James Joyce
Ulysses
1. Kapitel – Telemachos
16. Juni 1904, es ist etwa acht Uhr am Morgen. Stephen Dedalus begibt sich auf die Brüstung des Martello Tower von Sandycove, etwa 14 km entfernt vom Stadtzentrum Dublins, zu seinem Mitbewohner Buck Mulligan. In diesem Wehrturm wohnte Joyce 1904 tatsächlich für etwa eine Woche mit dem Medizinstudenten und Hobbyschriftsteller Oliver St. John Gogarty (1878–1957), welcher das Vorbild für Buck Mulligan darstellt. Joyce hatte Hoffnungen, die Freundschaft mit Gogarty in diesem Turm wieder aufleben zu lassen, als Künstlergemeinschaft im Sinne einer Renaissance irischen Freigeistes. Doch das erste Kapitel gibt Zeugnis von der zerbrochenen Beziehung. Den permanenten selbstverliebten Sticheleien Mulligans begegnet Stephen nur mehr mit noch mürrischerer Introvertiertheit.
Noch berührt vom kürzlichen Tod seiner Mutter, beschwert sich Stephen bei Mulligan über die nächtlichen Eskapaden des elitären Engländers Haines (ähnlich dem französischen haine, der Hass), der zu dieser Zeit ebenfalls dort nächtigt. Auch die Figur Haines‘ entspricht einer realen Person: dem Studenten Samuel Chevenix Trench aus Oxford, der hier als Symbol für einen überheblich-freundlichen britischen Kolonialismus eingesetzt wird – oder wie Joyce es formuliert: „Horn eines Stieres, Huf eines Pferds, Lächeln eines Sachsen.“ Trench wurde von Gogarty hofiert, und so nutzt Joyce dieses Duo als Sinnbild für das usurpierte Irland: Mulligan als Verräter Irlands und kleingeistiger Versemacher, Haines als der nachsichtige, reiche Engländer, der Irland mit dem überheblichen Auge eines Touristen in Augenschein nimmt.
Nach einem kargen Frühstück verkündet Haines, in die Bibliothek zu gehen. Mulligan möchte erst ein Bad in der See nehmen. Nachdem alle den Turm verlassen haben, unterhalten sie sich noch einige Minuten, dann macht sich Stephen allein auf den Weg. Ihm wird klar, dass er am Abend nicht in sein Domizil zurückkehren wird. Wie Telemachos in der Odyssee bricht er auf, um – im übertragenen Sinne – seinen verschollenen Vater zu suchen, den er später in Leopold Bloom finden wird.
2. Kapitel – Nestor
In diesem Kapitel geht Stephen seiner Arbeit als Hilfslehrer in Geschichte nach. Auch hier gibt es autobiographische Hintergründe. Im Jahr 1904 unterrichtete Joyce an der Clifton School in Dalkey. Dem Schulleiter Francis Irwin ist die Figur des patriotischen Mr. Deasy im Ulysses nachempfunden.
Mit zwei Personen kommt Stephen im Laufe des Kapitels näher ins Gespräch. Nach dem Ende der Schulstunde, als die Schüler sich eilig zum Hockeyspielen verabschieden, ist es zunächst der schüchterne Cyril Sargent, der ihn um Hilfe bei Mathematik-Aufgaben bittet. Stephen sieht sich selbst in dem Schüler: „Meine eigene Kindheit krümmt sich da neben mir.“ Schließlich begibt er sich in das Arbeitszimmer von Mr. Deasy, um sich sein Gehalt abzuholen. Dort muss er sich Auslassungen über die grassierende Rinderseuche, über Sparsamkeit und den Sinn des Lebens anhören. Mr. Deasy als Nestor ist hier nicht im übertragenen Sinne eines Weisen und Ratgebers zu verstehen, sondern ganz analog zur Odyssee: Dort sucht Telemach den alten König Nestor auf, um Informationen über seinen Vater zu erhalten. Doch Nestor weiß nichts über dessen Verbleib und hält ihn lediglich mit seiner Beredsamkeit auf.
Der Leserbrief, den Mr. Deasy im Zusammenhang mit der Maul- und Klauenseuche Stephen übergibt, damit er ihn an bekannte Redakteure der Tagespresse weiterreiche, verweist auf damals aktuelle politische Hintergründe. So schrieb Joyce selbst 1912 einen Aufsatz über „Politik und Viehkrankheit“. England nutzte einzelne Fälle der Viehkrankheit für ein Embargo gegen das selbstbewusste Irland, das auf die Exporte nach England angewiesen war. Irland sollte in seine Schranken verwiesen werden.
Einige Motive des Telemach-Kapitels werden wieder aufgegriffen. So erweist sich Mr. Deasy ebenso wie bereits Haines als unverhohlener Antisemit: Die „jüdischen Kaufleute haben ihr Zerstörungswerk bereits begonnen. Old England liegt im Sterben.“ Der irische Freiheitskampf gegen England taucht im Gespräch mit Mr. Deasy ebenfalls mehrfach auf, etwa mit Verweisen auf Daniel O’Connell und die Orange Logen. Auch das Mutter-Motiv wird thematisiert: Zunächst in jenem Nonsens-Rätsel, das Stephen seiner Schulklasse in Gedichtform präsentiert – der Fuchs, der seine Großmutter begräbt, ist letztlich Stephen selbst, den noch der Verlust seiner Mutter schmerzt. Und Cyril Sargent lässt Stephen an seine Mutter denken: „Und doch hatte ihn eine geliebt, hatte ihn auf ihren Armen getragen und in ihrem Herzen.“
3. Kapitel – Proteus
Der Meeresgott Proteus ist ein Meister der Verwandlung. Als Menelaos sich an ihn wandte, um eine Weissagung zu erhalten, verwandelte er sich in eine Vielzahl von Tieren und Gestalten, bevor er ihm schließlich – von dessen Geduld ermattet – eine Antwort gab.
