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2. TEIL
GEDANKEN
ÜBER SICH SELBST

201

Mein Dasein als Anastacia Pangou wäre wohl ganz anders verlaufen, sprich lähmend eintönig bei der Landarbeit in meinem griechischen Dörfchen, wenn nicht…

– ja, wenn nicht mein Vater so früh gestorben wäre. Noch zu seinen Lebzeiten schien er mir von keinerlei Nutzen zu sein, wie er so den ganzen Tag vor dem Haus saß, mit seinem Kombolói spielte und dazu jede Menge Ouzo in sich hineinschüttete. Meine Mutter hatte die gesamte Arbeit am Hals, nicht nur im Haus, sondern auch mit den Feldfrüchten und den Ölbäumen, liebte diesen ???????? aber dennoch heiß, was mich früh zur Vermutung brachte, dass er ihr offensichtlich doch (und wie ich vermutete nachts, denn sonst war davon nichts zu sehen) irgendwelche geheimnisvollen Freuden bereiten musste. Neugierig geworden, belauschte ich die beiden, gut versteckt vor ihrem Schlafzimmerfenster, wagte aber meinen Kopf nicht zu heben und hineinzusehen. Anfangs dachte ich, der Vater würde die Mutter umbringen, aber bald wurde ich von meinen Schulkameradinnen eines besseren belehrt, indem sie mir erklärten, es würde dabei das Gleiche geschehen, wie ich es schon oft bei einem Eselspärchen beobachtet hatte. Aber dann lag Vater eines Morgens tot in seinem Bett, und Mutter weinte sich die Augen aus. Erst später verstand ich, dass sie nicht nur der Verlust in Aufruhr versetzte, sondern auch ein grausames Gesetz unserer archaischen Gemeinschaft, das sie, obwohl noch ziemlich jung, zu lebenslang schwarzgekleideter Witwenschaft verurteilte.

– und wenn meine Mutter nicht versucht hätte, durch die Maschen dieses Gesetzes zu schlüpfen, indem sie sich mit fremden Männern einließ, wenn wir fern vom Dorf unsere Produkte zum Markt brachten. Den strammen Burschen, die sie mit großem Geschick unterwegs auftat, waren die sozialen Verhältnisse dieser Frau, die sich ihnen so bereitwillig anbot, herzlich gleichgültig, und während ich am Straßenrand bei unseren Lasttieren Wache halten musste, gab es weiter drinnen im Kaktushain manches Dacapo vormals ehelicher Genüsse meiner Mutter. Ich selbst war in jener Zeit noch zu jung, vor allem aber zu dünn und schlaksig, um von jenen Kerlen als Sexobjekt wahrgenommen zu werden, aber das änderte sich rasch, als sich meine Formen früh zu runden begannen. Wollte ich, als es so weit war, meinen eigenen Flirt haben, wurde ich zu meiner Überraschung nicht daran gehindert, wenn es nur keiner von unserem Ort war.

– und wenn ich nicht beobachtet hätte, wie Mutter sich mit ihren gelegentlichen Eroberungen nicht zufriedengab, sondern in heißen Nächten, wenn sie nicht schlafen konnte, die verschiedensten Gegenstände unseres Hauses gebrauchte, um sich selbst zu befriedigen. Ich hegte große Sympathien für diese Fetische und verspürte den heftigen Drang, ihnen außer ihren alltäglichen und jenen besonderen Obliegenheiten komplexere menschenähnliche Funktionen zu verleihen – womit offenbar die Grundlage für meine Beschäftigung mit künstlichen Lebewesen geschaffen war. Zugleich lernte ich, ohne viel davon zu merken, dass Weiblichkeit auch ohne Bezug zu einem oder in Reflexion auf einen Mann ausgelebt werden konnte, und ich wurde davor bewahrt, patriarchalische Strukturen zu internalisieren.

