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KALEIDOSKOP – Leseprobe 8

Kapitel 22

Anneliese und Waltraud probierten es mit Annelieses Eltern und Waltrauds Mutter Emma, wieder in‘s Gespräch zu kommen – Manfred hatten die Beiden schon abgeschrieben. Das war nicht so einfach, denn Manfred beobachte seine Angetraute sehr genau. Wohin sie ging – das war schlicht unmöglich, dass er nicht dahinterkam. Er war ein richtiger Kontrollfreak, der seine Augen nicht von Emma lassen konnte. Trotzdem gelang ihr hin und wieder die Flucht – da regte er sich fürchterlich darüber auf. Er wurde aber nie handgreiflich gegen sie, das war schon immerhin etwas.

Dennoch war es lästig. Emma fühlte sich in den „Bund Deutscher Mädel (BDM)“ versetzt, den sie in den letzten Kriegsjahren „genießen“ durfte. Ihr Mann war extrem kontrollsüchtig, vom Tag ihrer Hochzeit an blühte er vollkommen auf und ließ ihr keine Ruhe mehr. Emma glaubte, dass er ein Doppelleben führte – als normaler Mitarbeiter bei Gericht und als Geheimagent oder Detektiv. Auch im Job findet man solche Menschen: Vorgesetzte, die ihre Angestellten überwachen, Kollegen, die lieber alles selbst erledigen, statt Arbeit abzugeben. Kontrolle auf Schritt und Tritt sowie das Ausspionieren von Handy- oder E-Mail-Postfach.

Er war ein Nazi „der ersten Stunde“ gleich im März 1938, als es vollkommen ungefährlich war – die „Braunen“ hatten die Macht übernommen. Er nahm auch an Aufzügen teil, wo „Heil Hitler“ gerufen wurde, sinn- und zwecklos, aber die „Gemeinschaft“ hochhaltend. Manfred schaffte es irgendwie – unter Hinweis auf seine Beschäftigung bei der Rechtspflege – dem Wehrdienst zu entgehen. Er schob bis Kriegsende eine ruhige Kugel beim sogenannten Volksgerichtshof, Wiener Abteilung. Nachdem sich Österreich für eine zeitliche Befristung der Sühnemaßnahmen für ehemalige Nationalsozialisten und Nationalsozialistinnen einsetzte, wurde auf Vorschlag der Sowjetunion 1948 eine „Minderbelastetenamnestie“ durchgeführt. Diese betraf 90% aller registrierten Personen und beendete die Entnazifizierung Österreichs als Massenerscheinung.

Der Vater von Waltraud war schon wieder fein heraus. Er verlegte sich erneut auf den privaten Bereich und sekkierte Emma bis auf‘s Blut, bis sie sich endgültig scheiden ließ. Manfred wütete anfangs – aber vergeblich. Anschließend verlor sich seine Spur.

Da die Wohnung auf Emma angeschrieben war, musste er ausziehen. Sie hatte ihr eigenes Einkommen – das war nicht das Problem, die eigentliche Crux war, dass sie ihn noch immer liebte. Das war eine rationale Entscheidung, das mit der Scheidung, aber Gefühle ließen sich nicht simpel abdrehen. Für Waltraud war die Sache relativ einfach. Sie hatte beobachtet, wie die Mutter verfiel – langsam, aber sicher. Sie war froh, dass der ganze Spuk vorbei, und Emma, so schien es, wieder zur Ruhe kam.

Aber was sagten Franz und Margaretha zu dieser Angelegenheit, die sie zumindest indirekt auch betraf. Es stellte sich heraus, dass sie sich mit ihrer Tochter (und deren Cousine) auch über andere Themen unterhalten konnten, als über deren Homosexualität. Über ganz „normale“ Fragen!

Kapitel 23

Anneliese und Waltraud wandten sich wieder ihrem zweiten Steckenpferd (neben dem Schwimmen und dem Tauchen) zu, nämlich bezüglich der Inhalte des Spielzimmers, die im Gegensatz zu den Outdoor-Aktivitäten im stillen Kämmerlein abzuwickeln waren, wie die Nummer mit dem Reifen oder die zwei Einhörner. Jetzt verkörperten sie die blauen Menschen dar, die Avatare, nämlich die Schauspielerinnen Mayte Michelle Rodríguez und Carol Christine Hilaria Pounder: Mayte stellte Neytiri dar und Carol Mo‘at. Damit war es schon wieder aus mit der Gemeinsamkeit – die Akteurinnen waren bekleidet, sogar züchtig. Soweit der Film.

Im Gegensatz mussten Anneliese und Waltraud vor allen Dingen nackt sein. Dann rieben sie sich mit Blau wechselseitig ein, wobei sie nicht mit dieser Farbe sparten. Sie waren in der für sie ungewöhnlichen Outfits (oder vielmehr Nicht-Outfits) zugange – sie räkelten sich lasziv zu psychedelischer Musik, diese liebten sie Beide gleichermaßen. Sie steigerten sich immer stärker hinein, machten die bekannte Schere, bis sie in einem gewaltigen gemeinsamen Orgasmus nahezu explodierten. Das hatten sie in der Form noch nie erlebt – sie hatten den Verdacht, dass es wohl an der blauen Farbe liegen musste. Diese übte einen befremdlichen Reiz auf Anneliese und Waltraud aus. Sie konnten sich gar nicht einkriegen vor lauter Zauber, der sie weit fortführte, in intime Fernen außerirdischer Existenz.