Im Proteus-Kapitel des Ulysses ist es ein Hund, der diese Verwandlungen durchmacht – jedoch in der Phantasie von Stephen, der den Hund bei seinem Spaziergang am Strand von Sandymount beobachtet. Das Umhertollen des Hundes, bis dieser schließlich auf einen Hundekadaver trifft („Ach, du armes Hundeaas, du! Hier liegt des armen Hundeaases Aas.“ – Und nicht ganz zufällig hatte auch Buck Mulligan Stephen als „Hundeaas“ bezeichnet), beschreibt Joyce in einer furiosen kraftvollen und metaphernreichen Prosa.
Das Kapitel ist geprägt vom Gedankenstrom Stephens. Der Wechsel zwischen Realem und Gedachtem erfolgt unangekündigt und wird dem Leser häufig erst im Nachhinein bewusst. Der Spaziergang hat offensichtlich kein Ziel – eine Rückkehr zum Martello Tower kommt nicht in Betracht, und ein anderes Zuhause hat Stephen nicht. Er fragt sich, ob er seiner Tante einen Besuch abstatten sollte, doch während er nachsinnt, verpasst er den Weg zu ihr („An der Abzweigung zu Tante Sara bin ich schon vorbei. Geh‘ ich denn nicht hin? Anscheinend nicht.“). Schließlich lässt er sich nieder und schreibt einige Gedichtzeilen. Zum Ende des Kapitels erblickt er einen Dreimaster, „ein schweigendes Schiff“, das „heimwärts, stromauf“ fährt – ein Hinweis darauf, dass Stephen in Dublin keine Heimat mehr sieht.
4. Kapitel – Kalypso
Zur gleichen Zeit wie Mulligan bereitet auch Leopold Bloom das Frühstück in seinem Haus in der Eccles Street 7 für seine Frau Molly und dann für sich zu. Der Leser wird mit der Gedankenwelt Blooms vertraut gemacht. Die äußeren Handlungen und Eindrücke vermischen sich mit seinen persönlichen Empfindungen und Gedanken. Beim Metzger Dlugacz in der Nachbarschaft kauft er eine Schweineniere, die er dann brät: „Den feinen Tee-Dunst riechen, Dampf von der Pfanne, zischende Butter. Nahe sein ihrem schwellenden bettwarmen Fleisch. Ja, ja.“ Dadurch verstößt Bloom gleich bei seinem ersten Auftreten gegen die jüdischen Speisegesetze. Er bringt Molly das Frühstück und die Morgenpost ans Bett, die einen Brief ihres Liebhabers Blazes Boylan enthält („Während er das Rouleau in sanften Rucken halb hochließ, bemerkte sein rückwärtiges Auge, wie sie einen Blick auf den Brief warf und ihn dann unter ihr Kissen steckte.“). Fast brennt ihm die Niere an – beim Frühstück liest er dann in der Küche den Brief seiner Tochter Milly.
Danach begibt sich Bloom mit der Zeitung auf das Klohäuschen im Hofe, um sich zu erleichtern: „In Ruhe las er, seinen Drang noch unterdrückend, die erste Spalte und begann, schon nachgebend, doch mit Widerstreben noch, die zweite. Auf ihrer Mitte angelangt, gab er seinen letzten Widerstand auf und erlaubte seinen Eingeweiden, sich zu erleichtern, ganz so gemächlich, wie er las, und immer noch geduldig lesend, die leichte Verstopfung von gestern ganz verschwunden. Hoffentlich ists nicht zu groß, geht sonst mit den Hämorrhoiden wieder los. Nein, grade richtig. So. Ah! Bei Hartleibigkeit eine Tablette Cascara sagrada.“ Seine Gedanken drehen sich auch um eine bevorstehende Beerdigung, an der er teilnehmen muss. Bevor er das Klohäuschen betritt, achtet er darauf, seine Hosen nicht dreckig zu machen. Am Ende des Kapitels versucht er herauszufinden, zu welcher Uhrzeit die Beerdigung stattfinden soll.
Der Titel des Kapitels verweist auf Molly, die hier mit der Nymphe Kalypso, die von Odysseus verlassen wird, in Verbindung gebracht wird. Am Abend, bei Blooms Rückkehr, wird sie Penelope sein.
5. Kapitel – Lotophagen
Bloom beginnt seine Wanderung durch Dublin. In diesem Kapitel, das Joyce dem Narzissmus zugeordnet hat, sind Körperpflege und -geruch die vorherrschenden Themen, das Motiv der Blume (Lotos) durchzieht den Text. Auf Umwegen geht Bloom zum Postamt und holt einen Brief ab. Wir erfahren, dass er unter dem Pseudonym „Henry Flower“ mit einer gewissen Martha korrespondiert, wodurch diese Konnotation seines Namens verstärkt wird. Der Brief enthält eine zerdrückte gelbe Blume: „Er riß mit Ernst die Blume aus der Nadelheftung, roch ihren fast gar keinen Ruch und brachte sie an seiner Herztasche an. Blumensprache. Die mögen sie, weil keiner sie hören kann.“ Das Postskriptum des Briefes („PS: Sag mir doch, was für ein Parfum benutzt Deine Frau.“) beschäftigt ihn den ganzen Tag.
