Kapitel 5
CON AFFETTO
Kapitel 5 – Vers 1
Cora hatte zarte Hände, wie jeder wusste, der diese schon einmal berührt hatte, oder den – was die Phantasie mit Sicherheit mehr anregt – sie schon einmal irgendwo berührt hatte. Daher überrascht es uns nicht, dass sie neuerdings eine Hausdame beschäftigte – eine junge Chinesin namens Yuan-Chan, die ihrem Namen alle Ehre machte, denn er bedeutet zweimal „anmutig”. Diese Yuan-Chan war aber ebenfalls nicht direkt dazu da, sich die Hände schmutzig zu machen – dafür gab’s wiederum eigenes Personal, für das der Hausherr, Professor Marenkovic, aufzukommen hatte (was ihm angesichts einer ganzen Reihe zahlungskräftiger Privatpatienten à la Winfried Winkler nicht schwer fiel).
Eine der wesentlichen Aufgaben Yuan-Chans war es, Coras Bedürfnis, schöne Menschen um sich zu haben, zu befriedigen – denn dafür konnte ihr Gemahl nicht herhalten. Und wenn man sich vergegenwärtigt, wie diese zierliche Person das bewerkstelligte, musste man einfach ins Schwärmen kommen: Kurzgehaltenes schwarzes Haar, das Puppengesicht mit einem nahezu immerwährenden Lächeln, das helle, zwitschernde Stimmchen, der schlanke Körper mit den winzigen Brüsten, dem niedlichen, nur von einem durchsichtigen rosa Stoffdreieck bedeckten Venushügel und dem perfekt geformten, vom Bändchen des Slips geteilten Derrière. Aber halt, jetzt haben wir ihr bereits unters Kleid geguckt – wie indiskret von uns! Das wollten wir uns doch eigentlich für später aufheben!
Na schön – dann also gleich medias in res: Wenn Yuan-Chan – mit ihrem permanent strahlenden Lärvchen – zu Cora aufblickte, die sie um vielleicht eineinhalb Kopflängen überragte, trat für diese jeder Gedanke an die andere Geschlecht zurück. Die Kleine wurde in die Arme genommen, mit sanftem Druck zu einer Chaiselonge befördert (wo im Sitzen oder Liegen der Höhenunterschied nivelliert war) und dort geherzt und geküsst, dass es eine wahre Freude war. Für ihre Gebieterin gab es kein größeres Entzücken, als sie lustvoll stöhnen zu hören, in der Art, wie es für viele Frauen ihrer Herkunft typisch ist – ungestüm, elementar, als ob sie Folterqualen erleiden (sodass jeder Mann, falls er es ist, der das verursacht, sich als der wahre König der Welt fühlen kann).
Aber Yuan-Chan war auch ökonomisch ein Hit. Coras Haushalt lief wie am Schnürchen, und selbst wenn die Marenkovics ein Dinner für 20 Personen abfeierten, erfolgte dies zur allseitigen Zufriedenheit von Gastgebern und Gästen. Dafür und natürlich vor allem für den Alltagsbetrieb knöpfte die Hausdame dem Professor horrende Beträge ab, besonders seit ihr klar geworden war, dass er nie irgendwelche Belege oder Abrechnungen von ihr forderte. Den größten Teil der so generierten Überschüsse hatte sie im Lauf der Zeit gespart und schließlich für Cora ein ansehnliches Mietshaus in bester Lage, am Leon-Kellner-Weg im 13. Wiener Gemeindebezirk, gekauft, und ihre Arbeitgeberin freute sich von da an über die beträchtlichen monatlichen Einkünfte daraus – „Eigenes Geld!”, wie sie schwärmte. Aber sie suchte das Objekt niemals auf (sah dies als alleinige Obliegenheit Yuan-Chans an), sonst hätte sie gewusst, dass dort ausschließlich Landsleute der Chinesin wohnten, zahlungskräftiges Publikum, unter anderem Geschäftsleute aus zum Teil dubiosen Branchen, Diplomaten der Volksrepublik China sowie Geheimdienstangehörige, wobei für einen Außenstehenden, namentlich einen Europäer, gar nicht so leicht zu durchschauen war, wer genau was davon vorstellte.
Wie gesagt, Cora kümmerte sich um derlei nicht – ihr reichte offenbar die Umtriebigkeit ihrer Hausdame schon so weit, wie sie sie zu sehen vermochte. In deren verwickelten Aktivitäten gab es übrigens einen Aspekt, der auch ihr selbst eine Leistung abverlangte, als nämlich Yuan-Chan forderte: „Sie müssen regelmäßig mit ihrem Mann schlafen, Madame, denn das kann ich Ihnen nicht auch noch abnehmen – abgesehen davon, dass er für seinen Bedarf an kleinen dünnen Frauen ohnehin eine Patientin, ihre liebe Freundin W. (oder deren Nachfolgerinnen), bevorzugt! Aber Sie wissen ja, wie Männer sind: Sollte er je das Gefühl haben, für sein Geld keine adäquate Gegenleistung zu erhalten, dann fliegen wir auf!”
Cora fügte sich anstandslos, eigentlich ohne erkennbaren Widerspruch. Sie legte sich einen kalendergestützten Plan zurecht, in dem die monatliche Zahl derartiger Events genau festgelegt war, deren Abstände hingegen durch die ersten fünf Primzahlen (von Yuan-Chen jeden Ersten neu geordnet) gesteuert wurden. Selbst wenn Marenkovic an einem solchen Tag gar keine Lust auf sie hatte, umgarnte sie ihn, so etwa indem sie ihn einlud, wieder einmal die Fotos von Pjotr Perwonatschaljnow zu betrachten, eben jene, derentwegen für ihn aus einer libido-neutralen Sprechstundenhilfe dieses begehrenswerte Wesen geworden war, das er unbedingt heiraten musste. Das funktionierte praktisch immer, denn das, was die Bilder versprachen, hatte sie nach wie vor drauf, und zusammen mit dem, was sie bei der Chinesin als Meisterin koitaler Lustschreie lernen durfte, bewirkte es, dass der Professor sich wie ein junger Gott vorkam, wenn er seine Gemahlin bumste.
Allerdings muss ich den Guten jetzt schon etwas in Schutz nehmen und verhindern, dass er vollends der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Sein ihm von der Natur mitgegebenes Zeugungsinstrument konnte sich nämlich durchaus sehen lassen – das weiß ich von Waldi, die das Ding (jedenfalls in seinem erigierten Zustand) als ein deutlich nach oben gebogenes Horn beschrieb – und aus derselben authentischen Quelle ist mir bekannt, dass es Marenkovics Sexualpartnerinnen üblicherweise durchaus nicht nötig hatten, ihm oder sich selbst etwas vorzumachen. Und so hege ich – obwohl das für den Fortgang der Ereignisse ziemlich belanglos ist – berechtigte Zweifel, ob Coras Geräusche nicht vielleicht doch echt waren. Hauptsache, der Professor empfand’s so und erfüllte damit den von Yuan-Chan gewünschten Zweck, nämlich zufrieden zu sein. Und er war eigentlich mehr als das: Dass seine Frau sich so offensichtlich um ihn bemühte, rührte ihn zutiefst, sodass er ihr und ihrer Hausdame immer sorgloser vertraute und noch großzügiger war, als es sein schlechtes Gewissen wegen seiner außerehelichen Affären ohnehin insinuierte.
Aber wenden wir uns jetzt endlich den Vorgängen zu, die sich in jenem Haus zutrugen, das zu einer Dependance des Reichs der Mitte geworden war. Yuan-Chan traf dort mit den wichtigsten Repräsentanten ihres Heimatlandes in Wien zusammen, und die Achtung, die man ihr in dieser Runde entgegenbrachte, lässt uns vermuten, dass sie der eigentliche Capo war. Die Prinzlinge gingen dort gern aus und ein, jedenfalls insoweit sie sich in Wien aufhielten.
Yulin, von dem niemand etwas ahnte, wohnte noch immer in der Wohnung in Wien-Josefstadt – und dort blieb er auch. Er hatte genügend eigene Interessen, da bestand keinen Mangel. Dank der großzügigen Unterstützung, die er von Yuan-Chan bekam, war er unabhängig. Abgesehen von der reinen Sprachlehre und dem zusätzlichen Bonus, den er bei Cecilie Döring genoss, wollte er sogar mitunter Germanistik studieren, aber alles zu seiner Zeit. Seine Lehrerin nahm ihn vorläufig vollständig in Anspruch, jedenfalls was die Artes liberales betraf – seine intimen Bedürfnisse lebte er woanders, nämlich ausschließlich bei Yuan-Chan, aus. Nicht dass er das reifere Mädchen nicht schon verstohlen gemustert hatte, wobei ihm erstes ihre Fremdartigkeit auffiel.
Er unterwarf sich allerdings genauen Prioritäten: Nie hätte er tatsächlich die Döring angemacht – dazu war sie in anderer Weise zu wertvoll für ihn, und zwar mit ihrem Fachwissen. Und nie hätte er Yuan-Chan betrogen – er lebte ja von ihr.
Kapitel 5 – Vers 2
Waldis Vater (Schwarz-senior) hatte einen Schlaganfall erlitten, was sie dazu veranlasste, sich nach langer Zeit zwangsläufig wieder mit ihm zu beschäftigen – während einer langen Phase hatte sie sich um ihn nicht gekümmert. Sie war ihm geradezu aus dem Weg gegangen, obwohl die Initiative seinerzeit bei dem Tête-à-tête von ihr ausgegangen war. Daran mochte sie aber nicht erinnert werden.
Die Mutter, die zu dem allen nur geschwiegen hatte, war längst tot. Gestorben an der Gleichgültigkeit, mit der ihr Mann sie seit unbestimmter Dauer behandelt hatte. Da war sie dahingegangen – wie sie zu leben lernte, mucksmäuschenstill und heimlich und wortlos und stumm. Der Gemahl erregte sich noch auf Grund der Unannehmlichkeiten, die er hatte, weil seine Frau zu Hause (in der Jedlerseer Straße) verschied.
Waldi traf die Mami, wie sie sie zu nennen pflegte, noch das eine oder Mal im Café Fichtl. Sie hörte ihr zu, wenn die Alte sich über ihren Mann beschwerte, aber die Worte gingen ihr da hinein und da heraus – sie nahm kaum wahr, was ihr gesagt wurde. Der Kontakt riss schließlich ganz ab, und eines Tages, als sie die Parte (wer immer die abschickte) bekam, hat sie ein paar Tränen zerdrückt – aufs Begräbnis ging sie nicht. Sie wollte ihrem Erzeuger nicht über den Weg laufen.
