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NOSTRANIMA Zusätzliche Leseprobe

KAPITEL 301

Wieder einmal ein Reparaturtermin beim sogenannten Lebensmenschen, Brigitte – oder sind wir noch bei Señorita Brígida? Diskutiert wieder einmal die, die du hättest sein können, mit der, die du vermutlich bist?

BRIGITTE:
Ach was, halt mich einfach fest. Ich komme gerade von dort, wo angeblich mein Zuhause ist, und es ist alles so deprimierend. Sicher – alte Beziehungen aufwärmen bedeutet im Normalfall „Gottseidankistnichtsdarausgeworden!” Aber umgekehrt, wie jetzt mit dir, das hätte sich doch ganz gut entwickelt.

So würde DDD’s Mama auch argumentiert haben, hätte sie von der späteren flüchtigen Begegnung ihrer Tochter mit mir erfahren: Wie hast du dich nur gegen ihn gespreizt, diesen heute noch ganz attraktiven, jedenfalls wohlsituierten Menschen, nur weil du dachtest, er wäre ein wenig pervers! Welcher Mann ist das bitte sehr nicht – da heißt es Augen zu und durch. Besser das eine oder andere zu schlucken mit einem feschen Reichen als die Zeit zu verplempern mit einem dummen Armen.

BRIGITTE:
Du weißt natürlich schon wieder alles!

Ich weiß auch, dass dein Mann weiß, dass er für dich nur zweite Wahl gewesen ist. Er ist, anders als das Kerlchen von DDD, das gar nicht ahnt wie ihm geschieht, intelligent genug um zu verstehen, wenngleich ihm der Sinn für notwendige Konsequenzen abgeht. Wenn ich mich recht erinnere, war er sogar ein sehr triebhaft veranlagter Bursche, der seine Rolle natürlich nicht a priori darin sah, für den Omas und Opas erfreuenden Pflichtnachwuchs zu sorgen.

BRIGITTE:
Harte Worte…

… aber angesichts einschlägiger gemeinsamer Erlebnisse (denn er und ich kennen uns ja schon lange) wohlerwogen. Frag ihn einmal nach Jeannine Reynaud!

BRIGITTE:
???

Eine Schauspielerin, die wir – leider – nur auf der Leinwand gesehen haben, in den 60ern, als Pornographie noch sehr verborgen, aber dafür wesentlich besser war als heute. Ich sehe noch das Ende eines dieser dunkelfarbig-schwülstigen Filme vor mir: Die Gutsbesitzerin wird auf der Wiese vor dem lichterloh brennenden Herrenhaus vom Brandstifter vergewaltigt (ich spare uns die Einzelheiten). Sie wehrt sich nach Kräften, so weit es ihr die Außergewöhnlichkeit der Situation, die auch sie nicht ganz kalt lässt, erlaubt. Als Feuerwehr und Polizei eintreffen, erledigt einer der Ordnungshüter den Mann nach einem kurzen Warnruf, der ungehört verhallt, durch einen Schuss in den Rücken. Dabei wird der Getroffene geradezu in sein Opfer hineingeschleudert, als er den letzten entscheidenden Stoß führt. Die Dame erlebt einen zwar möglicherweise un-erwünschten, aber unaufhaltsamen Orgasmus (jedenfalls tut Jeannine Reynaud so als ob), ausreichend für deinen späteren Mann und mich: wir konnten nicht anders, mussten Hand an uns legen…

BRIGITTE:
Wie klein doch die Welt ist: Zwei für mich nicht unwesentliche Herren aus meinem Bekanntenkreis beim gemeinsamen Alleinverkehr!

Fall mir jetzt nicht ins Wort mit Bemerkungen über unseren damaligen körperbezogenen Gemütszustand. Natürlich gingen wir etwas wackelig aus dem Kino. Ich verweise aber zugleich auf dein Abenteuer mit Don Julio, den du aus purer Neugier ergründet hast (und auch er tat ja gar nichts außer geil wie ein Bock auf dich zu sein).

BRIGITTE:
Er war in der intimen Begegnung so direkt, völlig anders als beim Renaissanceritual, das er in Gesellschaft pflegte. Nach einer unbestimmten Zeit, in der ich ihn noch angenehm in mir gefühlt hatte, stand er wieder da, als sei nichts geschehen, die Hose geschlossen, den Ärztemantel korrekt geknöpft, ganz Wissenschaftler, möchte man sagen, und ich lag noch immer da, mit geöffneten Beinen, im Hintergrund das Panorama mit der dunstverhangenen Giralda.

Irgendwann wird er vielleicht wieder etwas gesagt haben?

BRIGITTE:
Er dozierte ein wenig: Bei den Pavianen ist die Sache klar. Das Weibchen zeigt mit flammend rotem Hinterteil an, dass es empfängnisbereit ist, selbstverständlich nur in Verbindung mit einem ausgiebigen guten Liebesspiel. Bei unserer Gattung ist das schon viel komplizierter: Beide Geschlechter können und wollen theoretisch immer (wer weiß wozu, aber es ist so), und daher muss der Sex, um Lustlosigkeit vorzubeugen, in einer Zeit, in der man ihn von Zeugung und Aufzucht entkoppelt hat, wie ein Kunstwerk sein. Wie bei jeder Kunst bedarf es aber auch hier einer wohlerworbenen und ausgereiften Technik, und da müssen wir schon weiter zu-rückgehen in unserer Ahnenreihe als ins 19. Jahrhundert! Wie Recht ich doch hatte mit meiner Vermutung über seine griechisch-gotisch-maurischen Vorfahren!