In Sweny’s Drogerie kauft Bloom die berühmte Zitronenseife („Süßes zitroniges Wachs“), deren Duft ihn ebenfalls den ganzen Tag – und somit den ganzen Roman – begleiten wird. Sogar der Körpergeruch des Drogisten spielt während des Kaufes in Blooms Gedanken eine Rolle: „Der Drogist blätterte Seite um Seite zurück. Sandgelb verschrumpelt, so riecht er scheints auch.“ Danach trifft Bloom auf einen flüchtigen Bekannten („Bantam Lyons‘ schwarznägelige Finger entrollten den Stab. Braucht auch mal ne Waschung. Daß wenigstens der gröbste Dreck runterkommt.“). Durch ein Missverständnis meint dieser, Bloom hätte ihm einen Tipp für das nachmittägliche Pferderennen gegeben.
Das Kapitel endet mit der Vorfreude auf sein Bad in einer öffentlichen Badeanstalt, einer beruhigten narzisstischen Betrachtung seines Körpers im Wasser: „Er sah im Geiste seinen bleichen Leib darin ruhen, lang ausgestreckt und nackt […] und sah die dunklen verstrickten Löckchen seines Büschels fluten […], eine schlaffe flutende Blume.“
6. Kapitel – Hades
Nachdem Bloom sich für die Beerdigung frisch gemacht hat, fährt er mit der Kutsche zur Beisetzung. In der Kutsche sitzt auch Stephens Vater, Simon Dedalus. Bloom erblickt Stephen – zum ersten Mal an diesem Tag kreuzen sich ihre Wege – und macht Simon auf ihn aufmerksam: „Da ist grad ein Freund von Ihnen vorbeigegangen, Dedalus, sagte er. – Wer denn? – Ihr Sohn und Erbe.“
Das Gespräch der Passagiere dreht sich – neben Alltäglichem wie der Straßenbahn – um den Tod, um Arten des Sterbens und um Begräbnisse. Entsprechend beherrscht dieses Thema die Gedanken Blooms, für den es unbewusst zum einen mit dem Tod seines Vaters, der sich das Leben genommen hat, zum anderen mit dem Tod seines ersten Kindes – seines Sohnes Rudy, der bereits als Kind starb – verknüpft ist. Immer wieder geht es deshalb bei seinen Reflexionen auf dem Friedhof um Vater-Sohn-Beziehungen, aber auch um die ersten Jahre seiner Ehe, um Schwangerschaft und die Mutter-Kind-Beziehung: „Nur Mutter und totgeborenes Kind werden zusammen in einem Sarg beerdigt. Seh den Sinn schon ein. Ganz klar. Schutz für den Kleinen so lange wie möglich, selbst in der Erde noch.“ Nachdem der Sarg in die Erde gelassen ist, streift Bloom über den Friedhof und denkt noch lange über den Tod nach: „Meins liegt da drüben, nach Finglas zu, die Grabstelle, die ich gekauft hab. Mama, die arme Mama, und der kleine Rudy.“
Der Titel des Kapitels verweist auf den Hades, den Ort der Toten in der griechischen Mythologie.
7. Kapitel – Äolus
In der Setzerei der Tageszeitung versucht Bloom dann, eine Annonce in der Nachmittagsausgabe zu platzieren. Nachdem er das Büro seines Vorgesetzten verlassen hat, kommt Stephen herein, um den Leserbrief für Mr. Deasy abzugeben. Er erzählt den Zeitungsleuten eine Dubliner-Geschichte von zwei alten Jungfern.
Das Kapitel ist eigentlich als Fließtext verfasst, wird jedoch optisch gegliedert, indem es abschnittweise mit den Inhalt zusammenfassenden Überschriften versehen wird. So entsteht der Eindruck von Zeitungsartikeln. Ein Absatz, in dem der Postwagen beschrieben wird, trägt dabei zum Beispiel den Titel
„THE WEARER OF THE CROWN“ – „Der Träger der Krone“, oder wenn Bloom sich mit der Zitronenseife in seiner Tasche beschäftigt, heißt es:
„ONLY ONCE MORE THAT SOAP“ – „Nur einmal noch die bewusste Seife“.
Die Titel sind so gewählt, dass sie tatsächlich journalistische und feuilletonistische Themen aufgreifen könnten, der Inhalt des Kapitels wird somit ironisch gebrochen. Gegen Ende werden die Überschriften dann ins Absurde gedreht, verdoppelt und verdreifacht:
„DIMINISHED DIGITS PROVE TOO TITILLATING FOR FRISKY FRUMPS. ANNE WIMBLES, FLO WANGLES – YET CAN YOU BLAME THEM?“
„Verringerte Finger erweisen sich als zu prickelnd für fröhliche alte Frauenzimmer. Anne popelt, Flo pupt – doch kann man’s verübeln?“
8. Kapitel – Lästrygonen
Bloom bekommt Hunger, ist jedoch durch die Gier der Gäste (die Laistrygonen der Odyssee sind ein menschenfressendes Riesenvolk) und den Dunst in „Burtons Restaurant“ angewidert und verlässt es stehenden Fußes wieder, um bei Davy Byrne ein Gorgonzolasandwich mit Senf zu essen.
