KALEIDOSKOP – Leseprobe 6
Kapitel 16
Anneliese und Waltraud nahmen beruflich ihren Weg. Anneliese wurde zum Bürovorstand (heute würde man eher sagen: Bürovorständin) ernannt, Waltraud zum Disponent (respektive Disponentin). Sie wurden gleichzeitig zum zuständigen Vorstandsdirektor ihrer Geschäftsgruppe bestellt, dieser gratulierte herzlich, zu herzlich wie manche fanden. Seine Augen ruhten wohlgefällig auf ihnen, wobei er insbesondere die kurzen Röcke einer genaueren Überprüfung unterzog. Er sagte ihnen eine große Zukunft voraus, unter der Voraussetzung, dass ihre bisherige Chefin endlich in den Ruhestand „verschwinden“ würde. Dann eröffnete er ihnen, dass es sich bei der Betreffenden um eine „verdammte Monarchistin“ handelte und dass sie längst auf der „Abschussliste“ des Vorstands stehen würde. Zwei Rote (also Anhänger der Sozialistischen Partei Österreichs) und zwei Schwarze (also Anhänger der Österreichischen Volkspartei) in schöner Eintracht verbunden.
Anneliese war seit längerer Zeit SPÖ-Mitglied und Waltraud war dasselbe bei der ÖVP, in derselben schönen Eintracht, wie es der Vorstand vorlebte. Das Ideologische war zweitrangig – hier ging es nur um‘s Pragmatische, dem sich die Beiden bedenkenlos auslieferten. Und da war, wenn sie zusammenbleiben wollten, eine rote und eine schwarze Parteigängerin das Um und Auf.
Die Direktorin war arglos. Anneliese und Waltraud, die von dem Termin zurückgekommen waren, berichteten gleich brühwarm das Gehörte, obwohl das für sie keinesfalls bestimmt war. Die Beiden hatten ihr jedoch soviel zu verdanken, dass sie es trotzdem verrieten. „Man sagt uns, dass Sie Monarchistin wären!“
„Ich habe versucht, es geheim zu halten!“, war die Antwort.
„Das pfeifen offenbar schon die Spatzen von den Dächern!“ Die Mädels (so bezeichnete die Chefin sie liebevoll – „Meine Mädels!“, sagte sie immer) waren ganz aufgeregt. „Da müssen wir irgendetwas dagegen tun!“
„Einen Dreck werde ich dagegen tun! Ich bin viel zu stolz, um hier zu reagieren! Und Schluss der Debatte!“
Anneliese und Waltraud fügten sich grummelnd. Abends ließen sie das Erlebte noch einmal Revue passieren – die Haltung der Direktorin nötigte ihnen Respekt ab. Sie hatten ihr geheimes Vorbild gefunden.
Kapitel 17
Bei dem Studium ging wesentlich weniger weiter, angesichts des beruflichen Erfolgs der Zwei. Und dann war da noch ein Traumurlaub auf Rhodos, der sie alles vergessen ließ. Sie stiegen im Hotel „Agla“ in der Apodimon Amerikis Street in der Stadt Rhodos ab. Kaum hatten sie ausgepackt, bemerkten sie auch schon den Swimmingpool.
Anneliese und Waltraud hüpften hinein – die Oberteile ihrer Bikinis behielten sie an, aus Rücksicht auf die übrigen Badegäste. Und sie tauchten ab und kamen nach zehn Minuten unter Wasser hoch – da mussten sie noch einige Übung investieren. Dann plantschten herum, nicht achtend der zumeist männlichen Schwimmer, die sie bewundernd anstarrten. Sie aber hatten nur Augen füreinander.
Sie mieteten sich ein Auto und fuhren nicht nach Faliraki (da war es ihnen zu laut), sondern nach Kalathos, wo zumindest seinerzeit nichts los war außer Gegend – und was für eine Gegend: Weite Sandstrände, so lange der Blick reichte und einsam war es dort. Wenn sie einen guten Stern hatten, konnten sie den Bikini komplett weglassen oder aber – wenn vereinzelte Leute unterwegs waren – nur das Oberteil. Sie konnten ihr Glück kaum fassen…
Sie schwammen weit hinaus und tauchten – die Zeit unter Wasser näherte sich wieder zwanzig Minuten. Sie kamen auf eine Tiefe von fünfzehn Metern, ganz ohne technische Hilfsmittel, denn das war ihnen verhasst. Sie merkten, wie es schön langsam dunkel wurde und kalt. Sie klammerten an zwei Steinen fest, die sie kaum noch wahrnahmen. Und sie traten in einen Wettbewerb ein, wie sie das schon mehrfach gemacht hatten – wer am längsten unten blieb, hatte gewonnen. Da kam dann wieder die sexuelle Komponente in‘s Spiel.