Sie hatte eigene Sorgen, da ging es um Professor Marenkovic. Die Entscheidung war ihr leicht gefallen, zumal ihr „Dicker Papi“ sein Interesse an ihr weitgehend verloren hatte – da warteten schon wieder andere auf ihren Platz. Nachdem Waldi die Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin (inklusive des sogenannten „Turnus“) längst absolviert hatte, sattelte sie kurz entschlossen von der Psychiatrie, von der sie nichts mehr wissen wollte, um und machte ihren Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Sie gestaltete eben ihre eigene Praxis in Wien-Liesing (einem eingeführten Standort – da war jemand in die wohlverdiente Pension gegangen, der hatte ihr das Ganze zu fairen Preis überlassen), da erfuhr sie das mit ihrem Papa…
Der Vater besaß aus der Verwandtschaft sonst niemanden – gerade noch hatte er es geschafft, die Ambulanz zu verständigen, anschließend war er zusammengebrochen. Dann hat man ihn ins Sozialmedizinische Zentrum Ost in der Langobardenstraße eingeliefert, wo ihm die Erstversorgung zuteil wurde, die ihm das Leben rettete. Dann versetzte man ihn in einen mindestens vierwöchigen Tiefschlaf, stets überwacht von einer Reihe von Geräten.
Derweil setzten sich die Damen des Sekretariats der Neurologie dahinter, die Daten des Patienten und insbesondere möglicher Angehöriger zu ermitteln. Findig wie sie waren, ergab sich dann Dr. Waldtraud Schwarz, was zwar eine Allerweltsbezeichnung bedeutete, aber mit Hilfe ihrer Computer klärte sich das rasch auf. Dies und ein Anruf bei Waldi enträtselte das Geheimnis – sie war seine leibhaftige Tochter.
Sie machte sich von ihrer Ordination in der Anton Baumgartner-Straße (gleich daneben hatte sie übrigens eine kleine Wohnung gefunden) auf, quer durch Wien und über die Donau, bis sie ins SMZ Ost kam. Die Neurologie war alsbald gefunden – sie kannte sich mittlerweile in Spitälern gut aus. Waldi stand schließlich am Bett ihres Vaters…
Die widersprüchlichsten Gefühle drängten sich ihr auf, als sie ihn da regungslos liegen sah. Erst einmal kam das Mitleid mit seiner Situation hoch, unmittelbar abgelöst durch einen tief empfundenen Hass, wegen dem, was er ihr angetan hatte. Da brachte sie einiges durcheinander: Während ihr Altvorderer nur dreimal das Vergnügen durchleben durfte (und erlaubterweise, wenn es auch nicht rechtens war), hatte Marenkovic unzählige Male an ihr gütlich getan. Abgesehen davon, dass sie auch ihrerseits kein Kind von Traurigkeit war – Wut empfand sie seltsamerweise nur gegen Schwarz-senior.
Einerlei, sie sprach mit den Ärzten, die vorderhand noch keine Prognosen stellen wollten. Sie hatten bis jetzt entschieden, dass sie keinen gröberen Eingriff machen wollten – das immerhin. Waldi besuchte ihren Vater jeden Tag, frühmorgens und spätabends, sowie es ihre Zeit erlaubte, aber er lag stets da und rührte sich kaum. Und dann kam der Moment (eigentlich waren es vier Tage) des Wiederaufwachens.
In der ersten Phase des Dämmerzustands konnte Schwarz nicht richtig unterscheiden, was ein Traum war und was nicht. Griechisch zu beherrschen (um nur ein Beispiel zu nennen), konnte eher ins Reich der Phantasie verwiesen werden – er vermochte trotz mannigfachen Ausflügen in das Land nur wenig in dessen Sprache aussagen. Hingegen konnte er nicht sicher sein, wenn ihm sein Verstand vorgaukelte, er sei nur wenige Tage krank gewesen – und nun ginge es wieder aufwärts, auf zu neuen Taten.
Es dauerte ein Weilchen, bis er – in schmerzhafter Erkenntnis, und nunmehr voll aufgewacht – die Bescherung sah: Er konnte lediglich mit Mühe sprechen, und da nur in eingeschränkter Form – und das ihm, der sich so gerne reden hörte. Was gravierender war, er war nicht imstande, seine rechte Körperhälfte zu bewegen…
Was er damals, in einer Anfangsphase seiner späteren Entwicklung, noch nicht wusste war: Von den Menschen, die einen Schlaganfall überlebt haben (wenn sie denn überhaupt durchkommen), sind circa ein Drittel nach einer Genesungsphase so weit wiederhergestellt, dass sie ihr Leben wieder wie vorher aufnehmen können. Circa ein weiteres Drittel sind von den Folgen so weit betroffen, dass die Symptome eine Fortführung des bisherigen Lebens, vor allem die Berufsausübung, verhindern. Für weitere ein Drittel sind die Folgeschäden so groß, dass sie ihr Leben nicht mehr selbständig führen können, sondern auf dauerhafte Pflege angewiesen und an den Rollstuhl oder an das Bett gefesselt sind.
Eine vernichtende Bilanz – zumindest für die Betroffenen (und ihre Angehörigen, das kam ihm erst später ins Bewusstsein). Und da gab es nur einen Ausweg: den Suizid!
Umbringen – das war sein erster Gedanke. So möchte er nicht weiterleben. Er traf seine Entscheidung ganz nüchtern, was bedeutete, dass er hellwach und Herr seiner Sinne war. Die Gedanken kamen ihm so wie immer – jedenfalls soweit er das beurteilen konnte (er war extrem vorsichtig geworden).
Er versuchte, seinen Atem anzuhalten, was in seiner Situation das einzig Mögliche war. Aber es funktionierte nicht – es gelang ihm nur, eine Ohnmacht zu produzieren. Einmal besinnungslos, atmete er aber wieder. Es war deprimierend…
Langsam versuchte er, sich mit der Situation anzufreunden. Hier stellte er konkret Wortfindungsstörungen, das sind Schwierigkeiten beim Benennen von Gegenständen, fest. Und er versuchte, mit dem Begriff „Aphasie“ etwas anzufangen. Ein Punkt, der ihm gleich auffiel, waren die plötzlich mangelhaften Eins-mal-eins-Kenntnisse. Und so gab es tausend kleine und größere Behinderungen.
Die ungeheuerlichste davon war ein durch die Bauchdecke eingeführtes Etwas, durch das seine Versorgung sichergestellt war. Diese „Astronautenkost“, die ihn während dreier Monate ernährte, war überhaupt das Ärgste, was ihm jemals passiert – absolut unwürdig und schimpflich. Inzwischen kam aber zu seinem Glück ein Logopäde namens Sommer, der intensiv mit arbeitete. Dieser redete – als erster seit langem – normal zu Schwarz, nämlich persönlich und direkt, ohne Umschweife, nicht achtend der Hemmnisse seines Patienten. Und Sommer brachte es zustande, dass dieser in relativ kurzer Zeit wieder selbstverständlich essen konnte, wie er es seit seiner Kindheit gewöhnt war. Das war eine große Wohltat für den angeschlagenen Patienten, ?trotz aller Torturen, die er sonst zu tragen hatte.
Der Abschied von Sommer fiel Waldis Vater besonders schwer. Sie hatten festgestellt, dass sie am selben Tag Geburtstag feierten (wäre da nur nicht der erhebliche Altersunterschied gewesen), aber das war nicht die einzige Gemeinsamkeit, die zu beobachteten – sie sandten einfach auf gleicher Wellenlänge. Es schien so zu sein (was für Therapeuten nicht unbedingt zutrifft), dass eine persönliche Beziehung eintrat. Schwarz sah Sommer danach nicht wieder, aber er hatte das zuversichtliche Gefühl, sich jederzeit an ihn wenden zu können…
Kapitel 5 – Vers 3
James Prank war ihr mittlerweile total verfallen – die Rede ist selbstverständlich von Anné de Maizière. Sie war außer Rand und Band, so führte sie sich auf. Sie machte ihre Hausaufgaben nicht mehr, aber das war das geringste Problem für ihn. Was ärger war: Sie nahm ihn in ihrer Unersättlichkeit derart in Anspruch, dass ihm Hören und Sehen verging. Erschwerend kam dazu, dass ihr in der Person des Themba Gumede jederzeit ein Ersatz zur Verfügung stand. Und damit zog sie Prank auf: Was der für einen Schwanz hat!
Dabei ging es ihr nicht um die Größe des „Queue“ an sich. Es war bei schwarzen Männern einfach nichts, was eine Frau, zumindest nach ihrer Erfahrung, als Hektik oder zappeliges Getue empfinden könnte – die wussten, wo es lang ging. Da konnte ein Weißer nur unter Einschränkungen mithalten. James stand ihr (abgesehen vom Ficken) noch für etwas ganz anderes zur Verfügung, da konnte Themba nicht mithalten. Sie wollte hinaus, wollte das Gefängnis überwinden.
Das war verboten, und zwar strengstens. Dafür hatten die Eltern den Hauslehrer engagiert, der Anné in so ziemlich allen Fächern unterrichtete, was ein Schweinegeld kostete, aber sie konnten sich’s leisten. Nebenbei gesagt, waren sie selbst nur in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs, die sie von einem Ort zum anderen brachten. Wenn Fräulein de Maizière jemals geglaubt hatte, den zwei Chauffeuren ebenfalls auf ihre kaltschnäuzige Art heftig zuzusetzen, täuschte sie sich gewaltig: die beiden waren froh, wenn ihr Dienst spät am Abend endete.
Blieb Mister Prank. Er ermöglichte ihr schließlich in einem unbeachteten Moment die langersehnte Freiheit. Themba sagte nichts, er war es gewohnt zu schweigen. James nahm mit Anné außerhalb des Geländes ein Taxi – so hatte er sich das gedacht. Kaum bestieg sie den Wagen, da trixte sie ihn schon aus: „Machen Sie schnell, der Mann verfolgt mich!“ Zurück blieb ein völlig verdutzter Gefährte oder vielmehr Nicht-Gefährte.
„Das war knapp. Jetzt führen Sie mich dorthin, wo etwas los ist!“ „Woran hatten Sie gedacht?“, fragte der Fahrer, ein Schwarzer, der schon bei ihrem Anblick (sie zog das Kostüm der Cleopatra an, das keinen Wunsch offenließ, plus einer nicht ganz stilechten blonden Perücke) eine Mordslatte bekam, die sich deutlich abzeichnete. Ihr fiel ein, dass sie kein Geld für die Bezahlung der Fuhre hatte. Egal, da wird sich etwas finden. Sie lächelte dreckig.
„Woran hatten Sie wirklich gedacht?“
„Als erstes führen Sie an ein reservates Eck, damit ich Sie ein wenig verwöhnen kann!“ Sie hatte offenbar keine Ahnung, dass jährlich mehr als 56.000 Vergewaltigungen angezeigt wurden, das bedeutet einen Schnitt von rund 150 pro Tag. Das Land hat eine der höchsten weltweit registrierten Notzuchtraten, proportional zur Einwohnerzahl passiert dieses Verbrechen doppelt so oft wie in Indien.