Entsprechend geht es in diesem Kapitel auch auf allen sprachlichen Ebenen ums „Fressen“. Es werden nicht nur – wie direkt zu Beginn – dauernd Lebensmittel benannt („Pineapple rock, lemon platt, butter scotch.“ „Ananasbonbons, Zitronenzöpfe, Buttertoffee.“ ), sondern auch wenn Bloom über andere Gegenstände nachdenkt, wie zum Beispiel die Dominanz der katholischen Kirche und der Priester in Irland, tut er dies in entsprechender Terminologie: „Die fressen einem noch die Haare vom Kopf herunter. Selber keine Familie zu füttern. Leben vom Fett des Landes.“ Und selbst der Erzähler greift das Thema auf: „Seine Augen […] erblickten ein Ruderboot, das […] seinen bepflasternden Bord auf der siruppigen Dünung schaukeln ließ.“
Am Ende des Kapitels bemerkt Bloom zufällig Blazes Boylan, den Liebhaber seiner Frau. Sein Gedankenstrom bricht abrupt ab, er flieht in die Bibliothek.
9. Kapitel – Scylla und Charybdis
Dieses Kapitel spielt in der Nationalbibliothek. Hauptsächlich geht es um das Werk Shakespeares, das in den Gesprächen zwischen Stephen, Mulligan und einigen Gelehrten mit Leben gefüllt wird. Entgegen einer rein ästhetischen Deutung („Ich [Russell] finde, wenn wir die Poesie des König Lear lesen, was schert es uns, wie der Dichter lebte?“) legt Stephen seine biographische Interpretation vor. Diese kulminiert in der – von Stephen selbst nicht ernst genommenen – These über Hamlet, dass der Geist des Königs Shakespeare selbst und Prinz Hamlet die Verkörperung des mit elf Jahren verstorbenen unbekannten Sohnes des Dichters, Hamnet, darstelle: „Was seine Familie betrifft, sagte Stephen, so lebt seiner Mutter Name im Wald von Arden. Ihr Tod brachte ihm die Szene mit Volumnia im Coriolan. Seines Knabensohns Tod ist die Sterbeszene des jungen Arthur im König Johann. Hamlet, der schwarze Prinz, ist Hamnet Shakespeare.“
In dem Kapitel geht es jedoch auch um Buchwissen in größerem Rahmen. Berühmte Namen der Weltliteratur (Platon, Boccaccio, Cervantes, Goethe, Maeterlinck, Dumas) wie der englischen (Wordsworth, Coleridge, Tennyson, Shelley) und der irischen Literatur (Shelley, Yeats, Shaw) werden aufgerufen. Die Bücher werden zueinander in Beziehung gesetzt – was auch auf das Verfahren verweist, das Joyce selbst in seinem Ulysses anwendet: „Heute würden wir natürlich keine nordische Sage mehr mit einem Roman-Exzerpt von George Meredith kombinieren […]. Er [Shakespeare] verlegt Böhmen ans Meer und läßt Odysseus Aristoteles zitieren.“
Obwohl Bloom sich ebenfalls in der Bibliothek befindet, treffen Stephen und er sich jedoch nicht, da Bloom es vorzieht, das Gesäß einer Statue der Venus Kallipygos eingehender zu betrachten. Der Titel des Kapitels verweist auf seine Versuche, niemandem direkt zu begegnen, und auf die Thesen und Antithesen, mit denen Stephen und seine Gesprächspartner ihren dialektischen Disput führen.
10. Kapitel – Symplegaden
Im Kapitel „Irrfelsen“ weicht Joyce von seinem literarischen Leitfaden ab: Die „Irrfelsen“ ?? ??????????? Symplegaden werden in der Odyssee nur erwähnt und bilden keine eigene Episode. Odysseus vermeidet sie vielmehr, von Kirke gewarnt, und nimmt den Weg zwischen Skylla und Charybdis hindurch. Die Irrfelsen – kleine Inseln, die sich hin- und herbewegen und Schiffe, die zwischen ihnen hindurch zu steuern suchen, zu zerschmettern drohen – werden vielmehr sowohl von den Argonauten auf ihrer Fahrt als auch von Aeneas auf seinem Weg nach Italien durchquert.
In 19 Episoden werden Erlebnisse unterschiedlicher Bürger von Dublin erzählt, teilweise überschneiden und durchdringen sich diese Begebenheiten wie auch die Bewusstseinsströme der Protagonisten. „Irrfelsen“, bewegliche Felsen, rahmen das Kapitel ein: Zu Beginn sehen wir Father Conmee, stellvertretend für den geistlichen „Felsen“ Irlands, die katholische Kirche, der dem Sohn des verstorbenen Paddy Dignam einen Platz im Jesuitenkolleg von Artane sichern will. Am Ende des Kapitels steht der irische Vizekönig, der mit seiner Eskorte zur Eröffnung eines Basars fährt, als „weltlicher Felsen“ der Macht. Die Liffey – als Bosporus interpretierbar – trennt dabei Osten und Westen. Zwischen zwei „fremden“ Mächten (Kirche, Großbritannien) droht Irland wie zwischen den Irrfelsen aufgerieben zu werden und sich selbst zu verlieren.
Im Irrfelsen-Kapitel verlässt der Roman Bloom und Stephen Dedalus für eine Stunde; nur selten taucht Blooms schwarzer Anzug oder ein gebildeter Stephen-Gedanke im Gewirr der Bewusstseine auf. Das Kapitel widmet sich den anderen Bürgern Dublins und ihrem Alltag.
11. Kapitel – Sirenen
Bloom speist mit Stephens Onkel Richie Goulding im Ormond-Hotel, während Blazes Boylan, der gerade auf dem Weg zu Molly ist, vorbeigeht. Blooms Gedanken sind von seiner Eifersucht geprägt, weshalb er seine Umwelt und auch die Reize der Bardamen Miss Douce und Miss Kennedys nur bedingt wahrnimmt.