Dann wurde Waltraud in eine Box (eine Neuanschaffung für ihr Spielzimmer) versenkt, die so klein war, dass sie den Kopf zwischen den Beinen eingezwängt hatte. Anneliese war unerbittlich und ließ sie dunsten, bis sie fast w.o. gab – den sexuellen Stimulus inklusive. Bevor sie endgültig in‘s Reich der Träume abglitt, hatte sie noch eine tiefe Befriedigung. Ihre Freundin musste sie aus dem Gefängnis befreien, sonst wäre sie ewig steckengeblieben. Und –

Anneliese wollte das endlich auch ausprobieren. Die Beiden vertauschten ihre Rollen. Anneliese zwängte sich in die Box, auch sie war gezwungen, ihren Kopf zwischen ihre Beine einzukeilen. Sie war wesentlich widerstandsfähiger als ihre Cousine, sodass sie das ganze Brimborium entscheidenden besser auszukosten imstande war. Sie hatte auch einen ausgewachsenen Orgasmus – zu guter Letzt. Sie vermochte auch selbstständig ihre unnatürliche Position aufrechterhalten.

Waltraud musste gar nichts dazutun. Das wurde ihr bald langweilig – so ohne Aktion ihrerseits und so wandten sich die Beiden der nächsten Attraktion zu (wieder eine neue Errungenschaft für ihr Spielzimmer): Affenmasken – das sah zwar eigenartig aus, der blaue nackte Körper und darüber die schwarzen Gorillamasken. Sie hatten einen Mund und Augen, damit die Mädels kommunizieren konnten, und das taten sie auch ausführlich. Anneliese und Waltraud blickten durch Larven aufeinander und die ungewohnten und auch fremdartigen Schnauzen der Affen übten eine gewisse Verlockung auf die Beiden aus. Anders als sonst – und zwar komplett anders, waren ihre Gefühle füreinander, und sie schliefen miteinander.

Sie schlummerten ein, sowie sie waren…

Kapitel 24

Anneliese und Waltraud hatten ihre Dissertation fertiggestellt – gerade rechtzeitig, bevor die Chefin ihren „wohlverdienten Ruhestand“ antrat. Der für sie zuständige Vorstandsdirektor hatte als Bedingung gestellt, dass sie Beide das Doktorat haben mussten. Dann würde in Sachen „Karriere“ nichts mehr im Wege stehen, in der Volkswirtschaftlichen Abteilung. Anneliese wurde zur Prokuristin ernannt, Waltraud zur Bürovorständin.

Sie krempelten schrittweise das überkommene Gesicht des „Wirtschaftsdienst“es – er hieß in Zukunft „Länderbank Report“, mit völlig anderen Themenstellungen. Das „Ecomonic Bulletin“ vom Titel her unverändert, aber die Inhalte der Zeitschrift waren gravierend andere. Sie verlegten sich zunehmend auf die Unterstützung des Vorstands in Sachen volkswirtschaftlicher Hinsicht. Das wuchs sich aus, sie hatten (zum Teil als Ghostwriter) eine wahre Fülle von Aktivitäten gesetzt – es dürften in kürzester Zeit nicht weniger als 18 prallgefüllte Bene-Ordner gewesen sein. Dabei kam ihnen persönlich eine Eigenschaft (zumindest was die Ghostwriter-Tätigkeiten betraf) zugute, die sie als Abart der Schreibkunst bezeichnen möchten: Sie konnten sich nämlich in den jeweiligen Auftraggeber hineinversetzen. Sie schmeichelten sich, das oft besser zustande gebracht zu haben, als der entsprechende Mandant es selber je bewerkstelligt hätte.

Ein zusätzlicher Mitarbeiter oder eine zusätzliche Mitarbeiterin mussten her. Der Auswahlprozess war damals noch den einzelnen Stellen zugeordnet – was ohnehin gescheiter war, als der spätere zentrale Prozess. Die jungen Damen, die kamen, waren zu vergessen – nicht zuletzt auf Grund des mangelnden Engagements Annelieses und Waltrauds bezüglich Frauen an Arbeitsplatz. Die jungen Herren waren wesentlich interessanter, darunter ein kleiner „Bub“, der noch studierte, aber hell auf der Platte war. Ihn nahmen sie schließlich, zumal er eine gewisse schriftstellerische Ader zu erkennen ließ.

Sie schlugen ihn vor – ihre Vorgesetzten hatten keine Einwände. Sie bemutterten ihn von Stund‘ an, aber sie forderten ihn auch: „Streng, aber gerecht!“, war ihr Motto. Er hatte auf Waltraud ein Auge geworfen (die Avance gegenüber der neuen Chefin verbot sich quasi von selbst).

„Er ist irgendwie süß in seinem Bemühen um meine Gunst!“, sagte Waltraud zu Anneliese. Ihre höchstpersönlichen Neigungen hielten die Beiden, jedenfalls was die Arbeit betraf, streng geheim. „Und was kann‘s schaden, wenn Julian Lennard -“ (so war der Name dieses Bubi‘s) „- uns aus der Hand frießt! Wenn er mir den Hof macht…“

Anneliese war skeptisch, aber sie ließ Waltraud gewähren – sie sollte ihren Spaß haben, solange sich an ihrem Verhältnis nichts änderte.