Er war natürlich Experte, als Gynäkologe und als Spanier, wobei seine inoffizielle Stellung als Psychotherapeut seiner Patientinnen ein Übriges tat. Die alte Macho-Herrlichkeit schien da-hinzuschwinden, denn in den zunehmend physisch und emotional gleichberechtigten Beziehungen war die alte Machtverteilung obsolet. Am Horizont sah er eine funktionale Dekonstruktion von Lebensbindungen – aus der Sicht einer wahrhaft emanzipierten Frau würde es drei Partner parallel geben: einen fürs harmonische Zusammensein, einen für lustvolle Nummern und einen als Samenspender.

BRIGITTE:
Dann habe ich ihn also instinktiv ganz richtig verstanden. Im Bewusstsein, eine solche Entwicklung nicht aufhalten zu können, versuchte er diesen Tiefschlag gegen das traditionelle männliche Rollenverständnis für sich selbst hintan zu halten, indem er sich beeilte, all dem zuvorzukommen und damit das Gesetz des Handelns bei sich zu behalten. Zusammenleben (al-lerdings anders als er sich das vor-stellte) wollte mit ihm nur Doña Margharita, während hingegen die Damen, die seine Praxis aufsuchten, eher auf den Typ 2 oder 3 aus waren: mehr oder weniger offenes Ausleben sexueller Neigungen außerhalb ihrer normalen Partnerschaft oder ein Kinderwunsch, der mit dem offiziellen Gespons aus irgendeinem Grund nicht erfüllbar war. Das eine oder das andere zu diagnostizieren und umgehend zu therapieren, war abgesehen von der normalen ärztlichen Hilfestellung sein Beruf.

Und du warst natürlich die große Ausnahme in diesem weitläufigen Konzept! Dir gegenüber war es nicht Pflicht sondern Neigung!

BRIGITTE:
Ich war für ihn keine von denen, die ihm sagten, wie oft sie was gerne hätten, hab mich einfach angeboten, und da bekam er vielleicht einmal das, was er wollte.

Aber er konnte, zumal ob seines etwas vorgerückten Alters ohnehin auch bei den anderen keine Sexmaschine sein. Schön und gut – ihm standen alle ärztlichen Geheimnisse und Mittel zur Verfügung, doch auch dann gibt es jedenfalls Grenzen.

BRIGITTE:
Vielleicht hatte er einfach die Gabe, die Damen…

… auch dich …

BRIGITTE:
… das sehen zu lassen, was sie sehen wollten!

Also es würde jetzt zu weit führen, über Möglichkeiten zu spekulieren, die unabhängig von seiner eigenen, gewissermaßen natürlichen Potenz waren. Vielleicht war er ein heimlicher indischer Heiliger, denn da wären ihm natürlich noch andere Wege offengestanden: etwa die Manipulation der Gehirnwellen mit dem Ziel außergewöhnlicher Bewusstseinszustände oder, anders ausgedrückt, die Regulierung von Gehirnstrommustern, und zwar sowohl bei sich selbst als auch bei anderen. Vielleicht ließ er also jene Damen (und auch dich) unter den Schirm seiner positiven Energie schlüpfen und verkaufte ihnen (sowie dir) dies als Paradies auf Erden, als Ziel ihrer (sowie deiner) Wünsche.

BRIGITTE:
Jetzt hast du mir noch immer nichts von Indien erzählt! Denn das was ich bis jetzt gehört habe, ist so klischeehaft, dass es dazu keiner wahren Erleuchtung bedarf: Hermann Hesse gelesen, Timothy Leary verschlungen, Indienreise gemacht, den Spuren von George Harrison gefolgt, sich von einem Swami erleuchten lassen – schon schließt sich der Kreis, perfekt und klacks!

Alles zu seiner Zeit, meine Liebe, ich jedenfalls bin von dort als ein Anderer zurückgekehrt, und ich wusste Vieles, was ich vorher nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Das Hauptsyndrom unserer abendländischen Gesellschaft, das ich als Beziehungsfalle bezeichnen möchte, sehe ich zwar auf Schritt und Tritt, aber seine Facetten sind allesamt kein Problem für mich: die Männer-sind-Schweine-Ideologie, die Sex-als-Rumpelkammer-Ideologie, die Erotik-muss-gewaltlos-sein-Ideologie und so weiter bringen mich wirklich zum Lachen, obwohl mir klar ist, dass du heutzutage mit solchen Themen ganze Volksbildungs-Kursserien füllen kannst.