In diesem Kapitel steht die Musik im Vorder- und Hintergrund: In der Bar wird gesungen, die Herren verlangen von den Bardamen, sie mögen „sonner la cloche“ – „die Glocke ertönen lassen“ – eine der Damen tut ihnen den Gefallen und lässt ihren Strumpfhalter auf den Oberschenkel schnalzen. Die Figuren sprechen über musikalische Themen – der Tratsch über Molly bezieht sich hier vornehmlich auf ihre Tätigkeit als Sängerin –, Lied- und Melodiefetzen scheinen in ihrem Bewusstsein auf. Die Struktur des Kapitels ist musikalisch geformt: So kann man die ersten Seiten als Ouvertüre bezeichnen, denn hier werden eine Reihe von – dem Leser zunächst unverständlichen – Sätzen exponiert, die erst im weiteren Verlauf ausgeführt werden und somit ihren Sinn im Handlungsgefüge erhalten, dann wiederholt und variiert werden. Der erste „Satz“ lautet zum Beispiel „Bronze bei Gold hörte die Hufeisen, stahlklingend.“ Zwei Seiten später wird er sinnhaft erweitert: „Bronze bei Gold, Miss Douces Kopf neben Miss Kennedys Kopf über der Kreuzblende der Ormond-Bar, hörte die vizeköniglichen Hufe vorüberklappern, klingenden Stahl.“ – was gegen Ende bruchstückhaft wieder aufgegriffen wird: „Nah Bronze von nah, nah Gold von fern“. Die Sprache selbst ist rhythmisch. Teilweise imitiert sie den Rhythmus bestimmter Lieder. Dies ist als weiterer Versuch Blooms, den Gedanken an Mollys Ehebruch durch Erinnern oder Summen bestimmter Melodien zu verdrängen, interpretierbar. Dabei verwendet Joyce nicht nur musikalische Fachbegriffe („Eine Duodene von Vögeltönen zwitscherte hell diskantene Antwort“), sondern setzt auch musikalische Zeichen ein, wie das Wiederholungszeichen „:“, das auf Blooms kreisende Gedanken hinweist. Verschiedene Geräusche werden lautmalerisch dargestellt („Tapp.Tapp. Ein Jüngling, blind, mit tappendem Stock, kam tapptapptappend an Dalys Fenster vorbei“). Die Personen und ihr Handeln werden vom Erzähler mit Begriffen und zahlreichen Zitaten aus musikalischen Werken beschrieben, wobei das Spektrum (meist irische) Volkslieder bis große Bühnenwerke wie Mozarts Don Giovanni umfasst. Unter anderem werden Meyerbeer, Händel, Mozart, Verdi, Offenbach, Donizetti und Bellini zitiert. Insgesamt sind Anspielungen auf über 150 musikalische Werke entdeckt worden.
Die titelgebenden Sirenen werden durch die Bardamen (hinter einem „Thekenriff“) repräsentiert, deren Verführungskünsten Bloom wie seinerzeit Odysseus ohne Gefahr gegenübertreten kann.
12. Kapitel – Der Zyklop
Für dieses Kapitel wählte Joyce verschiedene Formen des Berichtes. So wird es zum einen aus der Perspektive eines namenlosen Mannes erzählt, der unterwegs Hynes trifft, mit ihm in den Pub geht und dort auf Alf Bergmann und den sogenannten „Bürger“ stößt. Später kommt Bloom hinzu, um auf Martin Cunningham zu warten. Für diese Textpassagen wird ein schnodderiger, den mündlichen Sprachduktus imitierender Slang verwendet: „Igittigitt! Und das nimmt und nimmt kein Ende, das Gefaxe mit dem Pfötchengeben und Alf versucht die ganze Zeit, daß er nicht von dem verdammten Barhocker runterrutscht und dem verdammten alten Hund obendrauf, und dabei redet er allen möglichen Stuß vonwegen Erziehung durch Güte und reinrassiger Hund und intelligenter Hund: Die Krätze hätt man kriegen können.“ Diese Passagen werden zu anderen in Kontrast gesetzt, die sich eines elaborierten Stiles bedienen, der die Schriftlichkeit gehobener Zeitungsberichte nachahmt und parodiert (Eine literarische Technik, die Joyce selbst „Gigantismus“ nannte): „Das letzte Lebewohl war ungemein ergreifend. Von den Glockentürmen fern und nah läutete unablässig die Totenglocke, indessen um den finsteren Bezirk die unheilkündende Warnung von wohl hundert gedämpften Trommeln rollte, bekräftigt vom Dröhnen zahlreicher Artilleriegeschütze.“
Das Thema des Kapitels ist der Antisemitismus, dem Bloom ausgesetzt ist. Der Bürger stellt sich als engstirniger irischer Nationalist heraus und fängt an, Bloom zu belästigen. Schnell treten seine antisemitischen Ansichten hervor, und die Atmosphäre wird immer gespannter. Als Martin Cunningham schließlich eintrifft, nimmt er Bloom mit sich, da dieser gerade begonnen hat, sich verbal gegen die Attacken zu wehren. Der schreiende und tobende Bürger wirft eine Keksdose hinterher – wie Polyphem, der Odysseus einen Felsen nachschleudert.