Der Fahrer war demgegenüber friedlich: Er steckte seinen Rüssel ins dargebotene Loch – anders konnte man das nicht ausdrücken. Es gestaltete sich aber für beide vollkommen befriedigend: Anné war zügellos und exzessiv, aber auch der Unbekannte, nicht weniger salonfähig und lasziv, gab sich seiner leidenschaftlichen Anmache hin. Sie benützten immerhin ein Kondom, das der Chauffeur stets im Auto parat hatte. Nachdem sie wieder einigermaßen hergerichtet waren, fragte er sie endgültig, wohin sie denn wollte.
„Führen Sie mich dorthin, wo etwas los ist!“ „Da wüsste ich schon einen Ort, der Ihnen gefallen sollte!“ Er bretterte sie dorthin, wo der Geschäftsmann und Selfmade-Millionär Kenny Kunene, ein Coloured Man, Hof hielt. Die prominente Gästeschar war schwarz, weiß, farbig, homo- und heterosexuell. Wie Kunene selbst, sehen auch sie schon lange über die Auseinandersetzungen und Rassenabgrenzungen hinweg.
„Da darf ich nicht hinein!“, bemerkte der Fahrer, als sie sich verabschiedeten. „Das einzige Hindernis, das besteht, ist die Armut! Sie aber mit Ihrem Aussehen wird sich ein Gönner finden (wenn Sie auch kein Geld haben), der Sie aushält!“
Als Anné den opulenten Hauptraum des ZAR betrat, pulsierte Housemusik aus den Lautsprechern. Auf einer Wand waren Wölbungen montiert, die wie Fingerabdrücke aussehen. Eine Glaswand mit einem Wasserfall und ein angrenzendes geschwungenes Sofa bildeten einen schönen Raumtrenner zwischen den Haupträumen und Raucherbereichen. Sie entdeckte einen königlichen Thron, der an russische Zaren erinnerte und hier in diesem Rahmen eine Fotokulisse für die Gäste bot. Es ist die perfekte Szenerie für die Kapstädter Prominenz. Und als Draufgabe weibliche wie männliche Nacktmodelle, die als Servierplatte für die Sushi-Köstlichkeiten dienten.
Die Konkurrenz war groß, aber es schien ihrem Outfit und namentlich der blonden Perücke zu verdanken, dass Anné auffiel.
Cleopatra trug gerne die Kleidung einfacher Leute, den schlichten Kopfschmuck und das Schultertuch. Der Oberkörper war nahezu nackt – selbstbewusst stellte sie ihren straffen Bauch zur Schau. Der eng anliegende Schurz fiel von den Hüften wie beiläufig herab, wurde durch einen keilförmigen gearbeiteten Gürtel gehalten, dessen Spitze geradewegs zwischen die Beine wies. Die Scham selbst war von einer großen goldenen Agraffe bedeckt, deren Chrysokoll-Verzierung das einzige Zugeständnis an die Vornehmheit der Trägerin war. Dazu das ätherisch und magisch golden schimmernde Kunsthaar.
Es gab ein Gedränge, fast einen Tumult. Da mochte der eine oder andere Gentleman ihr auf die Pelle gerückt sein, und die eine oder andere lesbische Frau. Plötzlich, von einem Moment zum anderen, war es ihr zu viel – zum ersten Mal fühlte sie sich instrumentalisiert, zum ersten Mal bereitete das nicht den erhofften Genuss. War es die doch sehr exotische Umgebung, die sie inkommodierte, sie total fertig machte. Die Sorge darum erwies sich als nicht unbegründet…
Einer aus Kunenes Tross schickte sich an, Anné brutal zu vergewaltigen – vor aller Augen, vollkommen ungehemmt und ungezügelt. Zu ihrem Glück war Dominic Schmidt (wieder mit Donovan Jojo) zugegen. Während Jojo – der ja die meisten der Anwesenden persönlich kannte, was die Tat erschwerte – die Mauer machte, gewann Grille mit seiner Schutzbefohlenen den Ausgang. Er fragte, wohin er sie bringen sollte, und nachdem sie angstvoll Auskunft gegeben hatte (denn sie wusste keinesfalls, ob er mit ihr noch etwas weit Schlimmeres plante), bestiegen sie zusammen ein Taxi. „Ich bin schwul!“, sagte Dominic, zur größten Überraschung des Chauffeurs, der sich an sich über nichts mehr wunderte, zumindest was die Eskapaden seiner Fahrgäste anbelangte. Grille nannte die Adresse in dem noblen Stadtteil Constantia. Er zog sein Sakko aus und bat Anné, es anzuziehen – dankbar nahm sie sein Angebot an. So würde ihre Kleopatra-Ausrüstung weniger auffallen, speziell wenn die Eltern schon daheim waren.
Dominic läutete. Er hatte den Wagen warten lassen, bis sich etwas oder irgendwer rührte. Themba Gumede erschien auf dem Bildschirm, um zu fragen, was los sei. Dann sah er Anné, die vorgeschoben wurde, und machte euphorisch sofort das Tor auf.
James Prank, der sofort zu Kreuze gekrochen war, hatte schon gestanden – allein das nützte nichts. Die Eltern, die das Mädchen in Sicherheit gewähnt hatten, waren entsetzt. Der Hauslehrer konnte sich die ärgsten Vorwürfe anhören, durchsetzt von der Sorge um Anné. Bis sie endlich auftauchte, in Begleitung eines unbekannten Mannes – und der Aufzug, eine ägyptische Königin, notdürftig bedeckt durch das Sakko des Fremden. Themba hätte laut aufgelacht, wenn die Situation nicht so angespannt gewesen wäre. „Geh’ sofort auf dein Zimmer!“, bellte der Vater. „Das Jackett bitte.“, sagte Dominic, um die Lage zu entschärfen. „Zu Ihnen komme ich noch!“, war die Antwort. Sie gingen ins Haus.
Grille zog seine Jacke wieder an, die herrlich nach dem Parfum des Mädchens duftete. „Vorausschicken möchte ich, dass ich andersrum bin!“ Die Mutter blickte verständnislos drein. „Ich bin homosexuell. Nur dass das jedem im Raum klar ist. Und ich habe ihre Tochter aus einer äußerst prekären Bredouille befreit!“
Jetzt wachten die Eltern auf und bedankten sich bei ihm überschwänglich und leidenschaftlich, man könnte es auch euphorisch nennen. Sie luden ihn ein, wenn immer er in Kapstadt zu tun hatte, bei ihnen zu wohnen, und nahmen ihm das Versprechen ab, Anné unter seine Fittiche zu nehmen, wenn er wieder nach Hause fuhr. „Das ist kein Pflaster für junge Dame!“, bemerkte der Vater. Da mochte er wohl recht haben – unabhängig davon, was sie in Wien schon für ein Benehmen an den Tag gelegt hatte. Davon wussten die Altvorderen aber nichts.
Fräulein de Maizière war wie ausgewechselt. Der Schock saß tief und hatte ein richtiges Trauma bei ihr ausgelöst. So sehr sie „not a child of sorrow” war, wenn sie bestimmte, wo’s langging, so sehr verabscheute sie es, wenn sie missbraucht wurde. Sie lebte fortan enthaltsam, zumindest für’s erste – Themba bekam es zu spüren, allein es machte ihm nichts aus.
Kapitel 5 – Vers 4
Sabrina konnte Pjotr Perwonatschaljnow nicht vergessen, so sehr hatte die Erinnerung an ihn sich unauslöschlich ihrem Gedächtnis eingebrannt. Sie dachte unaufhörlich an ihn – sie wollte Thomas gerne von ihm erzählen, wie sie überhaupt alles mit ihrem Ehemann besprach, allein sie wusste, dass das völlig unmöglich war. Es drängte mit aller Macht danach, aber es durfte ihr klar sein, dass das richtig töricht, wenn nicht völlig wahnsinnig gewesen wäre.
Wenn Pjotr ihr vorschwärmte, wo er sich überall aufgehalten hatte – das bedeutete für Sabrina plötzlich die große Welt. Das war ihr bis zu diesem Zeitpunkt nicht aufgefallen, aber das wurde ihr jetzt schmerzhaft bewusst. Dabei hatte sie nicht die Absicht, selbst irgendwo hinzufahren – sie begnügte damit, davon zu hören. Perwonatschaljnow verlor aber bald das Interesse an tiefschürfenden Überlegungen. Was er wirklich von ihr wollte: Ex-und-hopp und voller Unverbindlichkeit mit ihr bumsen, sie flachlegen, und das alles in einer gewissen Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit.
Er war ein richtiges Enfant terrible, jemand, der gegen die geltenden Regeln verstieß und dadurch seine Umgebung oft schockierte oder in Verlegenheit brachte. Aber auf der anderen Seite machte das auch wieder seinen spezifischen Charme aus – der hatte sich allein schon durch die Namensgebung ergeben (wo aus Peter Panigl die russische Bezeichnung
Рётр Рервоначальнов oder eben die Transkription Pjotr Perwonatschaljnow entstand).
Aber egal – Sabrina akzeptierte auch die mehr als eingeschränkte Beziehungskiste zwischen ihnen. Sie errötete allerdings heftig, wenn sie daran dachte, was er voraussichtlich wieder im Sinn hatte. Man mochte bei ihr an Greta Scacchi (Jahrgang 1960) denken, die im Alter von siebenundzwanzig und in blühender Holdseligkeit in der Rolle der verheirateten Lady Diana Broughton brillierte – in dem Film „Die letzten Tage in Kenya“, was die übliche einfältige deutsche Übersetzung von „White Mischief“ war. In dem Streifen geht es um die Vergnügungen, denen britische Adlige in Afrika frönen, während die Heimat 1940 von Hitlers Luftwaffe bombardiert wird. Als Playboy Josslyn Hay, Earl of Erroll (alias Charles Dance) Lady Diana kennenlernt, beschwört er eine Katastrophe herauf. Das Unheil nimmt seinen Lauf: Sir Jock Delves Broughton (alias Josslyn Hay), gut doppelt so alt wie seine Frau, wenn nicht noch älter, dreht völlig durch…
Aber ich schweife ab. Pjotr (oder wie seine engsten Freunde sagen durften Petja, wozu die Reinthaler auf keinen Fall zählte) hatte überhaupt kein Interesse an komplizierten Geschichten beziehungsweise er hatte, genauer gesagt, kein Interesse an Geschichten, die ihn nicht betrafen. Sabrina hätte ihn ungeküsst vorbeiziehen lassen – allein so viele Chancen ergaben sich im elften Bezirk jenseits ihrer Relation zu ihrem Partner, die langsam ein bisschen monoton wurde, nicht, und so griff sie zu.
