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YVONNE

Yvonne fühlte sich frei – unter Wasser. Bis es soweit ist, hat sie hart trainiert, ihre Schwimmkünste perfektioniert und eine Ausbildung im Tauchen abgeschlossen. Dreieinhalb Minuten kann sie sich mittlerweile unter Wasser halten. Im schimmernden Schuppenkleid, das sie anhat, steckt im Grunde eine Extremsportlerin.

Schon als Kind hat sie sich gefühlt wie ein Fisch im Wasser. Kurz nach ihrem 16. Geburtstag ist sie zum ersten Mal in eine funkelnde Flosse geschlüpft. Ganz ernst genommen habe sie damals niemand, sagt die junge Frau jetzt. Alle hätten es als romantische Spinnerei eines Teenagers abgetan. Inzwischen ist sie eine professionelle Nixe geworden, mit langem Fischschwanz. Sie kann mit ihrer Leidenschaft inzwischen auch Geld verdienen. Für Fotoshootings, Wettbewerbe und Vorführungen „schwimmt“ die Studentin rund um den Globus. Ihr Kindheitstraum ist wahr geworden, Meerjungfrau Yvonne lebt in zwei Welten, „zu Wasser und zu Land“.

Im Grunde geht es darum, mit einer Monoflosse unter Wasser wellenförmig und elegant zu schwimmen. Dies erfordert spezielle Bewegungen und Körperbeherrschung, da man die Beine nicht mehr – wie beim klassischen Schwimmen – spreizen kann. Außerdem praktizieren „Mermaids“ Apnoetauchen, bei dem man vor dem Tauchgang einatmet und den Tauchgang dann mit nur diesem einen Atemzug vollzieht. Yvonne hat diesbezüglich nur ein großes Ziel – sieben Minuten ist ihr Traum!

Es ist ein beruhigendes Gefühl, unterwasser zu sein. Wenn sie schwimmt, fühle sie sich wohl, sie entspannt und genießt die Stille. Es hilft sehr bei Stress, da ich unter Wasser alle Anspannung loslassen kann. Ihr Selbstbewusstsein verbessert sich, aber sie liebt es auch, anderen damit Freude zu machen, dass sie ihren Traum erfülle, eine echte Meerjungfrau zu treffen.

Es ist schwierig, weil man die Augen ohne Schwimmbrille offen lassen und Gesicht entspannt halten muss, vor allem für Fotoshoots. Natürlich muss man nebenbei auf die Schwimmtechnik achten, da man nicht mit den Beinen treten darf. Dabei kann es zu bedrohlichen Situationen unter Wasser kommen, zu den Risiken zählen namentlich der Kontrollverlust über den Körper und Bewusstseinsschwund. Momentan trainiert sie für ihr Tiefen-Zertifikat, wofür es erforderlich ist, bis zu mindestens 16 Meter zu tauchen. Dabei muss man auf den Druckausgleich achten und vor allem den Körper entspannen, weil jede Anspannung Sauerstoff verbraucht.

Der Auftraggeber, mit dem Yvonne normalerweise zusammenarbeitete, kam mit einer Idee daher, mit der man eine Menge Geld verdienen konnte: Sie sollte oben ohne auftreten! Yvonne hatte zunächst entschieden abgelehnt, aber nach einer reiflichen Ûberlegung doch zugestimmt – dabei mochten rein wirtschaftliche Aspekte eine gewisse Rolle gespielt: Sie war hoch verschuldet, die Ausrüstung kostete sie mehr, als sie bis jetzt verdient hatte. Umgekehrt hatte sie die Absicht, sich das Ja zum Plan teuer abkaufen zu lassen.

Und sie hatte Einiges zu bieten, was ihr auch bewusst war – die aufstrebende Gestalt zusammen mit der Hi-Definition-Figur, an der kein überflüssiges Gramm zu finden war. Die Arbeit des Tauchens hatte ihr das nötige Selbstvertrauen gegeben. Und dennoch sah sie der ersten „Topless“-Auftritt-Routine mit gemischten Gefühlen entgegen. Dann ging‘s los – zum Überlegen war keine Zeit mehr: Sie richtete sich nochmals gerade auf, damit die Brüste so recht zur Geltung kamen und dann hinein ins Nass, das ihre neue Heimstatt war.

Heute schwamm sie in einem kleinen Becken mit maximal 2,5 Metern im Kubus, das von allen Seiten mit Zusehern bestückt war. Das hatte sie nicht so gerne – das Publikum klebte förmlich auf Yvonne. Nur durch und die Beklemmung nicht anmerken lassen. Wenn sie von allen Seiten fotografiert wurde, machte ihr das anfangs Angst, und sie mochte gar nicht an die vielen Selfies denken, auf denen sie barbusig zu sehen war, und bekanntlich sind die unwiderruflich. Mit der Zeit gewöhnte sie sich daran – sie hatte es sich nicht anders gewünscht…

