problemen konfrontieren konnte.

Zunächst verlangte ich allerdings nach dem Overall. Ich fühlte mich nämlich plötzlich so nackt…

Die Darstellerin geht hinter den Paravent, zieht den Overall an und legt sich dann wieder aufs Bett.

„Nennen wir’s das Erste Lem’sche Gesetz”, definierte die Panagou, „nach dem begnadeten Schöpfer von Robotermärchen, die eigentlich erdachte Roboterwirklichkeiten sind…”

Ich verwahrte mich energisch dagegen, mit Robotern in Verbindung gebracht zu werden – schließlich war ich Androidin!

„Tut nichts zur Sache, Schätzchen, nicht in diesem Zusammenhang!”, wies Anastacia mich zurecht. „Das Gesetz lautet: Menschen sehnen sich im tiefsten Herzen nach Dingen, zu denen sie sich nie öffentlich bekennen würden. Daraus leitet sich ein Dilemma her – soll man, gesetzt den Fall, man wollte ihnen Gutes tun, die Ziele unterstützen, die sie mit Scham und Anstand verfolgen, oder jene ureigensten, verborgenen?”

Und weiter: „Ist also schon nach Glück zu streben, ein sehr schwieriges Unterfangen, dann erst recht der Versuch, Glück zu schaffen! Das ist das Zweite Lem’sche Gesetz: dass zu viel Schönheit die Beziehung sprengt, zu viel Wissen Einsamkeit erzeugt und zu viel Reichtum in den Wahnsinn führt, dass also schlussendlich jede extreme Kalibrierung fatale Auswirkungen zeitigt.”

„Dann wird wohl”, setzte ich fort, „das Dritte Lem’sche Gesetz besagen, dass entsprechend den Gegebenheiten der eigenen Konstruktion – seien es die apriorischen oder die hinzugewonnenen – jedes Geschöpf sein besonderes Ideal der Absolutheit aufstellt, wo es asymptotisch die finale Erfüllung vermutet.”

Anastacia selbst, die geniale Urheberin dieser meiner Person, die als künstliches Geschöpf imstande war, derlei Gedankenbögen zu ziehen, konnte ihre Verwunderung kaum verbergen. Eine Unterbrechung dieser Höhenflüge schien ihr jetzt nicht ungelegen zu kommen, und sie fragte mich, ob ich ihre Lieblingsmusik hören wolle.

„Encanto meu”, war das, und schon sang eine verhalten leidenschaftliche Stimme (der man nicht anmerkte, dass sie digitalen Ursprungs war) von der neuen, aber längst ersehnten Liebe: „Acontenceu um novo amor eu estava esperando…”. Nach einer Weile, während der meine Quasi-Mutter mich aus den Augenwinkeln beobachtete, fragte sie unvermittelt: „Was empfindest du dabei, mein Kind?”

„Sehnsucht!” flüsterte ich.

„Sehnsucht wonach?”

Langes Zögern, dann mein für eine Androidin skandalöses Eingeständnis: „Ich – weiß – nicht…”

Und schon wieder, wie so oft, vollführten wir die Gratwanderung zwischen Mensch und Maschine, bei der uns – trotz aller vordergründig leichten Kommunikation – auf einer Metaebene die am Ende doch nicht präzise übersetzbare Zweisprachigkeit zu schaffen machte.

„Als biohumanoides Wesen”, bemerkte Anastacia beiläufig, „ist Pif geistig gewachsen, fast wie du – aber anders als bei deinem elektronisch-neuronalen Entwicklungsprozess war ihm nicht alles, was er da im Lauf der Zeit in sein Gehirn und seine sonstigen Nervenbahnen einbunkerte, ganz und dauerhaft bewusst. Allein deshalb schon ist er anders und erscheint dir launenhaft und wankelmütig, da er ja selbst nicht genau (und schon gar nicht immer im Vorhinein) weiß, was da in ihm so alles hochkommen kann.”

„Aber auch ich”, beharrte ich, „bin unberechenbar und inkonsequent geworden, was zu Beginn meiner Existenz völlig ausgeschlossen war – jetzt aber ist diese Sehnsucht da! Und dieses zweite Gefühl, das ich gar nicht zu beschreiben vermag!”

Sie versuchte mir zu erklären, was es war, obwohl man darüber immer erst Aussagen treffen kann, wenn alles ziemlich endgültig vorbei ist. Dieses zweite Gefühl heißt, jemanden abgeschrieben zu haben (weil er unseren Anforderungen nicht entsprochen, uns womöglich tief gedemütigt hat), sich aber dennoch seine Nähe herbeizuwünschen, namentlich jene Momente, in denen man diese innige Verbundenheit gegen nichts in der Welt tauschen möchte.