Und auch Perwonatschaljnow hatte sofort ein Auge auf sie geworfen (was, nebenbei gesprochen, bei ihm kein Wunder schien). Sie war durch und durch rassig – das turnte ihn vom ersten Moment unheimlich an. Sie trug ihr schwarzes Haar glatt und schulterlang und sie hatte – bei näherem Hinsehen – wirklich Power, was selbst unter der nicht sehr vorteilhaften Montur dessen, womit sie sich im Dienst gezwungenermaßen kleidete, zu sehen war. So kam es zu ihrer ersten Begegnung, der noch die eine oder andere folgte.
Sie verliefen in zunehmender Weise brutal und gewalttätig, wobei Pjotr nur – mit Rücksicht auf ihren Mann – auf Sabrinas körperliche Unversehrtheit bedacht war. Er brauchte keinen Ärger und schon gar keine Unannehmlichkeiten. Umso schonungsloser und handgreiflicher ging er dort, wo’s nicht auffiel, gegen Sabrina vor – sie musste arbeiten, dass die Fetzen nur so flogen, er aber lehnte zurück und ließ sie nur machen. Er war auf seine Art, wenn man ihn nur ließ, ein richtiger Pascha.
Sein Blick verharrte auf ihren Brüsten und glitt dann weiter zu ihrer Scham. Sie spürte die Blicke wie Berührungen. Es steigerte ihre Stimmung noch mehr, von ihm so völlig nackt gemustert zu werden. Ihre Brustwarzen waren hart wie Kirschkerne und ihre Scheide sonderte deutliche Nässe ab. Zärtlich streichelte er die runden Apfelbrüste und glitt dann mit einer Hand hinunter zu ihrer Scheide. Sie zog zischend die Luft ein, als er ihre geschwollenen Schamlippen berührte.
Und dann, mitten unter dem noch unvollständigen Liebesakt, verkündete Perwonatschaljnow „Ich muss jetzt weg!“ Er sagte noch großartig „Mi casa es tu casa!”, wohl wissend, dass die Reinthaler gehen musste, wenn sie rechtzeitig vor ihrem Alten zurücksein wollte. Pjotr machte sich auf dem Weg nach Tokio, aber das verriet er ihr nicht. Sie fuhr mit dem Taxi heim. Dort traf sie ihren Gatten ohnehin nicht an – ihre Eile war ganz vergeblich gewesen.
Mittlerweile benötigte Thomas Reinthaler ganze drei Sitzungen, um Doris Dubois (kurz DD genannt), die Assistentin von Professor Marenkovic, herumzukriegen. Das war nicht so schwer, wie es sich im ersten Moment anhörte – er hatte, zumal bei anderen Damen, durchaus seine charmante Ader. Aber das war hierbei gar nicht nötig: Professor Marenkovics neueste Flamme ging fremd, wann immer es sich schickte, und es schickte sich in diesem Fall in der perfektesten Weise – noch dazu, wo sie nicht Gefahr laufen musste, mit Waldi verwechselt zu werden.
Doris Dubois ging, sowie sie entschlossen war, sich ihm hinzugeben, ohne Umschweife auf’s Ganze. Probeweise drehte sie sich vor dem Spiegel, der in der Ordination über dem Waschbecken hing. Der leichte Stoff ihres Arbeitsmantels hob sich und entblößte ihr rechtes Bein fast bis zur Leiste. Sie trug darunter lediglich Unterwäsche, das war deutlich zu erkennen. Sie schmiegte sich eng an Reinthaler und spürte, wie ihre Nippel sich erregt aufrichteten.
Thomas zog sie dann aber gleich in seine Arme und sie versanken in einem langen tiefen Kuss. Seine Hände streichelten ihren Rücken, während seine Zunge ihren Mund erforschte. Da Doris Dubois nicht den Hauch einer Gegenwehr verspüren ließ, wurde er mutig und ließ seine Hände hinten unter den Stoff gleiten, wo er ihre wohlgerundeten Bäckchen streichelte. DD genoss die zärtlichen Berührungen und ihre Erregung stieg unaufhaltsam.
Sie warfen ihre Kleider ab und standen hüllenlos voreinander, und ohne Scham. DD’s Hände umschlossen Thomas’ Stab und sie staunte, wie hart und doch weich er war. Vorsichtig zog sie die Vorhaut herunter und entblößte so die rosafarbene Eichel. An deren Spitze glitzerte ein klarer Tropfen Flüssigkeit. Doris beugte sich herunter und leckte ihn vorsichtig auf: „Er schmeckt gut, etwas salzig, aber gut.“ Thomas lächelte: „Wenn du möchtest kommt noch mehr, lutsch ihn!“ DD überlegte nicht lange. Sie legte ihre Lippen auf die Vorhaut und saugte vorsichtig. Erst als Thomas den Höhepunkt kommen spürte, legte er sich zurück: „Es kommt mir gleich!“ Er wollte DD vorwarnen, falls sie noch Bedenken haben sollte seinen Saft zu schlucken, aber sie war im Gegenteil ganz versessen. Sie schluckte eifrig, als er sich dann tief in ihren Mund entlud.
Dann war die Zeit um – eine knappe Stunde hatte die Doktorin für „Herrn Reinthaler“ eingeplant. Es wartete schon wieder der nächste Termin auf sie. Thomas spürte etwas wie Eifersucht, so als ob sie mit jedem X-Beliebigen schlafen würde. Er fuhr müde und sonderbar unrund nach Hause, wo seine liebe Frau schon auf ihn wartete.
Sabrina und Thomas drucksten herum – sie hatten eine Menge zu erzählen, wussten aber, dass sie das nicht so ohne weiteres aussprechen durften, was ihnen auf der Seele brannte. Endlich fasste sich Thomas ein Herz. „Ich habe Dich soeben mit meiner Psychiaterin betrogen…“
Solcherart ermutigt, wagte sich auch Sabrina mit dem Eingeständnis zum Seitensprung hervor. „Und ich Dich mit dem berühmten Fotografen Pjotr Perwonatschaljnow – ich weiß allerdings nicht, ob Du den überhaupt kennst, da Du nie die einschlägigen Magazine liest.“
Jetzt, wo alles klar schien, war es für Thomas und Sabrina wie ein Neubeginn – so als ob sie sich zum ersten Mal begegnet wären, und dennoch mit der Vertrautheit, die sich aus längerem Zusammensein ergab. Sie hatten nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Erst drehten sie sich voneinander weg, um dann aber übereinander herzufallen und sämtliche Tabubrüche zu begehen, die nur möglich waren…
Kapitel 5 – Vers 5
Tokio –
Pjotr Perwonatschaljnow sah sich dem Ziel seiner Wünsche zum Greifen nahe: New York. Aber er musste noch einen kleinen Umweg gehen – die japanische Metropole war letzten Endes auch nicht zu verachten. Er flog mit seinem angestammten Tross (Cesarine, seine Kosmetikerin, die sich nun seit geraumer Zeit Stylistin nannte, und den unermüdlichen Charlot, der umsichtig um die Fotoausrüstung sorgte und sich grundsätzlich um das Wohlergehen seines Chefs kümmerte) mit direkt nach Japan. Die entsprechenden Models würden sich vor Ort finden lassen – daran bestand, namentlich was exotische Mannequins betraf, kein Mangel.
Tokio, allein der Name war schon Programm, zumindest was Petja anbelangte, der eine Phantasie besaß, die recht rasch in die Untiefen des Pornografischen abglitt (wie bei fast jedem Mann, wenn er ganz ehrlich zu sich selbst ist, aber das ist keine qualifizierte Bemerkung, denn in niemanden kann man genau hineinschauen). Egal, bei ihm jedenfalls war’s so.
Er stieg mit der zickigen Cesarine und dem schwulen Charlot in eine vorbestellte geräumige Limousine, die mit 40.000 japanischen Yen nicht gerade billig war, aber sie konnten’s sich’s mittlerweile leisten. Sie fuhren vom Narita International Airport eine gute Stunde bis in die Stadt – dabei existiert im administrativen Sinn keine Kommune namens Tokio. Das Stadtgebiet sind die 23 selbstständigen Bezirke (japanisch „Ku“ genannt), wobei diese allein bereits über neun Millionen Einwohner beherbergen. Die Präfektur Tokio hat über 13 Millionen Einwohner.
Der Fahrer hatte Handschuhe an und war auch sonst „très distingué“, aber wir konnten uns in keinster Weise verständigen. Bis Pjotr dann rettende Idee hatte und die Hoteladresse angab: Hilton Tokyo, Shinjuku-Ku, Nishi-Shinjuku 6-Ch?me, wobei „Nishi“ Westen und „Ch?me“ den City District bedeutete. Der Chauffeur setzte ein breites Grinsen auf – er hatte es endlich geschnallt. Im Hotel angekommen, ging Perwonatschaljnow in seine Suite. Er hatte genug von der gewöhnungsbedürftigen Art Cesarines und der betulichen Eigentümlichkeit Charlots, die er auf dem endlosen Flug hierher ertragen musste. Er zog einfach los – schlafen konnte er ohnehin nicht, wegen des Jetlags.
Nach langem Suchen in dieser unübersichtlichen Stadt stand er plötzlich vor dem „Warehouse 702“, einem der angesagtesten Clubs in Tokio, der den ganzen Tag geöffnet hatte. Azabu-J?ban, das Wohnviertel, in dem das Lokal liegt, war zwar im Zweiten Weltkrieg ebenso zerstört wie die übrige Stadt, aber so, dass bei Wiederaufbau jenseits der Hauptstraße eine geradezu dörfliche Atmosphäre mit Kopfsteinpflaster an einigen Stellen erhalten werden konnte. Selbst die entsprechende McDonalds-Filiale wurde sorgfältig designt, um architektonisch dort hineinzupassen.
Und dort lernte Pjotr Yoshiko Yamamoto kennen. Sie hatte sich einfach an ihn herangemacht, was bei ihm keine Schwierigkeit war – sie lief soweit offene Türen ein. Sie trug ein kurzes türkises Kleid, das der Phantasie keinen Spielraum ließ, wenn Sie wissen, was ich meine. Ihr Name bedeutete „Gutes Kind“, was wie eine boshafte Blasphemie erschien. Aber sie stellte sich als eine anregende Gesprächspartnerin heraus, die ein hervorragenderes Englisch sprach – viel besser als das von Perwonatschaljnow, wo deutlich der alte Panigl zum Vorschein kam.
Um die Sache abzukürzen: Yoshiko, das gute Kind, stieg kurzerhand mit ihm ins Bett – in seinem Hotel, dem Hilton Tokyo. Die Vertrautheit, mit der sie mit dem Personal umging, mochte ein Indiz dafür sein, dass sie in jeder der exquisiten Luxusherbergen ähnliche Arrangements getroffen hatte. Das ließ Pjotr tief blicken und zugleich seine Brieftasche zücken. Das war er inzwischen schon gewöhnt – dass er mit wenigen Ausnahmen (Sophie Reinthaler stellte so ein seltenes Exemplar dar, die ihm kostenlos zur Verfügung standen) an Damen des horizontalen Gewerbes, wenn auch solche der Sonderklasse, herankam: An Frauen, die als moralisch leichtfertig angesehen werden, weil sie außerehelich mit Männern geschlechtlich verkehren – so lautet die korrekte Definition.