Und dann konnte sie sich gar keinen anderen Auftritt vorstellen als „Topless“ – was dazu führte, dass sie nur mehr Aufträge annahm, bei denen Oben-ohne gefragt waren. Das Rüstzeug hatte sie allemal – ein fester Busen mit steil aufgerichteten Nippeln von der Kãlte des Wassers. Nur wenn zufiel Chlor beigemengt war, hatte sie das nicht so gern. An einem Tag hat der pH-Wert nicht gestimmt, weil die Veranstalter viel zu viel Chlor hineingekippt haben. Und Yvonne konnte den ganzen Tag über nicht vernünftig sehen. Trotz Augentropfen. Bei jeder Bewegung oder Drehung läuft Wasser in die Nase und in die Nebenhöhlen. Wenn der Chlor-Wert zu hoch ist, brennt das ungemein. Manchmal ist es gar nicht auszuhalten. Egal, da musste man durch – kein Weg führte da vorbei, wenn man eine richtige Meerjungfrau werden wollte. Kaum hatte sie die 16 Meter indoor geschafft, als sie auch schon wieder outdoor ihre Künste ausprobieren wollte, das heißt in einem Badesee – da konnte es sein, dass sie auch schon bis 20 Meter tauchte. Und die 7 Minuten hatte sie mittlerweile auch schon erreicht!

Sie war geradezu besessen, ob mit oder ohne Publikum – ohne, das war schon etwas, mit hatte einen zusätzlichen Reiz. Yvonne gab zumindest oben ohne ihr Bestes. Sie erlaubte freizügigst die Oberweite darzustellen, und es war super, wie sich bei einer Tiefe von 10 Metern ihre ganze Pracht entfaltete. 20 Meter tief – gefühlt ein Traum! Sie blieb lange unter Wasser, und sie hatte noch einiges vor, was über die 7 Minuten – insgeheim wollte sie 20 Minuten erreichen. Sie hatte in einer Zeitschrift gelesen, dass der Rekord bei 24 Tauchminuten lag. Jedenfalls soweit gemessen wurde – dem wollte sie nahekommen. Und es ging nicht nur um das bloße Tauchen, sondern auch um die Eleganz des Vorgangs.

Es gibt Schönheitswettbewerbe, Conventions, Wettkämpfe, Castings und Shows. Eine Meerjungfrau: „Merpeople gibt es heute fast überall auf der Welt. Man muss sie nur finden.“ Eine andere Meerjungfrau: Sie wurde in Deutschland geboren, lebt mittlerweile in Australien und gehört zu den Pionierinnen der Szene. Vor über zehn Jahren hat sie die erste Meerjungfrauenschule der Welt eröffnet und bis heute über 10.000 Schülerinnen. Sie gibt eigene Flossen-Kollektionen heraus und arbeitet als Unterwassermodel und Unterwasserstuntfrau.

Neben Yvonnes Tätigkeit als Süßwassermodell ging es zusätzlich ans Meer. Hier fühlte sie ihre wahre Berufung – hier konnte sie sich richtig ausleben. Mittlerweile war sie 10 Minuten unter Wasser und guten Mutes, dass noch mehr möglich war. Hier schwamm sie und hielt fallweise an einem Stein fest. Und was das Wichtigste war – in ausgeatmeten Zustand, immer ausgeatmet, damit der Auftrieb nicht so stark war.

Wenn Yvonne an den Anfang ihres Meerjungfrauen-Daseins erinnerte, wie sie ganz g‘schamig ihren Bikini angezogen hatte, und zwar das Oberteil wie das Unterteil, während sie längst nackt in ihre Flosse schlüpfte. Das Oberteil hatte sie nicht erst seit gestern abgelegt – für ihre Scham galt das durchaus schon lange.

Da hatten die Veranstalter fraglos einen Mordsaufwand betrieben, mit Scheinwerfern wurde die Szene in 20 Metern Tiefe ausgeleuchtet. Yvonne als Unterwasser-Stuntfrau, wenn sie etwa in einem Schiffswrack 20 Meter unter der Wasseroberfläche. 20 Meter? Taucht sie dann jedes Mal wieder auf? Bei solchen Fotoshootings ist Yvonne ungefähr 45 Minuten am Stück unter Wasser und hat Blei dabei, damit sie nicht auftaucht. Wenn ihr die Luft ausgeht, werde sie von einem Sicherheitstaucher über einen Luftschlauch beamtet. Sie fällt da manchmal in einen Zustand absoluter Tiefenentspannung. Da mochte es sein, dass sie wieder Erwarten einen Orgasmus bekam – die Filmaufnahmen mussten unterbrochen werden, bis die Ekstase abgeklungen war. Und das konnte lange dauern inklusive der außertourlichen Beatmung über einen Luftschlauch.

Als sie endlich auftauchte, war sie einigermaßen geschafft. Sie legte ihre Flosse ab und war nackt, wie Gott sie schuf. Sie streckte sich hin, und kümmerte sich nicht um die Blicke zahlreicher Schaulustiger (Selfies inklusive, das machte ihr mittlerweile nichts aus). Sie machte schamlose Bewegungen in Richtung auf die Zuschauerinnen und Zuschauer, und das war ganz schön frivol, wie sie sich da präsentierte, bis sie endgültig die Augen schloss. Sie schlief sofort ein und träumte unmittelbar ihre Vision von ewig unter Wasser bleiben.

Und erschien ihr im Traum ein Meermann.

Und es blieb keinesfalls ein Traum…