BRIGITTE:
Du bist manchmal tatsächlich äußerst verwirrend für eine biedere, wenn auch akademisch gebildete Hausfrau wie mich…

… die natürlich, und das sollte man nicht vergessen, ganz nebenbei auch eine etwas ausgefallene Vergangenheit hat…

BRIGITTE:
Alles zugegeben, noch dazu hier in deinen Armen in einer Situation, die mich wohlig an diese Vergangenheit erinnert, die zum Glück entschärft ist vom damaligen Stress. So ein verheirateter Single wie ich ist unweigerlich verwirrt, aber auch fasziniert von einem, der mich weglockt vom vielzitierten grauen Alltag.

Dessen süßen Versuchungen jedes bieder-hausfrauliche Wesen auf den Leim geht – neinnein, du bist im Herzen jene Künstlerin, also potentiell Ausübende eines Berufes, den dein Don Julio als Voraussetzung für einigermaßen befriedigende sexuelle Beziehungen postuliert hat in einer Zeit, in der sich deren völlige Ablösung vom Fortpflanzungskomplex abzeichnet. Auch wenn sie dagegen wie wild Amok laufen: selbst in den konservativsten Rückzugsgebieten einer traditionellen, das heißt den bloßen Instinkt stützenden Moral benützen die Frauen sichere Verhütungsmittel, und ein Mann, der noch immer ausschließlich dem simplen Mechanismus des Spermien-Wettlaufs folgt, kann machen was er will, er bringt seine Gene nicht an die gewünschte Adresse.

Der spanische Grande hatte im Wissen darüber gar nicht die Absicht, sich mit dir fortzupflanzen, sondern ein mehr oder weniger folgenloses Kunstwerk zu errichten, das aber immerhin, wie man sieht, einen recht dauerhaften Bestand hat, wenn wir heute noch darüber reden. Der Verkehr mit dei-nem Mann hat dir hingegen zwei gesunde Kinder beschert, die du ja auch irgendwie gewollt haben musst, wenn man alles in allem nimmt – den schönen Schein eines erotischen Artefakts wolltest du ihm hingegen nicht bescheren, das wurde in eurer ersten Nacht entschieden, als du dich ihm weder als schamlose Akteurin auf der Bühne des „Flaubert? noch als lasziv vor der Kulisse der Giralda hinge-strecktes Weibsstück präsentiert hast, sondern als eine, die nach ordentlichem Abschminken, Zähneputzen und Duschen nachthemdverhüllt in sein Bett schlüpfte und sich von ihm „unterkriegen? ließ.

BRIGITTE:
(herablassend) Das Hemd hatte Spaghetti-Träger, war vorn wie hinten tief ausgeschnitten und vor allem so kurz, dass es praktisch jede Einsicht möglich machte… alles andere allerdings war schon ein wenig wie du vermutest.

Was blieb ihm dann noch über als – nachdem er erfolgreich zur Reproduk-tion unserer Art beigetragen hatte – mit seinen Phantasien in die Arme je-ner Jeannine Reynaud zurückzukehren und dir die kalte Schulter zu zeigen?

BRIGITTE:
Ganz so düster war’s nicht, darf ich dir versichern. Wir haben schon die eine oder andere flotte Nummer gescho-ben, besonders wenn wir etwas getrunken hatten oder auf irgendeinen externen Reiz angesprungen sind!

Das würdest du wohl bei jedem anderen, zum Beispiel bei mir, recht lächerlich finden, diesen Quatsch von der einen oder anderen tollen Nummer! Und was soll das schon heißen – diese Externe-Reiz-Geschichte?

BRIGITTE:
Wir sind viel ausgegangen, das muss man uns zugute halten, vor allem zogen wir uns eine Menge Kulturereignisse rein. Ein einschlägiger Event, der auch in unserem Schlafzimmer eine positive spätnächtliche Explosion ausgelöst hat, war die Skandalperfomance „Ein Blick in mich”. Der Ort: ein überdimensioniertes Badezimmer im Zentrum einer Kunsthalle mit geka-chelten Wänden, einer funktionierenden Badewanne, Waschbecken, Spiegelschrank, TV-Gerät sogar – ein intimer Raum sozusagen, jedoch zugänglich für das zahlreich erschienene Publikum, darunter der für Kultur zustän-dige Minister. Die Künstlerin, die ihren Körper offenbar mittels Kraftkammer in einen bemerkenswert sportlichen Rohstoff für ihre Aktion verwandelt hatte, schaltete den Fernseher ein (es begann ein Video mit den Rolling Stones zu laufen), entkleidete sich, legte sich auf den Boden und masturbierte. Anschließend stand sie wieder auf, ließ Wasser in die Wanne laufen und nahm ein ausgiebiges Bad. Die Männergesichter (darunter auch das neben mir) wirkten etwas verlegen, weil eben öffentlich gemachter Voyeurismus immer etwas peinlich ist. Die Frauen, zumindest die meisten von ihnen, schienen eher amüsiert: in meiner unmittelbaren Umgebung hörte ich Fachkommentare über Dauer und Echtheit des Vorgangs. Würden Sie’s auch machen? fragte mich eine etwas ältere Dame.

Jetzt aber rasch! Was hast du geantwortet? Hast du unsere eigenen Erfahrungen verleugnet wie weiland Petrus seinen Herrn?