Dafür war ihm erstklassige Behandlung gewiss. So etwas hatte er noch nie erlebt – so eine erstklassige Raffinesse. Dabei hatte er, wenn er ganz ehrlich zu sich selber war, schlechterdings das Gefühl, hinter ihrer blanken Fassade würde eine spezielle Durchtriebenheit stecken. Kaum hatte er sich das gedacht, machte sie sich schon über ihn her, dass ihm Hören und Sehen verging – ein echter Fall von „Brain damage“.
Yoshiko suchte als erstes die luxuriösen Nassräume auf, nachdem sie schon vorher ihre Klamotten abgelegt hatte – in aller sichtlichen Unschuld vermutlich, denn in Japan gilt Nacktheit als nicht tabuisiert. Das traditionelle heiße japanische Bad (Ofuro) wurde immer von ganzen Familien gemeinsam textilfrei genossen. Schon europäische Missionare waren über die dabei anscheinend fehlende Scham erstaunt – den Vogel aber schossen eindeutig die Amerikaner ab: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auf Druck der USA in öffentlichen Bädern, in denen ausnahmslos hüllenlos gebadet wurde, die Trennung nach Geschlechtern eingeführt. Die Japaner, nicht unschlau, haben eine Farce daraus gemacht: Die Segregation besteht manchmal nur aus einem kaum kniehohen Zaun…
Aber ich schweife schon wieder ab. Jedenfalls wurde Pjotr durch das “gute Kind” bereits in der Wanne verwöhnt, geschweige dann erst im Bett – er kam sich vor wie ein junger Gott. Er beschloss, sein Leben zu ändern, Yoshiko auf der Stelle mit zu ihm nach Hause zu nehmen, egal welche Profession sie bis jetzt ausgeübt hatte. Gleich morgen, wann immer das sein mochte. Das war kurz, bevor er erschöpft einschlief, tief und fest.
Als er erwachte, lag ein Zettel auf seinem Schreibtisch, darauf stand: „Whenever Perwonatschaljnow-san requires, three girls would wait for him. I will be among them. And not be crazy – my place is here.“
Pjotr traf Cesarine und Charlot in der Lobby. Sie hatten sich sowieso schon fadisiert und warteten auf seine Befehle. Er fragte, wie spät es eigentlich sei. „Halb vier Uhr nachmittags!“, sagte Charlot, etwas vorwurfsvoll, aber nicht zu anklagend, denn er hing ja von Perwonatschaljnow ab. Cesarine blickte sich im Foyer genauer um – da sah sie eine Gruppe von drei Geishas in ihren traditionellen farbenprächtigen Gewändern. Mit ihren weiß geschminkten Gesichtern wirkten die betörend schönen Frauen wie Geschöpfe aus einer anderen Welt. Pjotr erkannte in einer von ihnen mit Müh‘ und Not seine aktuelle Bekanntschaft.
Die Drei hatten schon alles perfekt vorbereitet, wie überhaupt in Japan nichts Improvisiertes passiert, zumindest nicht leicht. Sie hatten die Limousine akquiriert, die genug Platz für alle bot, inklusive des exzessiven Schminkkoffers der zickigen Cesarine oder des ausladenden Fotoequipments vom schwulen Charlot. Und inklusive der voluminösen Outfits der drei Grazien, was auch nicht zu verachten war. Als alles eingepackt schien, ging es los, in Richtung Koishikawa Botanical Garden. Dieser gehört der nahegelegenen Tokyo University, der renommiertesten Hochschule Japans, und bewahrt ein paar tausend Baum- und Pflanzenarten in einem schönen japanischen Landschaftsgarten auf.
Diesen hatten die Geishas für einen Tag exklusiv gemietet und hier ließen sie sich nicht lange bitten. Sie entledigten sich ihrer komplizierten Garderobe, was klarerweise eine hübsche Zeitlang in Anspruch nahm. Kurzum – sie waren letztlich mit einem Fundoshi bekleidet, einer Art G-String, als einziger Textilie, was mit ihren kreidigen Antlitzen einigermaßen bizarr aussah. Dazu kam noch, dass gerade die Kirschblütensaison einsetzte – ein vollkommenes Nippon-Klischee! Jedenfalls zählte das zu den eindrucksvollsten Fotos, die Perwonatschaljnow je gelungen waren, wenn nicht gar zu den phänomenalsten.
Er zahlte gerne den Preis der drei Göttinnen der Anmut, der übrigens stattlich war – und legte einen Extra-Bonus für Yoshiko Yamamoto bei, von die anderen nichts wussten, abgesehen von dem, was er für ihre Liebedienste entrichtet hatte. Seit die Lösung mit den Lizenzgebühren gefunden war, brauchte er sich keine Sorgen mehr machen.
Kapitel 5 – Vers 6
Professor Marenkovic war auf seine subtile Weise zynisch, unmerklich für Win-fried Winkler, der überhaupt keine Ader für diese Art Spitzfindigkeiten hatte. Der Professor spielte mit Winkler, ohne dass dieser überhaupt etwas begriff. So geschliffen Winfried auch sonst war – Sie erinnern sich dunkel an Titel wie „Essen und Trinken in kulturhistorischer Sicht“, „Eine sentimentale Reise durch die alten Kronländer der Österreichisch-Ungar-ischen Monarchie“, „Kunst kann man lernen“ –, so unbetamt ging er in Bezug auf eine gefühllose, mitleidlose, menschenverachtende Haltung um.
Die Gestalt des Odysseus faszinierte ihn. Da musste doch während der zehnjährigen Belagerung Trojas und spätestens während der ebenso langen Irrfahrt etwas passiert sein, in Sachen Homosexualität (wo die Griechen ohnehin stark hintendieren). Die Lästrygonen und Zyklopen hatte der Listenreiche überlebt, den zornigen Poseidon besänftigt – aber an Kirke biss er sich beinahe die Zähne aus.
Nachdem seine Gefährten in Schweine verwandelt worden waren (bis auf den misstrauischen Eurylochos, der als einziger zu ihm zurückkehrte und ihn warnte), kam ihm zum Glück der Gott Hermes unter. Der gab ihm eine vor Zauberei schützende Pflanze namens Moly mit auf den Weg. Als Kirke nun auch Odysseus verwandeln wollte, gelang ihr dies aufgrund der Wirkung der Magie nicht; stattdessen wurde sie von ihm mit dem Schwert bedroht und musste bei den Göttern schwören, ihm nichts mehr Böses anzuhaben. Sie gab den Compañeros ihre menschliche Gestalt wieder und wurde die Geliebte des Gewitzten, der ein ganzes Jahr bei ihr verbrachte.
Da mochte der Verdacht in Winkler hochgestiegen sein, dass es doch nicht so weit her mit der Gleichgeschlechtlichkeit war. Notfalls ja, wenn gerade kein anderer zur Verfügung stand als ein schwuler Partner – sonst eher nicht. Man mochte an Friedrich II., den bekannten Staufer, denken, für den Ähnliches galt: Als gerade kein anderer da war – auf der an sich wahnwitzigen Reise mit einer Handvoll Getreuer quer über die Alpen –, delektierte sich der spätere Kaiser an seinem Faktotum Ridwan, einem Mitglied der muslimischen Leibwache, den er zuweilen auch „Riccardo“ nannte.
Der Professor rieb sich erneut die Hände – da taten sich ungeheure Möglichkeiten auf, wenn Winfried, wie Marenkovic ihn mittlerweile nennen durfte, weiter so extemporierte. Das war nicht in einem Aufwaschen zu bewältigen – die Uhr tickte unaufhaltsam.
Zurück zu Odysseus. Die Gefährten drängten ihn, sich langsam von Kirke zu verabschieden. Damit schaufelten sie sich ihr eigenes Grab – alle an Bord Befindlichen ertranken in der Charybdis, bis auf Odysseus. Er konnte sich aus den Trümmern des Schiffes ein Floß basteln und so überleben. Nach zehn Tagen wurde er zur Insel Ogygia der Nymphe Kalypso getrieben. Die Gute empfing ihn freundlich und machte ihn sofort zu ihrem Geliebten. Sie versprach ihm Unsterblichkeit, wenn er für immer bei ihr bliebe. Odysseus weilte nun sieben Jahre bei ihr und teilte mit ihr das Bett, sehnte sich aber mit der Zeit trotz aller Verlockungen nach Ithaka zu seiner Gattin Penelope zurück.
Winkler war frustriert. Was er hier hörte, erwies sich nicht nach seinem urnischen Geschmack. Anlässlich seiner nächsten Sitzung pochte er auf explizit homoerotische Themen, ganz gegen seine an sich zurückhaltende Art – jetzt war schwule Literaturschulung auf dem Tapet. Zum Beispiel „Die Geschenke der Liebe“ von Henry Benrath (eigentlich Albert H. Rausch), der die Verschmelzung europäischer und asiatischer Kultur in der großen Freundschaft zu dem annamitischen Prinzen Nju-Yan Tehol beschrieb – das wohl schönste Werk des Autors. Das war schon eher nach Winfrieds Schönheitssinn, aber es kam noch besser.
In „Heimliche Freundschaften“ erzählt Roger Peyrefitte, dass er sich während der Dreharbeiten in der Abtei von Royaumont in den damals dreizehn- oder vierzehnjährigen Alain-Philippe Malagnac d’Argens de Villele verliebt hat, mit dem er fortan eine leidenschaftliche Beziehung führte. Was bei unserem Sachbuchschreiber eine wehmütige Saite zum Erklingen gebracht hat…
Damit war aber die knappe Stunde schon wieder vorüber, die er bei Marenkovic verbringen durfte. Ich sag’s nur, damit nicht der Eindruck entsteht, dass es sich um mehr gehandelt hat, als um eine rein geschäftsmäßige Beziehung, jedenfalls von Seiten des Professors. Dieser hat ihm nie das Du-Wort angeboten, nur dass klar ist – Winfried Winkler sah darüber hinweg, um des lieben Friedens willen. Er war schon froh, dass er überhaupt jemanden gefunden hatte, mit dem er offen über seine Probleme sprechen konnte. Und Marenkovic hatte ihn schließlich aus einer äußerst heiklen Situation herausgepaukt, ohne dass er Schaden nehmen musste.
Bei einer neuerlichen Séance, die zwei Wochen später stattfand, besprachen die beiden „Perrudja“ von Hanns Henny Jahnn. Zu würdigen ist seine in der Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts nicht übertroffene Darstellung der Konflikte und Erfüllungen mann-männlicher Liebe, der Faszination und der Gefährdung von Männlichkeit überhaupt. Zu charakterisieren ist die Wunde der Stigmatisierung erfassende, sie bloßlegende oder verklärende erotische Utopie.