Der gehobene Schreibstil mündet gegen Ende in eine Imitation des Verkündigungstones der Prophezeiungen des Alten Testamentes. „Und dann sehn wir bloß noch, wie die verdammte Kutsche um die Ecke saust und Old Schafsgesicht obendrauf am Fuchteln ist“ wird ‚übersetzt‘ in: „Und es kam eine Stimme vom Himmel und rief: Elias! Elias! Und er antwortete ihr mit einem mächtigen Schrei: Abba! Adonai! Und sie sahen Ihn, ja Ihn, Ben Bloom Elias, inmitten von Wolken von Engeln auffahren zur Herrlichkeit der Helle in einem Winkel von fünfundvierzig Grad über Donohoe in der Little Green Street“. Auch auf diese Weise wird das Judentum in diesem Kapitel thematisiert.
13. Kapitel – Nausikaa
Drei junge Mädchen gehen am Strand von Sandycove spazieren, wo sich auch Bloom aufhält. Die Mädchen necken sich gegenseitig und wollen gerade den Heimweg antreten, als ein Feuerwerk beginnt. Zwei von ihnen gehen ein Stück weiter, um eine bessere Sicht zu haben, die dritte, die gehbehinderte Gerty MacDowell, aus deren Perspektive die erste Hälfte des Kapitels erzählt wird, bleibt. Sie und ihre Welt werden sprachlich in der Form sentimentaler viktorianischer Trivialromane dargestellt: „Gerty MacDowell, die unweit von ihren Gespielinnen saß, in Gedanken verloren, den Blick in die weite Ferne gerichtet, war wirklich und wahrhaftig ein Muster liebreizender junger irischer Weiblichkeit […]. Die wächserne Blässe ihres Gesichts wirkte fast vergeistigt in ihrer elfenbeingleichen Reinheit, obschon ihr Rosenknospenmund ein echter Amorsbogen war, griechisch vollkommen.“ Sie setzt sich auf einen Stein, hebt ihre Röcke, um Bloom zu erregen. Dabei stilisiert sie diese Anmache zu einer romantisch-wilden großen Liebe: „Sie hätte gerne nach ihm, erstickend fast, hätte gern die schneeigen Arme ausgestreckt nach ihm, daß er käme, daß sie seine Lippen auf ihrer weißen Stirn fühlte, eines jungen Mädchens Liebesschrei.“
Bloom, aus dessen Sicht der zweite Teil des Kapitels geschildert ist, war an den Strand gekommen, um etwas Ruhe zu finden. Er geht auf die Anmache ein, wobei das junge Mädchen in seinen Gedanken – um sich aufzugeilen – zum „durchtriebenen Luder“ wird: „Teufelinnen sind sie, wenns über sie kommt. Dunkles teuflisches Aussehen.“ – Er masturbiert in der Hosentasche, wobei ihm – wie bewusst, lässt sich wie so oft in diesem Roman auch hier schwerlich sagen – Assoziationen an Molly und ihren Liebhaber durch den Sinn gehen: „War das vielleicht grad der Moment, wo er, sie?/ Oh, er hats. In ihr. Sie hats. Geschafft/ Ah!/ Mr. Bloom zog sich mit sorgsamer Hand das nasse Hemd zurecht. Meingott, dieser kleine hinkende Teufel. Fühlt sich langsam doch kalt an und klamm. Die Nachwirkung nicht gerade angenehm. Trotzdem, irgendwie muß mans ja loswerden.“ Blooms Orgasmus wird durch die Beschreibung des gleichzeitig stattfindenden Feuerwerks geschildert.
Gegen Ende des Kapitels beschäftigt Bloom sich noch mit dem Brief von Martha, der somit – zusammen mit seinem voyeuristischen Erlebnis am Strand – den Status einer kleinen Rache an seiner ihn ständig betrügenden Frau erhält.
14. Kapitel – Die Rinder des Sonnengottes
Im Frauenspital von Dublin liegt Mina Purefroy, eine Bekannte Blooms, in den Wehen. Bloom möchte sie besuchen, wird jedoch nicht zu ihr vorgelassen. Stattdessen begibt er sich in den Aufenthaltsraum der Ärzte und trifft dort auf Stephen, der mit Buck Mulligan und anderen Medizinstudenten ein Saufgelage abhält. Später ziehen alle los, um in einem Pub weiterzutrinken, und danach weiter zum Bordell der Bella Cohen.