BRIGITTE:
Keine Angst, mein innerstes Selbst ließ mir keine Zeit zum Nachdenken: Klar würde ich das machen, schmetterte ich, am liebsten sofort! Der Meinige packte mich brutal, zerrte mich geradezu zum Auto, fuhr mit halsbrecherischer Geschwindigkeit nach Hause. Wir hasteten hinauf in die Wohnung, ins Schlafzimmer, und er warf mich aufs Bett: Los, mach es nach, mach es nach! brüllte er, aber nicht bösartig, dass du glaubst, er war nur einfach ganz enorm geil auf mich.

Der Rest scheint klar, und ich denke, ich darf stolz auf dich sein!

BRIGITTE:
Er sah zu, wie ich mich selbst befriedigte, dann – ohne mir die geringste Verschnaufpause zu gönnen – fiel er über mich her, aber es machte mir nichts aus. Kannst du dich erinnern, wie wir das gewisse Stöhnen aus dem Publikum bis auf die Bühne hörten, Männer und Frauen gleichermaßen, denn wir bedienten ja beide Geschlechter?

Es war ein Akt emanzipatorischer Befreiung – nicht mehr exklusiv der weibliche Körper und der männliche Blick wie bei jener Kunsthallen-Performance sondern auch vice versa. Damit hatten wir schon lange vorweggenommen, was die junge talentierte Künstlerin intendierte, nämlich sich von allen gesellschaftlichen Rollenbil-dern zu befreien und zu einer eigenen autonomen Identität zu finden…

BRIGITTE:
… und nicht vielleicht einen bloßen PR-Gag zur Hebung ihres Bekanntheitsgrades zu landen, wie man ihr vielfach unterstellte. Demgegenüber erwies sich jedoch die erwähnte Nacht unserer Ehe nur als Einzelfall, dem keinerlei Nachhaltigkeit beschieden war. Für meinen Mann und mich (und wenn es dir wichtig ist, räume ich ein, dass sich keine Schuldzuweisung vornehmen lässt) war das eben keine üb-liche Verhaltensweise.

Da steht ihr nicht allein da – ich habe damals in der Zeitung darüber gelesen: der Minister ergriff vor so viel sich anbahnender Sinnlichkeit rasch die Flucht (da hatte er überhaupt noch nicht gesehen, worum es wirklich ging)!

BRIGITTE:
Schließlich war gerade Wahlkampf!

KAPITEL 307

Als mein Mitarbeiter Dan Kendick das Büro betrat, war ich gleich neugierig – er war der beste Spürhund meiner Truppe und brachte die bei weitem interessantesten Informationen. Was mich an ihm wahnsinnig nervte, war sein ständiges dreckiges Grinsen, das man nur vorübergehend abstellen konnte, wenn man ihm befahl, Haltung anzunehmen. Wie auch immer, man kann nicht alles haben: der Preis für seine fachliche Qualifikation war seine Schleimigkeit. Ich sah ihn direkt vor mir, wie er im Offizierstreff den anderen erzählte, es gäbe keinen größeren Kick für einen jungen Colonel, als von seiner kommandierenden Generalin (das war ich) einen geblasen zu bekommen. Vorsichtig, meine möglicherweise gereizte Reaktion abtastend, hatten Leute mir diesbezügliche Andeutungen gemacht – es gab allerdings nicht die Spur eines Beweises.

ALEX:
Aber das ist doch keine Schande, wenn man in die sexuellen Phantasien anderer einbezogen wird – jedenfalls tut’s nicht weh, und schließlich heißt es nichts anderes als dass du für deine 45 noch super aussiehst.

Danke für das nette Kompliment!

ALEX:
War mir ein besonderes Vergnügen, General, Ma’m!

Dazu salutierte sie, mit einem leichten Anflug von Persiflage, aber das störte mich längst nicht mehr. Wenn man sich mit aller Kraft hochgearbeitet hat, sehen alle nur mehr die Rolle, die du spielen musst, während du selbst das Gefühl hast, dich nicht verändert zu haben. Mein Gott, war das alles schief gelaufen: ich als junge Kadettin bei der Army – eine Kurierfahrt zum Navy-Stützpunkt Charleston – der Adjutant des Admirals, dem ich die Posttasche überreiche, lädt mich zum Essen ein – er ist ganz sympathisch, daher gehe ich mit ihm tanzen – Fazit: eine heiße Nacht, ich bin schwanger, warum auch nicht – ich heirate Captain Gus Skelton, das Kind ist eine Tochter, Alex, alle sind von dieser Familie entzückt. Zehn Jahre später hat mein Mann noch immer denselben Rang, und da ich ihm auf der Karriereleiter davonziehe, lässt er sich so weit weg wie irgend möglich versetzen: Diego Garcia im Indischen Ozean, in der Hoffnung, dass ihm dort die Superiorität seiner Frau nicht dauernd an den Kopf geworfen wird. Ich ziehe mit dem Mädchen nach Washington, arbeite im Büro des Nationalen Sicherheitsrates mit, verdiene gut, noch dazu erbe ich von meinen Eltern ein schönes großes Haus. Es besitzt einen riesigen Wintergarten, darin einen Swimmingpool, gestaltet wie ein See, der inmitten des Dschungels liegt. Man kann ihn sommers wie winters benützen.