Das war nicht ganz nach Winfrieds Stilgefühl, die übertriebene und nichts auslassende Beschreibung eines queeren Tatbestands. Zwar ästimierte er die unzweifelhaften Verdienste Jahnns, aber wurde gewissermaßen nicht warm bei ihm. Daher ging man rasch weiter, zu „Das Meer der Fruchtbarkeit“ von Yukio Mishima, der seine Homosexualität zum Thema einer unprätentiösen, ehrlichen und poetischen Analyse machte. Als Schriftsteller wurde er bekannt durch seinen rhetorischen Stil, die fein entwickelte Komposition und einen sehr reichen Wortschatz. Sein Hauptwerk ist die in Frage stehende Tetralogie, bestehend aus den Romanen „Schnee im Frühling“, „Unter dem Sturmgott“, „Der Tempel der Morgenröte“ und „Die Todesmale des Engels“.
Die beiden (Winkler und der Professor) verbrachten eine ganze Reihe einzelner Stunden mit Mishimas Lektüre – zur ungetrübten Freude Marenkovics, der die Kasse klingeln hörte. Ob er allerdings die Angelegenheit einer ordnungsgemäßen Besteuerung zuführte, blieb im Unklaren. Winfried hat wenigstens keine Rechnung verlangt – das hätte er aus naheliegenden Gründen des Prestiges niemals getan.
Endlich sie zu etwas anderem: zu „Die Knaben“ von Henry de Montherlant. Der Protagonist hat zunächst diverse Hauslehrer und besucht dann verschiedene Schulen, zuletzt ab Jänner 1911 das katholische Collège Sainte-Croix in Neuilly. Diese Anstalt muss er im März 1912 wegen einer intimen Freundschaft zu einem jüngeren Schüler kurz vor dem Abitur verlassen. Montherlant versetzt sich in das bourgeoise Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg. Mit scharfer Beobachtungsgabe wird das Leben in einem von Geistlichen geleiteten Knabeninternat ausgebreitet: Das Geflecht der Beziehungen, die Abhängigkeiten, die ersten Gefühlsregungen junger Liebender.
Plötzlich hatte Winkler Skrupel bezüglich seines Schwulseins, namentlich mit nur eingeschränkt mündigen Personengruppen. Das war schon einmal beinahe schiefgegangen – da musste er praktisch ständig daran denken, und es verging ihm jegliche Lust auf erotische Abenteuer. Er war „geheilt“, aber anders, als sich das der Professor vorgestellt hatte. Er brach die Sitzungen abrupt ab – zum Entsetzen Marenkovics, der sich um eine prächtige Einnahmenquelle betrogen sah.
Winfried lebte fortan ganz enthaltsam, abgesehen von gelegentlichen Ausflügen in das Reich der Onanie. Er verbrachte seine Zeit künftig vorwiegend mit Fernsehen, und er nahm beständig an Leibesfülle zu. Der Mann lebte fortan von seinen Tantiemen (und er hatte diesbezüglich ausgesorgt) – aber für die menschliche Gemeinschaft war er verloren…
Kapitel 5 – Vers 7
Cora unterhielt sich mit mir über Wendelin Schmidt-Dengler, den „Star-Germa-nisten“, wie der Boulevard respektlos schrieb. Meine geheime Geliebte hatte ihn nie persönlich kennengelernt, aber ich durfte ihn Freund nennen – sein Tod hat mich schwer getroffen. Wir trafen uns in unregelmäßigen Abständen, zuletzt nicht mehr achtmal im Jahr, wenn es hoch ging, was auch mit meiner eigenen wachsenden beruflichen Belastung zusammenhing.
Aber beginnen wir am Anfang. Zu Schmidt-Dengler hatte ich ein Urvertrauen, von vornherein, anders als zu meinen sonstigen Universitätslehrern. Er war zu jener Zeit ein Assistent, der letzthinzugekommene noch dazu. Studiert hatte er klassische Philologie – das heißt, er tat sich einigermaßen schwer unter lauter Germanisten. Aber er hatte nehmen müssen, was er bekam, und es gab dazumal nicht viel Auswahl. Der Institutsvorstand war ein aufgeblasener Geselle, der ihn immer spüren ließ, dass er ein Außenseiter bleiben musste. Er kämpfte sich dessen ungeachtet nach oben, Schritt für Schritt, einfach durch seinen Intellekt, der überragend war.
Ich erinnere mich, als Schmidt-Dengler dann endlich sein erstes eigenes Proseminar abhalten durfte – es war von herein anspruchsvoll und hochgestochen. Scharfsinn, gepaart mit Mutterwitz, ein metaphysisches Erlebnis. Und bei dieser Gelegenheit passierte es, dass er uns nach eigenen Texten fragte. Da packte ich den Stier bei den Hörnern und ergriff meine Chance, meine Ergüsse vor größerem Publikum (es waren circa dreißig Leute anwesend) auszubreiten.
Gleich beim Titel unterbrach mich Schmidt-Dengler – milde lächelnd, sagte er: De Cogitatio, das muss aber heißen De Cogitatione! Ich errötete heftig, begleitet von seinem Spott. „Ja, die Fremdwörter…“ Ich nahm mir vor, künftig alles zu überprüfen, doppelt und dreifach. Den Rest (das eigentliche Lesestück) erlebte ich wie in Trance – ich hatte vor Augen die Blamage, die ich mir selbst bereitete. Aber der abschließende, doch sehr aufbauende Applaus sagte mir, dass ich meine Sache so schlecht nicht gemacht haben durfte. Jedenfalls ging es ohne weitere Unterbrechung ab.
Insgeheim war er für mich insgeheim Wendelin, der gute Zauberer, wobei der große Egichius nicht möchte, dass Wendelin Zauberer wird. Er verhext ihn in einen Hund und stiehlt ihm seinen Zauberstab. Mit seinem Freund, dem Ziehharmonikaspieler Kater Moritz, macht sich der Hund Wendelin auf die Suche nach dem gestohlenen Zauberstab. Die Geschichte zeigt wie man mit Ausdauer, Mut, Phantasie und guten Freunden auch schwierige Aufgaben meistern kann: ein Symbol für Schmidt-Denglers Leben?
Er wurde wie gesagt 1966 Assistent, und dreizehn lange Jahre – bis 1980 – harrte er aus. Wie er es so lange mit seinem Chef, diesem selbstgerechten und arroganten Individuum, ausgehalten hat, ist mir heute noch ein Rätsel. Dann wurde er außerordentlicher Universitätsprofessor, und erst 1989 ordentlicher Universitätsprofessor – er hat ja wahrlich die Ochsentour des akademischen Lebens durchlaufen. Von da ging es immerhin steil bergauf: Schmidt-Dengler war schließlich Vorstand des Instituts für Germanistik der Universität Wien, Leiter des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek und Ehrenvorsitzender der Heimito von Doderer-Gesellschaft. 1996 übernahm er die Leitung des auf seine Initiative hin gegründeten Österreichischen Literaturarchivs an der Österreichischen Nationalbibliothek, dem er die Nachlässe von österreichischen Autoren wie Ödön von Horvath, Hilde Spiel, Ernst Jandl und vielen anderen sowie Autographen von Egon Friedell bis Peter Handke sicherte. Zusätzlich nahm Schmidt-Dengler Gastprofessuren in Pisa, Neapel, Klagenfurt, Salzburg, Graz und Stanford an. Es ist nirgends belegt, aber er hat auch gelegentlich von einem Aufenthalt in der Yokohama National University gesprochen.
Was nur ich wusste – Wendelin hat die Ansätze eines utopischen Romans verfasst, was sonst bei seinen mehr irdischen Vergnügungen (worunter zum Beispiel auch Fußball war – eine Leidenschaft, die ich keineswegs mit ihm teilte) ungewöhnlich schien. Mir kam vor, dass er sich in die Gedankenwelt meiner bisherigen Veröffentlichungen hineindenken wollte – so da sind, Nostranima – Über Abenteuer, Erotik, Weisheit und Utopie, Berenice – Sir Basil Cheltenhams zweites Leben, Anastacia – Die ewige Barbarei der Gefühle.
Hineindenken ist nicht ganz richtig – Schmidt-Dengler wollte ja immer der Beste sein, auf jedem Gebiet. Ein verzeihlicher Fehler, weiß Gott, angesichts seiner unübersehbaren Verdienste…
Ich hätte mir die diesbezüglichen Auslassungen ohne weiteres unter den Nagel reißen können. Nach Nostranima, Berenice und Anastacia (insgesamt über 1.500 Seiten) fühlte ich mich etwas ausgebrannt, und besonders in Anbetracht der Tatsache, dass spätestens im zweiten Jahr nach Publikation des letzten Teils schon wieder eine Fortsetzung verlangt wurde, merkte ich eine gewisse Müdigkeit, dem nachzukommen. Da wäre mir eine Veröffentlichung des nur mit einem schlichten XXX gekennzeichneten Textes zupass gekommen – ich brauchte ja lediglich meinen Namen (Johannes Themelis) hinzufügen und es war dank des Todes meines Freundes geritzt.
Was fiel mir da ein? War ich schon komplett wahnsinnig geworden? Ich nahm selbstverständlich Abstand, erzählte Cora davon, die ich zu der Zeit bereits kannte (vor ihr hatte ich fast keine Geheimnisse), und sie nahm mein „Mea Culpa“ bereitwillig an. Wir beratschlagten hin und her, was wohl zu tun sei – ob es Wendelin recht war, wenn sein Pseudonym gelüftet worden wäre, oder ob er wohl das ewige Schweigen darüber ausbreiten wollte. Ganz gegen seine sonstige Praxis, denn da musste wohl sein Nomen proprium angeführt sein, und er war seinen Ruf recht ordentlich bedacht.
Wir waren uns unschlüssig über diesen Punkt, daher vertagten wir für’s erste und wandten uns dem Inhalt zu. Überrascht sahen wir den ungeheuren Detailreichtum, was manche als Mangel sehen würden, aber ich vermochte daran einen echten Schmidt-Dengler erkennen – er konnte fallweise die Worte nicht halten. Da gab es ?-Canopus, das Flaggschiff der Flotte, einen riesigen Raumkreuzer, der entfernt an die Nostranima erinnerte, sowie die kleineren Kriegsschiffe ?-Miaplacidus, ?-Avior, ?-Turais, ?-Omega Carinae, x-V382 Carinae, ?-Eta Carinae – angelehnt an das Sternbild „Kiel des Schiffs“, das lediglich vom südlichsten Teil Europas (Gibraltar, Malta, Kreta) aus beobachtet werden kann.