Dieses ist das berühmte Kapitel, in dem die Entwicklung des Sprachstils und der Sprache selbst vom Altenglischen bis zum zeitgenössischen Dubliner Slang den Wachstum des Embryos im Mutterleib widerspiegelt. Dabei imitiert Joyce den Prosastil verschiedener Epochen und entwirft passende Szenarien. Die Helden unseres Romans agieren abschnittweise wie typische Figuren dieser Texte. So macht beispielsweise unser Protagonist im Laufe des Kapitels folgende Metamorphose durch:
„Ein man aldo stant der ein farensman waz an des hvs tor da nacht nider nu kam. Von Jisraels volc dise man waz vn haert gewandelet vil vnde gefaren vf erden.“
„Unde Childe Leopold offent sin helmevenster umb daz er ihm gevellic seie und tat er ein lützel zoc under ougen uz vriuntschaft danne er niemer sunsten nit tranc iender ein met“,
„Aber Sir Leopold war arg duster nun […] vnd er gedaht an sein gut frauwe Marion die jm ein einzicht menlich kint geboren welchs war am seim eilfften lebens tag gestorben vnt kont nit gerett werden vonne keins menschenkunzt also dunkel ist das schicksal.“
„Leop. Bloom dort wegens einem schwechzufall den er hett, fühlte sich jetzund aber beßer, nemblich hett ein wunderlich gesicht gehabt dießen abend von seiner dame Mrs. Moll mit rothen pantoffelen und türckischen kniehosen welches von kennern wird für ein zeichen deß wechsels gehalten.“
„Um nun zu Mr. Bloom zurückzukehren, so hatte dieser gleich bei seinem Eintritt wol so mancherley schamloses Gespötte bemerkt, dasselbe jedoch als die Früchte jenes Alters ertragen, welches gemeinhin dafür gilt, daß es kein Mitleid kennet. Die jungen Spunte steckten, das ist wahr, so voller Streiche als wie große Kinder: die Worte ihrer lärmenden Debatten waren nur schwer zu verstehen und oftmalen nicht eben lieblich.“
„[So] brach bald ein lebhafter Zank der Zungen aus […] und im beiderseitigen Konsens wurde die schwierige Frage dem Herrn Inseratensammler Bloom mit dem Auftrage vorgelegt, sie alshald dem Herrn Koadjutor Diakon Dedalus zu submittiren. Bisher schweigsam, ob aus dem Grunde, durch übernatürlichen Ernst nur um so besser jene wunderliche Würde des Gehabens zu entfalten, welche ihm eigen war, oder aus Gehorsam gegen eine innere Stimme, zitierte er kurz und, wie einige meinten, recht obenhin die geistliche Regel, welche dem Menschen zu scheiden verbietet, was Gott zusammengefügt.“
„Nicht länger mehr ist Leopold, wie er dort sitzt, sinnierend, das Futter der Erinnerung wiederkäuend, jener nüchterne Werbeagent und Inhaber eines bescheidenen Päckleins Obligationen. Er ist der junge Leopold, wie in retrospektivem Arrangement, ein Spiegel in einem Spiegel (he, presto!), er betrachtet sich selbst.“
„[J]ener wachsame Wanderer […], welch letzterer noch bedeckt war vom Reise- und Kampfesstaub und befleckt vom Kote einer untilgbaren Schändlichkeit, aus dessen standhaftem und beständigem Herzen jedoch nicht Lockung noch Gefahr noch Drohung noch Erniedrigung je konnte das Bild einer wollüstigen Lieblichkeit reißen, welches der begnadete Stift Lafayettes für alle künftigen Zeiten aufgezeichnet hat.“
„Hinaus stürzt unser Herr Stephen mit einem Schrei, und Krethi und Plethi hinter ihm her, der ganze Verein, Draufgänger, Maulaffen, Wettschwindler, Pillendoktor, Bloom der Pünktliche ihnen auf den Fersen, unter allgemeinem Gegrapsche nach Kopfbedeckung, Eschenstöcken, Degen, Panamahüten und Degenscheiden, Zermatt-Alpenstöcken und was nicht sonst noch allem.“
„Bravo, Isaacs, man immer wech mit ihnen aus dem Scheißrampenlicht. Komm‘ Se mit, Verehrtester? Aber woher denn aufdringlich, im Leben nich. Bloom is sich serr gute Mann.“
„Wohnt nicht weit vom Mater. geht auch im süßen Joch der Ehe. Kennst seine Holde? Jau, klar doch, det tu ick. Janz flottet Pflänzken. Hab sie mal im Näcklischee jesehn. Also da kommt janz schön wat raus, wenn die Pelle runter jeht.“
„Von wem hast du den Tip gehabt eigentlich, für das Füllen? […] Von Meister Iste, ihrem vertrauten Manne. Kein Schmu, von dem ollen Leo. […] So ein Dreckskerl von einem scheinheiligen Lügner. […] Ja, also, sag ich, wenn das nich die typisch jiddsche mloche is, ja, dann will ich ne missemeschune haben. […] Was? Wein für den Schleimer Bloom. Was hör ich, was redst du da von Zwiebeln? Bloo? Schnorrt sich Anzeigen zusammen? Von der Photographin das Pappilein, schau mal einer an!“
15. Kapitel – Circe
In diesem Kapitel, dessen Inhalt einer einzigen phantastischen Halluzination gleicht, besuchen sowohl Bloom als auch Stephen – noch von der Gegenwart des anderen nichts ahnend – Bella Cohens Bordell im Red-light district Dublins. In einer Art „Traumspiel“ greift Joyce das Thema der Vaterschaft erneut auf und parodiert es in extremer Weise, indem er Bloom zur Frau und schwanger werden sowie gebären lässt. In einer sado-masochistischen Sequenz wird er von der Domina Bella zur gegenseitigen Lust gequält: Wie Circe die Gefährten des Odysseus in der Odyssee in Schweine verwandelt, werden hier durch die Macht der Puffmutter die untersten, dreckigsten Seelenschichten der beteiligten Personen nach oben gekehrt. Am Ende flieht Stephen, von Bloom begleitet, aus dem Bordell. Nachdem Stephen draußen von einem Soldaten niedergeschlagen wird, kümmert sich Bloom – hier nun wieder in einer fürsorglichen Vaterrolle – um den Bewusstlosen.
Um dieses Kapitel zu interpretieren, wurden häufig psychoanalytische Vergleiche gezogen. Da Circe schon im antiken Mythos als Zauberin dargestellt wird, schien es ebenfalls nahezuliegen, den Themenbereich „Hexe“, „Hölle“ und „Teufel“ hinzuzunehmen: So ist dies Kapitel als „Satansmesse des freigesetzten Unbewussten“ bzw. als „tiefenpsychologische Walpurgisnacht“ beschrieben worden.