Zu diesem Gewässer entwickelte Alex eine fast magische Beziehung, wie unsere Haushälterin und de facto Erzieherin des Kindes mir meldete. Ich selbst war ja so wenig zu Hause, dass ich nichts mitbekam, außer wenn es Mrs. Ortiz etwas als besonders wichtig erachtete und damit meinen beruflichen Panzer sozusagen gewaltsam durchstieß, während ich gerade frühstückte, duschte oder mich ankleidete. Für Alex blieb nicht mehr Zeit als ein schneller Kuss und ein stereotyper Wortwechsel (Wie geht’s, Kleines, bist du okay? – Danke , Ma!). Die Poolgeschichte an sich hatte ich noch nicht als bemerkenswert empfunden: erst als die Ortiz mir sagte, dass die Fünfzehnjährige zu tauchen begonnen hatte und ihren Spaß daran zu finden schien, möglichst lange unter Wasser zu bleiben, wurde ich hellhörig.

ALEX:
Nicht hellhörig genug, denn du hast nie nach den Ursachen geforscht (was in deinem Beruf für dich selbstverständlich gewesen wäre): Ich war allein, so allein, wie niemand sonst sein konnte, und wenn ich mich an die tiefste Stelle des Pools zurückzog und dort im Dämmerlicht verharrte, schien mir das ein perfektes Symbol meines Zustands zu sein, so vollkommen, dass ich am liebsten gar nicht mehr nach oben gekommen wäre.

Mrs. Ortiz stand, wie sie mir berichtete, in jener Zeit oftmals versteckt hinter den ausladenden Pflanzen des Wintergartens, am Sprung, etwas zu tun, ohne genau zu wissen was. Nach einigen dieser mittlerweile drei bis vier Minuten dauernden Tauchgänge beruhigte sie sich wieder etwas, da sie erkannte, dass es sich hier um keine Selbstmordversuche handelte. Das Mädchen schien lediglich darauf aus zu sein, an Grenzen vorzustoßen, meinte sie. In mir klickte es – wo war mir dieses Motiv „Minutenlanges Atemanhalten? schon einmal begegnet? Ich musste lange nachdenken, aber mein nahezu fotografisches Gedächtnis ließ mich nicht im Stich und ich erinnerte mich an das Dossier über die seltsame australische Heilige, die in London als Therapeutin praktizierte. Einen Zusammenhang zwischen ihr und meiner Tochter vermochte ich aber nicht auszumachen.

ALEX:
Die Walemira Talmai oder später Dr. Berenice Talmai konnte Botschaften über weite Entfernungen vermitteln, wenn sie feststellte, dass jemand in einem ihr verhältnismäßigen Seelenzustand war und sie zu rufen schien. Ihre telepathische Nachricht gab mir das Instrument in die Hand, mich von den banalen Atemlosphasen zuletzt auf fünf Minuten zu steigern: einerseits war es die Meditation über Gesetze (auch solche der Natur) hinweg und andererseits das bewusste Einsetzen sexueller Handlungen zur Stimulierung solcher Überschreitungen.

Also, vielleicht begreife ich heute mehr, aber damals war ich in höchstem Maß alarmiert und beruhigte mich erst ein wenig, als die Ortiz keine Selbstzerstörungsabsicht sehen mochte. Umso mehr wurde ich aufgerüttelt, als mir einige Monate später Colonel Kendick triumphierend ein Filmnegativ auf den Tisch legte.

Das stellt Ihre Tochter dar, General, Ma’m! Sie scheint sich entschlossen zu haben, ihre Einsamkeit – in der wir sie schon die ganze Zeit observieren (ich begriff plötzlich, dass er in Wahrheit als Spitzel des FBI auf mich angesetzt war) – zu überwinden und vor ein Publikum zu treten. Die Auster öffnet sich, die Perle kommt zum Vorschein! fügte er überflüssigerweise hinzu. Werden Sie bloß nicht poetisch, Sie Schleimer – ich benützte ihm gegenüber erstmals das Wort, das mir schon lange auf der Zunge lag. In einem noch immer männerdominierten Verein musste er das aushalten. Was glauben Sie, was das genau bedeutet?

Da lachte sein Baptistenherz: Ich glaube an Jesus Christus, an das Marine Corps und an mein Vaterland Amerika, Ma’m! schmetterte er mir entgegen. Hier ginge es allein um Tatsachen, und die würde er mir sofort in allen Einzelheiten darlegen.

Tolle Show, sagte er lüstern, ich hab’s sehr genossen. Man konnte ganz in der Nähe stehen und mitansehen, wie es Alex und ihr Assistent, übrigens ein gewisser Ray, es so spannend wie möglich machten.

ALEX:
(damals) Manche von euch haben mich schon als Entfesselungskünstlerin gesehen, aber diesmal wird’s ganz anders. Wir nehmen die Ketten und machen es wirklich interessant.

RAY:
Ich weiß nicht Alex, Ketten! Was machen wir, wenn du in ernste Schwierigkeiten kommst. Niemand kann dich nach oben bringen, wenn du den Bleigürtel trägst und ihn nicht selbst ablegen kannst!