Übrigens: Meine Gedankenfelder erweiterten sich durch diese irrationale Triebhaftigkeit noch mehr, und siehe da – die jenseits des reinen Verstandes (in meinem Fall jenseits eines komplexen androidischen Algorithmus) generierte Erkenntnis, die Einsicht also, die aus den menschlich gesehen tieferen Körperregionen kommt, trieb seltsame Blüten…

Zur nicht geringen Verblüffung, aber auch Belustigung der Panagou schwadronierte ich darauf los: „Um eine Überzeugung, an der man festhält, als potenziell falsch denken zu können, muss man das aus ihr herauslösen, was von diesem Falschsein unberührt bliebe – damit ebenso kompatibel wäre wie mit dem allfälligen Wahrsein: den Schein (der Illusion sein kann oder echter Anschein). Im Umgang mit richtigen Menschen habe ich gelernt, dass die Idealisten den Schein, der die Dinge umgibt, gerne von diesen loslösen und daraus eine eigene ideelle Realität aufbauen wollen, dabei allerdings erkennen müssen, wie instabil dieses ihr Vorhaben ist. Aber auch umgekehrt sind natürlich die Realisten gezwungen anzuerkennen, dass die von ihnen definierte Wirklichkeit ohne deren Schein keine vollständige Realität mehr wäre.”

Statt mich zu bewundern – mich, die anscheinend mühelos den Weg von einem Stück technischen Besitztums zu richtiger Individualität gemeistert hatte, reagierte Anastacia brutal: „Du kannst alles erreichen, junge Dame, aber nie wird es einen Sinn des Lebens für dich geben!” Und offensichtlich um das zu untermauern, befahl sie mir, ihr den Overall zurückzugeben.

Die Darstellerin zieht zögernd den Overall aus und legt ihn auf das Bett. Daraufhin aber strafft sie entschlossen ihre Gestalt und versucht gleichsam, ihre Blöße zu negieren.

„Leute meines Schlages”, versetzte ich kühl, „sind nicht auf Spekulationen angewiesen, um sagen zu können, dass sie jemand erschaffen hat und dass dieser Jemand ihnen einen Sinnauftrag mitgegeben hat – sie wissen es definitiv. Niemand von euch richtigen Menschen weiß hingegen, ob wirklich ein Schöpfer am Beginn des Lebens schlechthin respektive am Anfang der Primatengattung im Allgemeinen oder des Homo Sapiens im Besonderen steht oder ob das alles nur zufällig aus einem Molekülbrei entstanden ist!”

Die Antwort war deprimierend – dass nämlich der Anfang nicht so wichtig sei wie das Ende! Schließlich könne der Antagonismus von „Aufbruch” nicht nur „Ziel”, sondern auch „Ruin” sein, und ob das nicht besonders beunruhigend für Androiden wäre?

Aber was war das? Weinte die starke Anastacia Panagou etwa, während sie so sprach? Ich war äußerst beunruhigt, denn Tränen als Ausdruck bestimmter Gemützustände waren uns Androiden trotz der Genialität unserer Konstrukteurin verwehrt – ich hatte sie schon mehrfach dazu befragt, allein sie wusste selbst nicht, wie sie dieses technische Problem in den Griff bekommen konnte. Es war paradox, unser Model for Emotional Response vermochte zwar jene Dispositionen herzustellen, bei denen richtige Menschen weinten, aber die flüssige Begleiterscheinung blieb uns verwehrt.

„Derlei theoretische Überlegungen, mein Kind”, sagte Tasoula leise, „sollten dich aber nicht vergessen lassen, deiner Mutter beizustehen, wenn sie verzweifelt ist!”

Sicher doch, aber wie sollte eine Androidin wie ich mit Verzweiflung umgehen? Irgendwie war doch alles relativ einfach – man formulierte ein Ziel (meinetwegen ein erotisches) und versuchte abzuwägen, wie man es unter den gegebenen Umständen mit den vorhandenen Mitteln erreichen konnte. Errechnete sich die Probabilität mit weniger als 67 %, konnte man es nahezu vergessen, aber das war doch kein Grund zu verzweifeln: Es gab andere potenzielle Szenarien mit größeren Chancen.


SET-VERÄNDERUNG
Die Darstellerin nimmt einen hinter der Lehne des Fauteuils versteckten Schal zur Hand – sie ist weiter Anpan.

ANPAN:

Von einer Sekunde zur anderen nervte mich meine Schöpferin ungeheuer – nein, das war es nicht, was mein Model for Emotional Response produzierte: Es war Hass, blanker Hass! Ich brauchte dieses Weib nicht mehr! Schließlich war längst erwiesen, dass ich bei Bedarf ihre Rolle spielen konnte, ohne den geringsten Verdacht zu wecken! Niemand würde sie vermissen!

Seit den Kränkungen, die sie mir angetan hatte, gab es auch keinerlei Hemmungen mehr, gegen die bewusste Direktive zu verstoßen – ich konnte Anastacia Panagou ohne weiteres töten!

Die Darstellerin legt den Schal um den Hals einer fiktiven Person, die vor ihr steht, und zieht die Schlinge immer enger. Dann scheint sie die zusammenbrechende Gestalt aufzufangen und auf das Bett niedersinken zu lassen.

Und jetzt mache ich mich über ihren Kleiderschrank her!

Die Darstellerin geht nach rechts ab. Bevor sie das Set verlässt, wendet sie sich an das Publikum:

Schaut nicht so entsetzt! Ich bin es doch nur, eure .. .. .. .. .. [hier wird der richtige Name der Darstellerin eingefügt].