– und wenn sich in dieser von Europa aus gesehen gottverlassenen Gegend nicht plötzlich ein Engländer herumgetrieben hätte (ein richtiger Earl, wie sich später herausstellte), der nach dem üblichen Woher-wohin, das er sich landesüblich angeeignet hatte, von meiner Mutter in gewohnter Weise verführt wurde, aber zu meiner Überraschung auch heimlich zu uns eingeladen – und angeregt, sich an mir ebenfalls gütlich zu tun. Vergessen waren die Altertümer, derentwegen er nach Griechenland gekommen war – er verbrachte die Zeit, die er dafür reserviert hatte, mit uns Frauen, und da er sich außerhalb unseres Hauses nicht blicken lassen durfte, herrschte zwischen uns eine äußerst dichte Atmosphäre. Auf diese Weise bekam ich meinen richtigen und sehr positiven Start in die Welt wirklicher Erotik, denn angestachelt von der Besonderheit der Situation gab der Mann sein Bestes, zärtlich und einfallsreich. Ich selbst bot mich ihm dar in noch halb kindlicher Schamlosigkeit, indem ich mein Kleid hob und ihm (Unterwäsche pflegten wir damals, jedenfalls im Sommer, nicht zu tragen) zeigte, wie darunter Becken und Schenkel schon ausgeprägt waren wie bei einer erwachsenen Frau. Obwohl der Earl vornehm angekündigt hatte, keinesfalls in mir kommen zu wollen, um unerfreuliche Nebenwirkungen zu vermeiden, war ich es, die ihn nicht aus seiner Pflicht entließ, will sagen: Meine Beine umklammerten ihn erbarmungslos so lange, bis er mir den letzten Tropfen seines Samens gespendet hatte. Endlich wusste ich präzise, woran ich war, und zu meinem Glück blieb ich in dieser höheren Stufe der Erkenntnis dennoch vor unerwünschtem Nachwuchs bewahrt. Ich fühlte mich rundum zufrieden und bestens vorbereitet für neue Taten, auch solche jenseits der Sexualität.

Die Ideen flogen mir nur so zu, schon daheim, mehr noch aber, als ich in England mein Informatikstudium absolvierte, voller Begeisterung, während Mutter in der luxuriösen Wohnung saß, die unser Mentor uns eingerichtet hatte, und dem Müßiggang frönte. Niemals dachte sie daran, wer wohl in unserer Abwesenheit nach unserem kleinen Gut sah, und wenn ich den Wunsch äußerte, in absehbarer Zeit auf unsere Ägäis-Insel zurückzukehren, erinnerte sie mich stereotyp daran, wie sie dort unter dem Druck der Dorföffentlichkeit die ganze Zeit in Schwarz herumlaufen musste und dass sie, zumindest offiziell, keinen Mann an sich ’ranlassen durfte, alles Dinge, die in der anonymen Großstadt nicht von ihr gefordert wurden: Sie kleidete sich chic und hatte ihr Vergnügen mit unserem Earl, auch wenn dieser im Lauf der Zeit nicht mehr allzu oft in seinem Liebesnest erschien – wenn aber, dann konzentrierte er sich auf die Ältere von uns beiden, denn die Jüngere, also ich, war ihm zu anstrengend geworden.