ALEX:
(damals) Also gut, wenn ich das dritte Set Luftblasen ausstoße, dann kommst du runter und öffnest die Schlösser. Nun, da wir ein Notsignal haben, kannst du mir doch die Ketten anlegen, damit die Leute hier ihren Spaß kriegen!

Kendick atmete selbst beim Nachempfinden der Geschichte schwer, und seine rechte Hand schien zwanghaft an eine bestimmte Stelle seiner Hose fahren zu wollen, als er so vor mir stand.

Reißen Sie sich zusammen, Mann! bellte ich, aber er nützte beinhart die Situation: Reißen Sie sich lieber zusammen, General, stieß er gefährlich leise hervor – noch bin ich nur am Erzählen, noch stelle ich Ihnen nicht meine Bedingungen, um daraus keinen Skandal werden zu lassen! Ich wusste, dass es eine Überreaktion war, aber ich fingerte nach meiner Dienstwaffe, die ich in der halboffenen rechten oberen Schreibtischlade wusste. Davon bekam der Colonel in seiner Exaltation nichts mit. Er berichtete, wie dieser Ray meiner Alex, die gleichermaßen erregt und konzentriert schien, den Bleigürtel umlegte und festzurrte. Dann kettete er ihre Beine zusammen und brachte das Schloss an. Wie er sich dabei angestellt hat, dieser Tolpatsch! murrte Kendick, das wäre mir nicht passiert! Dabei war es so, dass ihm sogar bei seiner nachträglichen Schilderung noch die Hände zitterten. Ich erfuhr, wie Kette Nummer 2 an den Händen meiner Tochter angebracht wurde, während sie dastand in einem Nichts von Bikini, braungebrannt und in „High Definition“. Der Bursche sparte keine Einzelheit aus: Ich sage Ihnen, HH, die sah so aus (meine Hand hatte den Revolver gefunden), als ob sie gleich kommen würde (mein Finger berührte den Abzug) – was für eine Frau!

ALEX:
(damals) Jetzt die dritte Kette, Buddy, mit der verbindest du Hand- und Fußfesseln, damit ich nur ja keinen Trick anwenden kann!

RAY:
(offenbar erstmals richtig besorgt) Aber wie willst du dann noch rauskommen?

ALEX:
(damals) Das lass nur meine Sorge sein – ich bin die Entfesselungskünstlerin, schon vergessen? (ungeduldig) Jetzt mach schon, Ray, ich bin so high wie noch nie zuvor in meinem Leben, und wenn wir später allein sind, werde ich es wohl noch sein, und du wirst davon profitieren!

Sie beugte sich vor – bei Kendicks weiterer Erzählung wurden meine Fingerknöchel weiß, so fest drückte ich den Revolver –, um es Ray zu ermöglichen, sie kurzzuschließen, so nennen es jedenfalls die Boys von der Militärpolizei. Alex hyperventilierte währenddessen, dann atmete sie nochmals aus, zählte eins-zwei-drei, holte das letzte Mal tief Luft und weg war sie.

Plötzlich wandten sich wieder alle Augen Ray zu, der inzwischen die Schlüssel für die Kettenschlösser gesucht hatte.

RAY:
Dieses Miststück! Jetzt hat sie auch noch die Schlüssel versteckt! Ich kann ihr nicht helfen, selbst wenn ich es noch so sehr wollte! Niemand kann das!

Mir blieb fast das Herz stehen.

ALEX:
Eine Minute lang machte ich nichts, um dem Publikum die Sache spannender zu gestalten (die meisten schauten natürlich ständig auf die Uhr). Ich war in dieser Zeit sehr entspannt, schließlich konnte ich es erwiesenermaßen sehr lange unter Wasser aushalten. Als ich jedoch danach aus der Handfessel schlüpfen wollte, zeigte sich, dass ich mich auf ein extremes Training-on-the-Job eingelassen hatte: die Ketten waren ganz anders als die bis dahin ausschließlich verwendeten Schnüre. Meine Hände waren leicht angeschwollen und gingen nicht durch die Schlaufen. Ähnlich war’s mit den Füßen: meine Gelenkigkeit reichte nicht aus, um sie so zu spreizen, dass ich mich befreien konnte. Ich probierte es immer wieder, aber erfolglos.

Kendick trompete: Wir hatten 2 Minuten 30 – alle waren zuhöchst alarmiert, aber Männer wie Frauen fühlten sich durch den Vorgang auch äußerst stimuliert. Zweieinhalb Minuten und noch immer kein Fortschritt!

ALEX:
Die Schmerzen der unnatürlichen Stellung und der nach Luft ringenden Lunge wurden fast unerträglich, andererseits erahnte ich einen aufkommenden Orgasmus, von dem ich befürchtete, dass er mich meine letzte Reserven kosten würde. Ich kämpfte meinen Körper nieder, und diesmal endlich gelang es mir, meine rechte Hand millimeterweise aus der Kette zu ziehen – die linke war dann ein Kinderspiel angesichts der gelockerten Fessel. Rasch nahm ich den Bleigürtel ab und stieß mich ab, der rettenden Oberfläche entgegen.