Dies ist das längste Kapitel des Ulysses und in Form eines Dramas geschrieben. Inhalt und Stil erinnern auch an Antonin Artauds surreales Theater.
16. Kapitel – Eumaeus
Bloom und Stephen gehen ins Cabman’s Shelter, um etwas zu essen, und treffen dort unter anderem auf einen betrunkenen Matrosen, der von seinen Seefahrten berichtet. Bloom – auch hier in der Vaterrolle – kümmert sich um den betrunkenen Stephen, und nach und nach wächst seine Sympathie für den jungen Dedalus. Am Ende des Kapitels bietet Bloom Stephen an, die Nacht bei ihm zu verbringen.
17. Kapitel – Ithaka
Es ist etwa zwei Uhr in der Nacht. Bloom nimmt Stephen mit zu sich nach Hause. Bloom hat seinen Schlüssel vergessen. Er klettert durch ein Fenster ins Haus und schließt dem wartenden Stephen die Tür von innen auf. Bloom bietet Stephen an, in der Eccles Street 7 zu übernachten.
„Wurde der Vorschlag der Asylgewährung angenommen?“
„Er wurde prompt, unerklärlicherweise, auf liebenswürdige Art, mit Dank abgelehnt.“
Sie urinieren gemeinsam im Hof gegen den Zaun und Stephen geht. Bloom verrichtet noch die eine oder andere Handlung und geht dann zu Bett.
War das Kapitel, in dem Vater und Sohn – auf die Odyssee bezogen: Odysseus und Telemach – sich trafen, so greift „Ithaka“ die Episode auf, in der Odysseus sich seinem Sohn zu erkennen gibt. Die Themen dieses Kapitels sind entsprechend einerseits Erkennen und Erkenntnisprozesse, andererseits Vater-Sohn-Beziehungen. Die Handlung wird – mühsam und umständlich – in Form von pseudo-wissenschaftlichen Fragen und Antworten erzählt. Joyce greift dabei auf den Katechismus zurück. Diese Technik, durch die die Szenen eher aufgelöst als dargestellt werden, steht in ironischer Distanz zu dem warmen, freundschaftlichen Gefühl, das zwischen den beiden Männern entsteht. Dass Bloom seinen Schlüssel vergaß, klingt so:
„Welche Handlung führte Bloom beim Eintreffen an ihrem Bestimmungsort aus?“
„Auf der Haustreppe der 4. der äquidifferenten ungeraden Nummern, Eccles Street Nummer 7, führte er mechanisch die Hand in die Gesäßtasche seiner Hose, um den Wohnungsschlüssel herauszuholen.“
„Befand dieser sich dort?“
„Er befand sich in der entsprechenden Tasche der Hose, welche er am vorvorangegangenen Tage getragen hatte.“
„Warum wurde er hierdurch doppelt zum Zorn gereizt?“
„Weil er vergessen hatte und weil ihm einfiel, dass er sich zweimal gemahnt hatte, nicht zu vergessen.“
„Welche Alternativen boten sich nunmehr dem vorsätzlich und (respektive) schlüssellosen Paar?“
„Rein oder Nichtrein. Klopfen oder Nichtklopfen.“
Die genaue Analyse der Situation als Fragespiel verweist ebenfalls auf das psychoanalytische Verfahren nach Sigmund Freud, bei dem eine – wie es ja Stephens psychischer Lage entspricht – fehlende Vaterfigur evoziert werden kann, indem der Psychoanalytiker in Form von Fragen und Antworten eine therapeutische Beziehung zu seinem Patienten aufbaut.
18. Kapitel – Penelope
Es ist Nacht in Dublin. Leopold Bloom hat sich zu Mollys Füßen ins Bett gelegt. Diese erwacht nur halb aus dem Schlaf, ihre Gedanken strömen frei. Der Tag mit allen seinen Eindrücken, Erlebnissen, Geräuschen spielt sich wieder in ihrem Bewusstsein ab. Wie im Traum oder Halbschlaf spielen Erinnerungen und Assoziationen in den Gedankenstrom hinein. Kindheitserinnerungen, erotische Gedanken, Erinnerungen an ihre Jugend in Gibraltar, Gedanken an die Kinder und ihren Mann Leopold, an frühere Wohnorte strömen in acht langen Sätzen ohne Punkt und Komma durch Mollys und der Leser Hirn.
Im Einschlafen denkt Molly daran, wie sie Leopold Bloom schließlich als Partner akzeptierte:
„und ich hab gedacht na schön er so gut wie jeder andere und hab ihn mit den Augen gebeten er soll doch nochmal fragen ja und dann hat er mich gefragt ob ich will ja sag ja meine Bergblume und ich hab ihm zuerst die Arme um den Hals gelegt und ihn zu mir niedergezogen daß er meine Brüste fühlen konnte wie sie dufteten und das Herz ging ihm wie verrückt und ich hab ja gesagt ja ich will Ja.“
Mollys „Ja“ beschließt den Roman. Ulysses/Odysseus ist nach langer Irrfahrt zu Hause angekommen. Der Tag ist abgeschlossen, der Held ruht wieder bei seiner Frau. Das große Werk eines alltäglichen Lebenstages ist getan, „und siehe, es war sehr gut.“
Homer:
„Aber Eurynome führte den König und seine Gemahlin
zu dem bereiteten Lager und trug die leuchtende Fackel;
Als sie die Kammer erreicht, enteilte sie. Jene bestiegen
Freudig ihr altes Lager, der keuschen Liebe geheiligt.“