Ich beschloss, die Weiterverarbeitung des umfangreichen, wenn auch unvollendeten Konvoluts in die bewährten Hände von Claudette Williams zu legen (sie drückte sich ja in Deutsch genauso gut wie in ihrer Muttersprache Englisch). Bei ihr war das unbestritten am besten aufgehoben – sie war einfach optimal für derartige Dinge. Was ich Cora allerdings nicht verriet (es gehörte zu den wenigen Gegenständen, die ich nicht mit ihr besprach), war die schwer zu verstehende Tatsache, dass es um ein bloßes Alter Ego ging – um eine fiktive Persönlichkeit, die mir half, die weibliche Sicht der Dinge besser zu verstehen.
Kapitel 5 – Vers 8
Cora informierte ich insofern, als ich bei längeren Auslandsaufenthalten Farbe bekennen musste, wer in meiner Begleitung unterwegs war – so auch anlässlich meines Besuches in der Russischen Föderation, bei dem Erich Mergenthaler (früher Hamish Carmichael, aber das wusste nur ich) mitreiste. Die Situation war angespannt, denn es stand die Invasion der Krim unmittelbar bevor. Wir wurden als Ausländer misstrauisch beobachtet – auch der eine oder andere Übergriff kam vor.
Der russische Präsident machte Politik wie in der finstersten Kolonialzeit, ohne Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten – aber taten’s nicht auch die Amerikaner (eingedenk Guantánamo, stellvertretend für viele andere Orte auf diesem Globus) und die Chinesen (man muss sich bloß ins Gedächtnis rufen, was sich am Tian’anmen-Platz abgespielt hat, wo nach Schätzungen des Roten Kreuzes an die 3.000 Menschen umgekommen sind), die sich einen Dreck um internationale Vereinbarungen scheren, wenn es gerade in ihren Kram passt. Verführte sind bloß die einzelnen Völker, seien nun Täter oder Opfer…
Er betonte, dass das kommunistische Regime trotz seiner Verbrechen ein wichtiger Bestandteil der russischen Geschichte sei und einen wichtigen Einfluss auf die moderne russische Gesellschaft gehabt habe. In der Folge kehrten einige sowjetische Symbole nach Russland zurück, darunter die rote Militärflagge mit dem Sowjetstern und die sowjetische Nationalhymne – allerdings mit einem anderen Text. Doch soweit waren noch lange nicht. Der spätere Präsident wurde durch die bürokratische Mühle gedreht.
Er erzählte, wie er als Jura-Absolvent schließlich zum KGB (zu deutsch Komitee für Staatssicherheit) kam – nämlich aufgrund der sowjetisch-popkulturellen Propaganda, wegen er sich allerlei James-Bond-haftes imaginiert habe. Nichts davon war wahr. Er kam zunächst in Ost-Deutschland in der etwas belanglosen Außenstation in Dresden, wo er die Wende erlebte. Die Zeit beim KGB habe er letztlich als unbefriedigende Lebensepisode in Erinnerung, weil sich das Abenteuerliche des Agentendaseins im Bürokratischen, im weisungslastigen Angestelltendasein erschöpfte. Wahre Autonomie und Gestaltungsmacht habe er erst als Präsident erlangt.
Wie aus einem einfachen Oberstleutnant (der auf eine Dienststellung als stellvertretender Abteilungsleiter in der KGB-Residentur hindeutet) in relativ kurzer Zeit der Präsident der Rossijskaja Federazija mit einem geschätzten Vermögen sich von mindestens 40 Milliarden Dollar werden konnte, entzog sich unser Kenntnis. Dieser große Wohlstand bestand vorwiegend in Form von Aktien – darunter 37 Prozent des Grundkapitals von Surgutneftegas, 4,5 Prozent der Papiere von Gazprom sowie 50 Prozent an der Erdölhandelsfirma Gunvor.
Da musste schon Boris Jelzin seine Hand im Spiel gehabt haben, der nach unbeschreiblich kurzer Blitzkarriere im August 1999 – als seinen Wunschkandidaten für seine Nachfolge – zum Ministerpräsidenten ernannte. Als Jelzin im Dezember 1999 überraschend sein Amt niederlegte (es musste wohl eine Besäufnis zu viel gewesen sein), übernahm Putin verfassungsgemäß auch die Amtsgeschäfte des Präsidenten der Russischen Föderation bis zur Wahl des Nachfolgers, der folgerichtig er war. Am selben Tag gewährte er per Dekret Jelzin Straffreiheit für seine Handlungen während der Amtszeit sowie für künftiges Handeln und gewährte ihm und seiner Familie einige Privilegien.
„Herr Präsident! Bewahren Sie in kritischen Situationen immer die Ruhe?“, haben Mergenthaler und ich bei einem Exklusivinterview gefragt. „Ja. Ich reagiere vielleicht sogar zu ruhig. Früher, als ich auf die Geheimdienstschule ging, stand in einer Beurteilung als negativer Wesenszug: ‚Mangelnde Ernsthaftigkeit in Gefahrensituationen.‘ Man muss in Gefahrensituationen angespannt sein, um angemessen reagieren zu können. Das ist wirklich wichtig. Angst muss sein wie Schmerz. Wenn etwas weh tut, dann heißt das, dass etwas mit dem Organismus nicht stimmt.“
Und weiter: „Ich glaube, dass im Krieg immer viele Fehler gemacht werden. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber wenn man Krieg führt und darüber nachdenkt, dass um einen herum alle Fehler machen, dann wird man niemals siegen. Man muss dazu eine pragmatische Einstellung gewinnen. Und man muss den Sieg im Kopf haben. Damals hatten sie“ (die Bemerkung bezog sich auf den Zweiten Weltkrieg, den sie in Russland in Anlehnung an das Jahr 1812 den Großen Vaterländischen Krieg nennen) „den Sieg im Kopf.“
Wovor Putin Angst hatte, entfaltete er im Jahr 2000 unmissverständlich: Er fürchtete die Umklammerung durch den Westen, vor allem aber vor der Fortsetzung des Zerfalls der UdSSR. „Es ist doch klar, dass man dies irgendwann einmal stoppen muss. In der Tat, eine Zeit lang habe ich gehofft, dass dieser Prozess durch das Wirtschaftswachstum und die Entwicklung demokratischer Strukturen gebremst würde. Aber das Leben und die Praxis haben gezeigt, dass dies nicht der Fall war.“
Soweit die Unterredung, die an Klarheit nichts zu wünschen übrig ließ. Wir hatten das Gespräch auf Deutsch geführt, was für Wladimir Wladimirowitsch kein Problem war. Mehr als das: Er gab uns einen Ukas mit, der uns weitgehend freie Hand gewährte – er hatte komischerweise einen Narren an uns gefressen, erwartete sich wohl eine „objektive“ Berichterstattung, sowie er sich auch weit aus dem Fenster gelehnt hatte bei unseren mehr als persönlichen Fragen.
Wir suchten selbstverständlich eine Stadt aus, jenseits der Metropolen Moskau und St. Petersburg, und kamen in eine der vielen Orte, die rund 100.000 Einwohner haben, aber keinerlei kulturelle Einrichtung aufweisen: nach Meschduretschensk, einer durchschnittlichen sibirischen Ortschaft im Oblast Kemerowo, sechs Stunden später als die Mitteleuropäische Zeit. Während in Österreich zum Beispiel Klagenfurt, eine Stadt ähnlicher Größe, selbstverständlich ein Theater hat, abgesehen von einer lebendige Kunst- und Kulturszene, ist in der in Frage stehenden Stadt tote Hose.
Der Bürgermeister, Wadim Alexandrowitsch Schamonin, empfing dessen ungeachtet sehr herzlich, geradezu überschwänglich, wozu die Weisung des Präsidenten nicht unwesentlich beigetragen mochte – aber auch die Neugier trug in diesem gottverlassenen Fleckchen Erde dazu bei, den Focus der Aufmerksamkeit auf uns zu konzentrieren. Endlich passierte etwas in dieser Einöde, in dieser immer gleichen Abgeschiedenheit und Trostlosigkeit.
Wadim Alexandrowitsch öffnete seine beste Flasche Wodka, und es blieb nicht bei der einzigen. Erich Mergenthaler und ich waren in puncto Trinkfestigkeit unserem Gastgeber weit unterlegen – wir gaben in kürzester Frist „walk over“. Gerade noch rechtzeitig, um die umwerfende Tatjana Denissowa bewusst zu registrieren.
Mein Freund erinnerte sich schlagartig seiner Sexsucht, die ja wegen der Ereignisse seither etwas in den Hintergrund getreten war. Tanjula, wie er sie vertraut nannte, erwies sich geradewegs zugänglich – wo mochte sie so schnell wieder einen Westeuropäer kennen lernen. Sie war Mitte Dreißig, mit kurzen, schwarzen Haaren und dunklen Augen und hatte demgemäß, mit circa 1,70, nicht das Gardemaß meiner Cora (sie war übrigens einen Kopf größer als Marenkovic), sodass ich sie gewohnheitsmäßig links liegen ließ. Dessen ungeachtet war sie schlank und sportlich und sie hatte sehr lange Beine. Tatjana war einfach gekleidet, nach ihren bescheidenen Möglichkeiten, aber raffiniert genug, um die Aufmerksamkeit von Erich auf sich zu ziehen.
Die Satyriasis schlug unvermittelt und ohne jeden Übergang zu. Mergenthaler zog sich mit Tanjula in sein Zimmer zurück. Er riss ihr womöglich schon an der Tür die Kleider vom Leibe – und ich täuschte mich selten im Umgang mit Sonderlingen. Sollte es sich bei der neuen Freundin meines Kumpels um eine Agentin der FSB (Federalnaia Slushba Bezopasnosti), der Inlandsabwehr, gehandelt haben, richtete sie bei ihm nicht viel aus.
Ich selbst schleppte mich in meine Kemenate, wo ich todmüde auf‘s Bett sank. Mein letzter Gedanke, bevor ich einschlief, galt Cora. Der Einmarsch auf der Krim hatte mittlerweile ohne uns stattgefunden. Man muss Putin auch irgendwie verstehen: Das NATO-Bündnis war ihm bedrohlich auf die Pelle gerückt. Nach Ost-Deutschland, Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien hatte sich die Nordatlantikpakt-Organisation auf ehemals sowjetisches Kernland, nämlich die baltischen Republiken, ausgebreitet, und nun stand die Ukraine auf dem Spiel – das konnte der Präsident zumindest aus seiner Sicht nicht so ohne weiteres hinnehmen. Klar, dass er sich zur Wehr setzte, und wenigstens die Halbinsel mit Stützpunkten der russischen Schwarzmeerflotte in seinen Besitz bringen wollte.
Den Vogel schoss ein uralter sibirischer Bauer, den wir kürzlich in einem Dorf nahe Meschduretschensk interviewt hatten, mit den Worten „Nichts hat sich seit Zarenzeit geändert, weder durch den Kommunismus noch durch die nachfolgende nationalkonservative (nennen wir’s einmal so) Richtungsänderung – mir geht’s gleich schlecht, nur die Hütte, in der ich lebe, ist in der Zwischenzeit noch baufälliger geworden!“ Wir versprachen, ihn nicht zu zitieren.