Vier-fünf-sechs Hände griffen zu, um sie rauszuziehen, HH. Am Beckenrand liegend und einige tiefe Atemzüge später (die Fußfessel war mangels Schlüssel noch immer nicht gelöst) begann Alex wild zu fluchen, weil sie es nicht geschafft hatte. Aber du hast es geschafft, Darling, sagte Ray, du hast 3:45 geschafft in einer Situation tödlicher Bedrohung, das zählt mehr als die doppelte Zeit, in der du bloß friedlich und bewegungslos im Wasser schwebst!

ALEX:
(damals) Aber ich habe mir das so fest vorgenommen, und es hat nicht geklappt. Was sollen die Leute sagen, jetzt wo die Performance schiefgegangen ist?

Der Colonel kam zum Ende seiner Story: Wie zur Antwort begannen wir alle wie verrückt zu applaudieren, was Alex wieder ein wenig versöhnte, noch dazu als ihre Zuschauer von ihr alle Einzelheiten wissen wollten, wie sie in jeder Sekunde empfunden und was sie genau gespürt hatte, und sie begann bereitwillig Auskunft zu geben, mehr als bereitwillig, würde ich sagen – aber jetzt zum Geschäft, General, Ma’m!

Er spekulierte laut, wie eine solche Tochter zu meiner Karriere passen würde. Er räumte zwar ein, dass bei dem Event keine wirkliche Öffentlichkeit gegeben gewesen sei, einfach Freunde und Bekannte vom College, allenfalls Bekannte von Bekannten, die neugierig geworden waren. Anwesend war allerdings das FBI, vertreten durch ihn, Kendick, der auch die Fotos gemacht hat.

Jetzt war die Katze aus dem Sack. Wie ist es möglich, fragte ich ihn, dass Sie für diese Dienststelle und zugleich für das FBI arbeiten? Wer ist dann ihr Führungsoffizier?

Naive Frage, HH, lächelte er: Hier sind Sie’s und dort ist’s jemand anderer. Faktum ist, dass ich jenem anderen gar nichts erzählen muss, wenn Sie jetzt ruhig aufstehen, die Tür dieses Büros von innen abschließen und mir einen kleinen Gefallen tun, von dem ich schon lange träume.

Sie meinen das, was Sie im Offizierstreff behaupten, dass es längst geschehen ist?

Genau das, HH, warum sollte es Theorie bleiben, wenn sich eine so schöne Gelegenheit ergibt?

Die Tür schloss ich per Knopfdruck von meinem Platz aus. Damit hatte Kendick nicht gerechnet, dass ich gar nicht aufstehen musste, um seinen Wunsch zu erfüllen. Ich bat ihn sodann, sein Instrument, auf dem ich spielen sollte, auszupacken und langsam links von mir um den Schreibtisch herumzugehen. Herausfordernd befolgte er meine Anweisung, und als ich sah, was ich an ihm bisher noch nie gesehen hatte, tat er mir fast ein wenig leid, denn er war wirklich so gut gebaut, dass man in Versuchung kommen mochte. Dann aber dachte ich an den Ton, mit dem er über meine Tochter gesprochen hatte und verwirklichte meinen Plan. Meine rechte Hand fuhr aus der Lade und ich schoss den Schleimer in den Kopf. Ich legte meine Waffe ab, zerzauste mein Haar, brachte meine Uniformjacke in Unordnung und riss den Kragen meiner Bluse kräftig ein. Dem Toten, der mit offener Hose daliegend einen bemerkenswerten Anblick bot, brachte ich mit meinen Fingernägeln noch einige Kratzer auf beiden Wangen bei.

Den ersten, die hereingestürzt kamen, schrie ich etwas von einem Vergewaltigungsversuch zu. Bald danach wurde ich für weitere Untersuchungen abgeführt. Ich ließ alle Fragen über mich ergehen, selbst die, ob ein 170-Pfund-Mann einer 150-lb-Frau überhaupt gefährlich werden könne, oder die, ob ich der Ansicht sei, jemand wie ich würde von einem wesentlich jüngeren Offizier ernsthaft zum Objekt seiner Begierde gemacht. Ich blieb hartnäckig bei meiner Version des Tathergangs, und so konnten sie nichts anderes tun, als mich nach einer Nacht im Militärgefängnis von Arlington wieder zu entlassen. Ich wurde unter Hausarrest gestellt.

Ich wusste, dass in dieser Situation automatisch alle geheimen Operationen, die ich zuletzt initiiert hatte, routinemäßig unverzüglich gestoppt wurden, aber ich sagte dazu nichts. Unter anderem hieß das, die Agenten, die den arroganten Engländer, Sir Basil Diesunddas, die zwei amerikanischen Verräter, die mit ihm zusammenarbeiteten (irgendwo in der Grauzone zwischen dem ominösen Orangenblütenorden und dem nicht weniger obskuren O’RAZOR-Verein) sowie die liebe Charlene Thomson kurz vor Vollendung ihres neuesten Coups hopps nehmen sollten, wurden in letzter Sekunde zurückgepfiffen. Diese blöden Idioten, dachte ich, wegen des nunmehr nutzlosen Kadavers von Kendick (im Moment verstellte mir mein Hass den Blick auf die Tatsache, dass ich ohne den Colonel die meisten der zugrundeliegenden Tatsachen gar nicht besessen hätte) ließen sie die Chance sausen, die vier entführten Wissenschaftler, die uns so viel bedeuteten, wieder zurückzube-kommen. Ich hätte in diesem Zusammenhang gerne in der Schweiz angerufen, ließ es aber sein, da sie mit Sicherheit mein Telefon abhörten. Auch über die Aktivitäten der Koori-Gruppe, deren weltlicher Führer, wie wir ihn intern nannten, zuletzt ebenfalls in Wien observiert worden war, machte ich mir weiter Gedanken – allein, es war nicht mehr mein Job. Ich wurde zwar lediglich suspendiert, aber den Gesetzen unserer Branche zufolge kommst du auf einen solchen Posten nicht zurück.

