Main menu:

KALEIDOSKOP – Leseprobe 9

Kapitel 25

Anneliese und Waltraud nahmen – im Urlaub – privat an einer Studie über Prostitution teil – wie sie dazu gekommen waren, wussten sie selbst nicht mehr genau. Aber es war ebenso passiert.

Die Zwei waren zunächst nur theoretisch unterwegs. Dazu hatten sie einen Film anzusehen. Der Film portraitiert eine junge Frau, die als Schülerin über das Internet in die Fänge eines Zuhälters geraten ist. Als ihr klar wird, dass sie einem „Loverboy“ aufgesessen ist, ist es zu spät. Ihr Zuhälter kontrolliert sie, nimmt ihr das Geld ab. Schambehaftet kappt sie alle Verbindungen zur Welt außerhalb des Milieus.

Erst als nach mehreren Jahren ihr Körper rebelliert und ihr Zuhälter das Interesse an ihr verliert, gelingt ihr der Ausstieg. Sie jobbt, holt ihre Matura nach und beginnt ein Jurastudium mit einem klaren Ziel: Sie will ihren Zuhälter vor Gericht bringen. Mühsam versucht sie das Drachen-Tattoo, das er ihr auf den Rücken hat brennen lassen, um sie als sein Eigentum zu markieren, wieder loszuwerden.

Anneliese und Waltraud hatten plötzlich das Gefühl, dass sie das hautnah erleben mussten, wie sich die Huren fühlten. Das war natürlich eine dramatische Erfahrung, die sie da vorhatten. Sie hatten noch nie zuvor (sic!) mit einem Mann geschlafen – und dann gleich das. Wozu sie niemand zwang, denn das war ihre freie Entscheidung, die sie zu guter Letzt noch bitter bereuen sollten. Sie wurden zunächst von einer „erfahrenen“ Prostituierten „eingeführt“, und das beinhart – ohne jede Scham und ohne jede Schonung. Dabei hatten sie keinen Zuhälter (das hatten sie sich ausbedungen), der ihnen sagte, wo‘s lang ging. Die „Beschützer“ hatten zumeist mehrere Frauen, die die „Schäfchen“ unter empfindlichen Druck setzten, oft auch schlugen.

Das zeigte sich als Anneliese und Waltraud ihren Freiern gegenüber standen – wohlgemerkt jede von ihnen ihrem Freier. Und die „Kunden“ nahmen keinerlei Rücksicht auf den körperlich und seelischen Zustand der Beiden (nicht wie es von ihrer homoerotischen Beziehung gewöhnt waren). Hier ging es nur um Sex der übelsten Sorte, und das mehrmals hintereinander, in kurzen Abständen. Und wie sie stanken, die Mehrheit der Freier. Das löste schon allein den Brechreiz aus, aber sie durften sich nichts anmerken lassen. Hier absolvierten sie eine reine Fleischbeschau, hier waren sie nicht mehr Herr (oder vielmehr Frau) ihres eigenen Körpers. Sie wurden in kürzester Zeit total willenlos und apathisch.

Ein Ende war in diesem Fall abzusehen – aber was wäre gewesen, wenn sie ein solches Leben über Monate und vielleicht Jahre hinaus führen mussten. Sie wären zerbrochen.

Übrigens hat sich Julian Lennard während der Abwesenheit von Prokuristin Dr. Borner und von Bürovorständin Dr. Wiener wacker geschlagen – er durfte sogar an der Postsitzung teilnehmen. Aber lieber war es dem Vorstand, Anneliese zu sehen, im sehr kurzen Kleid, auf dem die Augen der Herren Vorstandsmitglieder wohlgefällig ruhten.

Kapitel 26

Der guten Ordnung halber trafen sie sich mit Annelieses Eltern und mit Emma, der Mutter von Waltraud. Jetzt ging es wesentlich entspannter zu früher, als noch Manfred mit seinen verschrobenen Ansichten gestört hatte. Jetzt wagten es die Beiden, auch durchaus kontrovers Fragen zu stellen, die nichts mit ihnen zu tun hatten.

„Was ist mit Euch – schlaft Ihr noch regelmäßig miteinander?“ Die Frage kam unerwartet – gestellt hatte sie Anneliese.

Der Vater druckste herum, die Mutter war einigermaßen entgeistert!

„Nun macht Euch nicht gleich in die Hosen!“ Sie hatte bewusst diese ordinäre Ausdrucksweise gewählt, um ihre Eltern aufzurütteln. „Wir sind hier unter Erwachsenen! Da kann kein Thema sein, das Euch peinlich zu sein hat!“

Der Vater raffte sich auf: „Mir würde es schon gefallen, wenn Margaretha – ich nenne sie liebevoll ‚Gretel‘ – wieder Sex mit mir haben würde!“

Die Mutter begehrte auf: „Du wolltest ja nicht!“ Franz stellte das in Abrede: „Wenn Du willst – ich stehe zur Verfügung! Nun, nicht täglich, aber immerhin…“

Anneliese kürzte die Debatte ab, indem sie ihnen empfahl, gleich nach ihrer Rückkehr nach Hause die Probe auf‘s Exempel zu probieren. Die Eltern warteten nicht länger und empfahlen sich.