Erich und ich hatten ein ungutes Gefühl. Wir nahmen überstürzt Abschied von diesem gastlichen Land und kehrten auf schnellstem Weg wieder nach Österreich zurück.
Kapitel 5 – Vers 9
Grille scherte sich nicht um sein Projekt – nicht wirklich. Er hatte sein Geld für die Feasibility-Study erhalten – das übrige ging ihn nichts mehr an. Er hörte über drei Ecken, dass daraus nichts weiter geworden war. Die Auftraggeber der Studie hatten aus irgendeinem Grund nur einen Abschreibungsposten gesucht – was aus den bereits angekauften Grundstücken geschehen ist, entzieht sich meiner Kenntnis.
Dominic Schmidt ließ es sich gut gehen, hinter drei Meter hohen Mauern, in Constantia, wo er über Einladung der de Maizières schon geraume Zeit verbrachte. Er freundete sich mit Themba Gumede an, und – anders als bei Donovan Jojo, dem Schönling, der strikt auf seiner Heterosexualität bestanden hat – fielen seine Avancen durchaus auf fruchtbaren Boden. Sie trafen sich ab nun öfters im Gesindehaus, an einem abgelegenen Ort, den aufzusuchen sich die Herrschaft ohnehin verbeten hätte – wenn Bedarf bestand, mussten sich die Bediensteten im „Palast“ (so nannte es jedenfalls Themba) einfinden.
Dann überkam Grille plötzlich eine unbändige Sehnsucht nach Felix Lehmann. Da gab es kein Halten mehr für ihn – er packte Anné zusammen. Er hatte ja versprochen, das Mädchen unter seine Fittiche zu nehmen, wenn er wieder nach Hause fuhr. Vater und Mutter de Maizière hatten sich längst diskret erkundigt, wie denn die Verhältnisse bei Schmidt/Lehmanns waren, und das fiel eindeutig zu ihrer Zufriedenheit aus. Eine Rückkehr in Annés bisherige Wohnung (im Opernringhof) kam nach Ansicht der Eltern ebenso wenig in Frage wie ein Comeback in ihre alte Schule (dem Akademischen Gymnasium) – sie sollte künftig weit vom Schuss, nämlich im 13. Wiener Gemeindebezirk, ihre Ausbildung beendigen. Was die de Maizières damit der Schwulenehe für eine immense Bürde aufhalsten, kümmerte sie eher nicht – sie glaubten ja, dass mit Geld alles zu machen sei. Und so war es letztlich auch…
Der Vater hatte praktischerweise in nächster Zeit dienstlich in Wien zu tun, und man flog mit dem firmeneigenen Jet, was ungeheure Vorteile aufwies – Annés umfängliches Gepäck war problemlos unterzubringen, und auch Dominics voluminöse Siebensachen stellten keinerlei Schwierigkeit dar. Kurzum gesagt, man war in nur siebeneinhalb Stunden daheim in Wien, und – da schon ein Wagen wartete – in Nullkommanichts in der Wohnung in der Stoesslgasse. Und hier lernte de Maizière den zweiten Teil dieser Lebenspartnerschaft kennen – und war durchaus angetan von dem, was er da sah.
Felix Lehmann „bemutterte” vom ersten Moment an Anné nach Strich und Faden. Er war rührend um sie bemüht, und da der Altvordere nichts von den Querelen ahnte, die mit Grille normalerweise an der Tagesordnung waren (und da die beiden ein Herz und eine Seele schienen), zog de Maizière befriedigt ab, in sein normales Logis. Anné war ab nun in der Stoesslgasse daheim, in einem gutbürgerlichen Haus, wenn es auch auf den zweiten Blick etwas ungewöhnlich war. Sie hatte ihr Aschenbrödel-Outfit in Südafrika zurückgelassen sowie jenes von Schneewittchen, der Fee Pari Banu, der klugen Jungfrau, der Sklavin Harun ar-Rasch?ds, der Nixe im Teich sowie der Undine, ganz zu schweigen von der besonders inkriminierten Aufmachung der Kleopatra, wobei sie den Verdacht nicht los wurde, dass ihre Mutter die Sachen bei nächster Gelegenheit entsorgt hatte.
Aufgrund seiner intimen Kenntnisse als Funktionär in der Bezirksvertretung fand Felix ein Gymnasium nicht weit von ihrer Wohnadresse, in der Wenzgasse, wo er als guter Onkel auftrat, der nur interessehalber mitging – Anné konnte, mittlerweile im neunzehnten Lebensjahr, für sich selbst sprechen. Sie machte freiwillig die siebente Klasse noch einmal, die sie weitgehend versäumt hatte, wegen anderweiter Geschäfte (Sie erinnern sich der Bemerkung „not a child of sorrow”).
Fräulein de Maizière war sittsam geworden, geradezu lammfromm und hausbacken (wenn mir dieses Urteil gestattet ist). Nahtlos fügte sie sich in den Schulbetrieb ein, machte kein Aufsehen von sich – vorbei war die blonde Perücke über dem Original-Brünett, war ihr aufreizendes und provokatives Outfit. Sie trug ab sofort sackartige Kleider, von denen sie im Beisein von Felix eine ganze Menge besorgt hatte, zusammen mit ebensolchen Mänteln für die kalte Jahreszeit.
Auf was Anné nicht verzichtete, war verführerische Unterwäsche, ebenso begleitet vom gönnerhaften Verhalten Lehmanns, der seinen besten Anzug ausführte und über jeden Verdacht erhaben war – allenfalls handelte es sich um einen reichen Freund, der seiner blutjungen Begleiterin eine Freude machen wollte. Dabei hat sie sich alles selbst bezahlt, alimentiert durch eine großzügige Apanage ihres Daddys. Außer dieser einen Mann (man ist fast geneigt, dies unter Anführungsstriche zu setzen) hat sie bis auf weiteres niemand sonst gesehen, und das sie darunter anhatte, blieb ein Geheimnis.
Anné besuchte also die Schule, wo sie in so ziemlich allen Gegenständen brillierte, ausgenommen vielleicht Leibeserziehung (wobei sie zweimal in der Woche ein weniger gewagtes Teil anzog). Es galt die Devise „Nur nicht auffallen – außer allenfalls durch gute schulische Leistungen“. Besonders tat sie sich im Deutschunterricht hervor, wo sie in kürzester Zeit zum absoluten Liebling der Professorin, Fräulein (darauf legte die Lehrerin ausdrücklich Wert) Julia Fischer, sehr zum Unwillen der bisherigen Günstlinge, einer gewissen Vera Vukovi? und ein gewisser Gideon Pollock.
Sie konnten aber schwer was dagegen sagen, wenn Anné folgendermaßen loslegte: Fjodor Michailowitsch Dostojewski – Aufzeichnungen aus einem Totenhaus! Dostojewski schildert darin präzise und authentisch in einer losen Folge von Szenen und Beschreibungen das Leben in einem sibirischen Gefängnislager anhand eigener Erfahrungen während der Zeit seiner Verbannung von 1849 bis 1853. Die Katorga, nebenbei bemerkt, war die schwerste Freiheitsstrafe, verbunden mit der Entziehung aller Standesrechte und Verlust der Familien- und Eigentumsrechte. Sie war entweder lebenslänglich oder zeitlich (vier bis 20 Jahre) und wurde in Bergwerken, Festungen oder Fabriken vollzogen. Die Aufzeichnungen werden verfasst vom fiktiven Insassen Alexánder Petrówitsch Gorjánt-schikow, der wegen des Mordes an seiner Frau deportiert und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Aufgrund seiner adligen Herkunft erfährt er anfangs Schikanen nicht nur durch das Gefängnispersonal, sondern auch durch seine Mitgefangenen aus niedrigeren Schichten, lebt sich während seiner Haft aber mehr und mehr in die Gemeinschaft ein. Dostojewski porträtiert in dem Buch alle Gestalten des Lagers. Von den teils grausamen Offizieren bis zu den in der Gefängnishierarchie tief unten stehenden Polen, über die Schmuggler bis selbst zu den Hunden bildet er alle Typen des Lagers ab und konfrontiert ihre Charaktere in der isolierten Lagersituation fast wie in einem Versuchsaufbau. Seine Kritik gilt sinnlosen und entwürdigenden Maßnahmen wie der Fesselung Schwerkranker und verweigerter Hygiene, aber auch der Stigmatisierung der Sträflinge und ihrer unterschiedslosen Behandlung, die weichere und geistig bedürftigere Gefangene ungleich schwerer trifft.
Soweit das Referat, über das Julia Fischer in wahre Freudentaumel ausbrach. Anné de Maizière wiederum erinnerte sich plötzlich an Fabian. Sie fragte sich, was aus ihm wohl geworden sein mochte – sie hatten sich anlässlich ihrer überstürzten Abreise aus den Augen verloren. So war jedenfalls ihre Lesart: in Wirklichkeit hatte sich Fabian nach ihr verzehrt, während sie sich rasch tröstete. Aber einerlei – jetzt sorgte sich die junge Dame unvermittelt um ihn, hatte eine umfangreiche Internet-Recherche laufen und spannte Lehmann ein, um in seiner Funktion als Bezirksrat der ÖVP Nachforschungen anzustellen. Fazit: die Justizanstalt Gerasdorf am Steinfeld wurde als derzeitiger Aufenthaltsort identifiziert. Felix versprach, seine Schutzbefohlene bei nächster Gelegenheit dorthin zu begleiten.
Das rief Dominic Schmidt auf den Plan – er hatte ja das Mädchen unter einigem Einsatz sicher nach Europa zurückgeführt. Und wenn Lehmann nicht so besonders nett und freundlich gewesen wäre, inklusive dass er demütig war und bereit, zur Steigerung des Lustgewinns einiges auf sich nehmen, hätt’s bestimmt ein Eifersuchtsdrama der Sonderklasse gegeben. So aber fuhren die beiden mit seinem Segen.
Fabian hatte bis jetzt nur Besuch von seinen Eltern vom Pratenserhof erhalten, die gleich von lossagten, sowie sie nur einen näheren Einblick gewannen. Sie hatten ja noch genügend andere Kinder, neun an der Zahl, die wohlbestallt waren, mittendrein Katharina, die zwar eine Mesalliance einging, aber das machte nichts gegenüber einem verurteilten Straftäter.
Im Gefängnis angekommen, zog sich Felix diskret zurück und ließ dem Mädchen freie Bahn für ihr Wiedersehen. Fabian war einigermaßen verblüfft (der zuständige Aufseher hatte ihm aufgrund der Verhaltensmaßregeln Lehmanns nicht das Geringste gesagt), ohne ein Wort zu sagen. Auch Anné schwieg. Sie zeigte unter all dem Sackförmigen ihre Dessous, den raffiniert geschnittenen BH, und den gewagten String. Es war eine Verheißung…