Zuhause hatte ich erstmals in meinem Leben viel Zeit. Bedauerlicherweise war Alex nicht da, mit der ich gerne (jetzt schon ohne jede Bitterkeit, denn was war ihr Tun gegen das, was der Schleimer daraus gemacht hatte) in Ruhe über die ganzen Vorgänge gesprochen hätte. Ich ließ mir von der Ortiz die Sachen meiner Tochter zeigen: der Bleigürtel passte, nur ganz wenig musste ich ihn verstellen. Brauchen Sie einen Badeanzug, Ma’m, fragte die Haushälterin, aber ich winkte ab: Sie wissen ohnehin, wie ich aussehe, Juanita!

Ich glitt unter Wasser und begann zu verstehen.

Nach einigen Tagen und vielen ehrgeizigen Tauchversuchen (wenn ich etwas mache, dann gründlich) kam ich langsam in höhere Limits, wenn auch nicht in jene Kategorie, die mir Kendick von meiner Tochter genannt hatte, aber 2:30 war schon mal drin. Was mir offenbar fehlte, war eine Art von Grenzgängerphilosophie, und so etwas kann man bekanntlich nicht simulieren. Von der Möglichkeit, die Zeiten mittels körperlicher Stimulation zu verbessern, machte ich allerdings schon Gebrauch, wenngleich mir zu meinem Missbehagen in die durch meinen Kopf geisternden Phantasien Colonel Kendick mit seinem Instrument hineinplatzte – einerlei, wenn man ihm nicht ins Gesicht sehen musste, war er eigentlich ein hübscher Junge.

Während eines dieser Abenteuer spürte ich, dass jemand in meiner Nähe war, dass es sich aber um keinen Feind handelte – Alex schwamm auf mich zu, als ich mich umdrehte, war sie schon ganz nah, wie ich trug sie nur ihr Geburtstagskostüm, wie wir Amerikaner zu sagen pflegen, und unsere Umarmung an der tiefsten Stelle des Pools entbehrte nicht einer starken körperlichen Spannung. Dann fuhren wir beide nach oben. Ich wollte so viel sagen, aber sie kam mir zuvor.

ALEX:
Wetten, dass ich doppelt so lange unten bleiben kann wie du? Wir tauchen zugleich, wenn du es nicht mehr aushältst, holst du Luft, kommst wieder runter, und du wirst sehen, ich besiege dich trotzdem!

Ich tat mein Möglichstes. Ich wusste, wenn ich sie leichtfertig gewinnen ließe, würde sie es merken, und dennoch kam es so wie sie gesagt hatte. Während ich das zweite Mal mit brennender Lunge an die Oberfläche schnellte, kam sie mir langsam nach, und mit einem Lächeln, das jeder Primadonna zur Ehre gereicht hätte, tauchte sie auf, holte nur unmerklich Atem und klammerte sich an mich.

Jetzt endlich wagte ich meine Frage zu stellen: Fühlst du dich nicht benützt, als Opfer sogar, wenn du dich den Leuten so zeigst, wie ich es auf gewissen Fotos gesehen habe?

ALEX:
Aber Ma, das Gegenteil ist der Fall. Ich habe zwei Freundinnen am College, die strippen, und eine dritte arbeitet als Prostituierte. Wir alle betrachten das als Versuche, aus dem Circulus vitiosus auszubrechen, der uns einen so negativen Einfluss auf das Leben unserer Mütter auszuüben scheint: die lebenslängliche Verurteilung zu Haus-, Fabriks- oder Büroarbeit. Wir wollen mit unseren spektakulären Aktionen, für die wir uns frei entschieden haben, zeigen, dass daran nichts falsch oder sündhaft ist. Hier bin ich, sage ich im Moment, in dem meine Performance beginnt, dem Publikum. Ich bin bewundernswert, ich bin liebenswert, das ist es, was ich bin. Es ist nicht pervers, diese Schönheit zu besitzen, diese Kunst zu beherrschen, und mittlerweile beherrsche ich sie auch perfekt. Den Ray habe ich übrigens in die Wüste geschickt, ich suche jetzt eine weibliche Assistenz, die gut aussieht und so hervorragend schwimmen und tauchen kann, dass sie im Notfall die Nerven bewahrt und mich rettet.

In dieser Nacht bat ich Alex, in mein Bett zu kommen, und so sehr sie schon eine junge Dame war, ich holte all die kindlichen Zärtlichkeiten nach, die ihr ganz offensichtlich entgangen waren…