Waltraud sagte zu Emma: „Und was mit Dir? Hast Du eine neue Beziehung?“

Emma antwortete: „Ich habe schon ewig keine Beziehung mehr, weder mit meinem Mann, dem Verrückten, noch auch später. Dabei habe ich Manfred wirklich geliebt – seinerzeit, als er noch zugänglicher war!“

„Willst Du es mit uns probieren? Das wäre eine ganz neue Erfahrung für Dich!“ Anneliese und Waltraud waren bestimmt, keine Widerrede duldend.

Und Emma ließ sich kurioserweise darauf ein. Sie (alle Drei) zogen sich aus, bis sie alle splitterfasernackt waren. dabei stellte sich heraus, dass sich an Emma kein Quäntchen Fett befand und dass sie hervorragend in Schuss war. Anneliese und Waltraud beneideten die „Alte“ ob ihrer Reife und Lebenserfahrung – und, wie gesagt, ihrem Körper. Von ihrem Körper waren sie grenzenlos hingerissen von ihrer Mutter und ihrer Tante. Wieso der „Alte“ das nicht zu schätzen gewusst hatte, blieb dauernd ein Rätsel.

Und dann ging‘s zur Sache: Da hatten die Jungen die Nase vorn, auf Grund des langjährigen Know-how‘s vis-à-vis Emma. Für Emma war es ein neues und beglückendes Erlebnis. Und sie nahm es schließlich und endlich an.

Kapitel 27

Julian Lennard war zur traurigen Figur geworden – nämlich wegen seines Verhältnisses (oder besser Nicht-Verhältnisses) zu Dr. Wiener, wohlgemerkt zunächst abteilungsintern. Das wäre noch schöner gewesen, wenn er es bankweit herausposaunt hätte – da hätte er sich gleich die Kugel geben können. Was aber seine engere Dienststelle betraf, da pfiffen es mittlerweile die Spatzen von den Dächern, dass er in Waltraud verliebt war. Dabei leistete er Ungeheures, wahrscheinlich um sich vor seiner Angebeteten in Szene zu setzen.

Er kam frühmorgens als Erster und ging spätabends als Letzter, nur damit er IHR nahe sein konnte. Aber SIE blieb standhaft, auf Gedeih’ und Verderb‘ mit Anneliese verbunden – da fuhr die Eisenbahn drüber. Die beiden Mädels hielten (abgesehen von einem Ausflug in‘s „Milieu“) zusammen, da konnte Julian machen, was er wollte – sie waren zusammengeschweißt.

Der junge Mann tendierte schrittweise zur Gewalt. Waltraud sagte trocken: „Krieg‘ Dich wieder ein!“

Anneliese war von Haus aus dagegen gewesen, ihm das Du-Wort anzubieten (wie nebenbei bemerkt auch den ùbrigen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen). Aber sie hatte sich in dieser Frage nicht durchgesetzt. „Ist‘s Arschlecken nicht weit!“, beharrte sie auf ihrem Standpunkt. Jetzt hatten sie den Salat! Bei Dr. Borner war jedenfalls der Befehl eingegangen (vom Prokuristen und von jeder Prokuristin aufwärts), dass jede Form der Verbrüderung – ergänze der Verschwisterung – zu vermeiden sei und dass jedes Zuwiderhandeln geahndet werden würde. Das geschah auf sanften Druck seitens der angesprochenen Prokuristen und Prokuristinnen und hatte klammheimlichen zu erfolgen.

Frau Dr. Borner tat nicht, wie es ihr geheißen worden war. Sie rief die Mannschaft beziehungsweise Frauenschaft zusammen und eröffnete ihnen den streng geheimen Befehl des Vorstands. Und zu Julian gerichtet, sagte sie: „Herr Lennard, ich möchte mit Frau Dr. Borner angesprochen werden und meine Kollegin mit Frau Dr. Wiener und so weiter, die ganze Hierarchie hinunter!“

Frau Dr. Borner und Frau Dr. Wiener lachten sich den Buckel voll, als sie wieder in Annelieses Büro einander gegenüber saßen. „Hast Du gesehen, wie Julian zähneknirschend zugestimmt hat? Der hat sich fälschlicherweise auf ein Rendezvous mit mir gefreut, und auf mehr, wenn ich die Anzeichen richtig deute!“, sagte Waltraud. „Du hast völlig recht gehabt mit Deinen Bedenken!“

Und sie sperrten die Türe zu und küssten sich, wohlgemerkt ohne das Make-up zu zerstören. Sie hatten halterlose Strümpfe an (das war ihr Standard), sodass sie jederzeit ihre Hös‘chen nach Belieben aus- oder anziehen konnten, ohne dass jemand etwas merkte. Anneliese und Waltraud hatten durchaus luxuriöse Zeug an, das sie aber ablegten, um einander rasch zu befriedigen. Die Strings steckten sie achtlos in die Taschen ihres Businesskostüms und machten sich im Waschraum frisch.