Anneliese und Waltraud wollten nie wieder auftauchen, bis nicht die Letzte von ihnen zwei Orgasmen durchlebt hatten – aber das konnte dauern. Sie hatten sich angewöhnt, in ausgeatmeten Zustand hinunter zu gehen (das war ein Erfahrungswert, der darauf abzielte, dass sie tiefer tauchen konnten) – er war aber auf der anderen Seite anstrengend, da er jede Menge Muskelkraft erforderte. Und Muskeln hatten sie, auch wenn man ihnen das auf den ersten Blick nicht ansah.
Sie verfielen in einen Rauschzustand, aus dem sie nur mit Mühe wieder hochkamen. Sie schwammen an‘s Ufer. Dort warfen sie sich hin, ausgepowert wie sie waren. Ihre Bikinihös‘chen hatten sie längst verloren. Das war Rhodos…
Kapitel 18
Wieder zu Hause, wandten sich Anneliese und Waltraud – abgesehen vom Beruf, der unterdessen mehr oder weniger Routine geworden war – wieder verstärkt ihrem Studium zu. Sie begannen ihre Dissertation zu schreiben. Sie hatten auch noch dienstliche Interessen – Routine hin oder her -, aber das war ganz schön anstrengend. Und dann hatten sie auch noch ein Privatleben, und zwar ein höchst privates.
Anneliese und Waltraud stellten sich ein einziges Mal einem nicht ganz ernstgemeinten Interview:
1. Wer ist eigentlich der Mann in der Beziehung?
„Hmm, schwere Frage, aber die Antwort ist leicht: Keiner. Nicht umsonst sind wir zwei FRAUEN!“
2. Wollt ihr einen Dreier?
„Unbedingt, lesbische Beziehungen sind so anders als ‚normale’. Monogamie ist natürlich ein Fremdwort für uns.“
3. Kinder habt ihr dann ja schon abgeschrieben?
„Nein, auch wir haben den ‚typisch weiblichen‘ Familiensinn. Wir wollen Kinder und ja, es ist möglich, dass wir welche bekommen. Adoption ist auch nicht zwingend erforderlich, denn wir haben eine Gebärmutter, genau genommen sogar zwei.“
4. Es ist doch nur eine Phase?
„Klar, ab morgen werden wir es mit einem Mann versuchen. Spaß beiseite, selbstverständlich ist es möglich, dass es bei einigen nur der experimentelle Wunsch ist. Wir sind uns allerdings sicher, dass es keine Phase ist – sondern Liebe!“
5. Hast ihr euch das eigentlich ausgesucht?
„Wir haben vorab online einen Test durchgeführt und der hat uns das gesagt – seitdem sind wir überzeugte Lesben. Machen das Heteros nicht genauso? Was für eine Frage…“
6. Habt ihr richtigen Sex?
„Wir genießen und schweigen – aber wir wollen mal nicht so sein: Japp!“ (Sie stöhnten auf…)
7. Wart ihr schon immer lesbisch?
„Es gibt auch Tage, an denen kann ich das abstellen… Aber mal im Ernst: Nein, uns war es beiden nicht schon seit der Kindheit bewusst, dass wir auf Frauen stehen. Das hat sich erst nach der Pubertät rausgestellt.“
8. Ich finde es ja nicht schlimm, ABER wie ist es eigentlich so als Lesbe?
„Fragen sollte man nicht mit Gegenfragen beantworten, aber: ‚Wie ist es so als Mensch?‘“
9. Man sieht euch gar nicht an, dass ihr lesbisch seid!?
„Oh, welche Grundvoraussetzungen sind denn dafür nötig?“
10. Ich habe Stress mit meinem Freund, aber da kannst ihr mir ja nicht helfen, stimmt’s?
„Klar, weil wir auf das gleiche Geschlecht stehen, kennen wir uns mit Konflikten oder Stress in einer Beziehung nicht aus… Ganz ehrlich: Schön wär’s! Aber Mensch bleibt eben Mensch, oder nicht? Konflikte kann man nun mal mit jedem haben – und lösen zum Glück jedoch auch!“
Die Interviewerin gab es auf.
Anneliese und Waltraud lachten dazu.