SIR BASIL CHELTENHAM:
Wenn Anastacia alles gewusst hätte, was mit meiner Hilfe im Hintergrund ablief, wäre sie wohl weniger besorgt um ihre Heimat gewesen, denn meine Leute wachten inzwischen darüber, dass sich niemand am kleinen Besitz der Panagous zu schaffen machte: drei schottische Bauernburschen aus meiner regulären Armeeeinheit – mag sein, dass sie aus Langeweile auch landwirtschaftlich Hand anlegten, doch wenn nicht, würden die Ölbäume trotzdem unbekümmert dastehen wie seit Jahrzehnten, um nicht zu sagen Jahrhunderten, nur Ernten gab es eben keine mehr. Aber auch in London zog ich die Fäden: Die Wohnung der beiden Frauen hatte ich für meinen Standesgenossen ausgewählt, und an mich überwies er die Abgeltung sämtlicher anfallenden Kosten, sodass die Spur seinen Doppellebens niemals bis zu ihm rückverfolgt werden konnte. Vor allem aber beschaffte ich Anastacia, ohne dass sie es wusste, das Stipendium für die Royal Society of Artificial Intelligence, wo die Kleine ihrer zweiten großen Leidenschaft neben der Entdeckung des Sex nachgehen und ihre Kenntnisse darin vervollkommnen konnte. Als man ihr aufgrund ihrer eindrucksvollen Fortschritte nichts mehr beibringen konnte und sie überdies eigene Erfindungen machte, die sie mit niemandem teilen wollte, war die Zeit gekommen, sie zurück nach Hause zu bringen, um sie in Ruhe arbeiten zu lassen. Auch das wurde, wie erinnerlich, von mir organisiert – die Maßnahme deckte sich mit meiner Intention, die Ergebnisse der Panagou exklusiv für meine Zwecke zu nutzen. Der Tod ihrer Mutter beschleunigte zuletzt alles.

Ich war, ehrlich gestanden, weit weniger verblüfft, als Sir Basil annahm, denn ich hatte in London nur scheinbar isoliert gelebt, in Wirklichkeit aber ein Netzwerk geknüpft, das mir allgemeine Informationen, aber auch solche meines Fachgebiets bescherte. Schließlich war ich klug genug, auf die Erfahrungen anderer zurückzugreifen, mochten diese auch unvollkommen sein wie jene von Professor Pascal Kouradrogo. Obwohl uns dessen Schriften von der Society zum Studium empfohlen wurden, kam ich bald zum Schluss, dass er zwar ein blendender Theoretiker, aber ein erbärmlicher Praktiker sein musste, was sich bei unserem persönlichen Kontakt durchaus bestätigte. Übrigens – anders als von mancher Seite vermutet, baute ich meine beiden ersten ernstzunehmenden Maschinenwesen bereits hier.

Die AP 2000 ®, die nach dem Versuch mit der künstlichen Schlange (mit der es mir auf Anhieb gelungen war, komplexe biomechanische Systeme in einem einigermaßen begrenzten Körper unterzubringen) gleich zum Meisterstück geriet, entstand nächtlicherweise in den Werkstätten der Society – das geheimzuhalten kostete mich (das sagt sich leicht!) nicht mehr, als ein Techtelmechtel mit dem Nightman des Instituts. Das bedeutete allerdings, auf die primitiven Vorlieben des Mannes einzugehen, die er punktuell jedes Mal befriedigen wollte, wenn ich ein- und ausging, also jedenfalls zweimal während seiner Schicht. Hätte mir das jemand vorweg angekündigt, wäre es mir wohl als interessante Möglichkeit erschienen, meinen erotischen Erfahrungsschatz zu vergrößern, aber die Praxis sah leider anders aus: Der Mensch roch nach Alkohol, hatte keinerlei Manieren (ich fragte mich, wie er zu diesem Job gekommen war) und drückte mich überhaupt auf das erniedrigendste Niveau nonverbaler Kommunikation. Wann immer er mich passieren ließ, hatte er bereits seine Hose geöffnet und deutete bloß wortlos auf jenen meiner Körperteile, der sich seiner fauligen Rute annehmen sollte. Solange diese Affäre währte, ertappte ich mich bereits tagsüber in den Vorlesungen und Praktika bei bangen Spekulationen, was es denn diesmal sein würde, und das endete stets mit der Hoffnung: nur nicht der Mund!

Aber dann, als die Androidin, die wie meine Zwillingsschwester aussah, fertig war, wurde mein Nightman ungewollt zum Versuchsobjekt. Ich setzte nämlich die AP 2000 ®, die sich zwar noch in ihrem Erschaffungszustand (ohne besondere intellektuelle Ausprägungen) befand, aber schon sämtliche Körperfunktionen und –reaktionen beherrschte, sofort auf ihn an, und er schien äußerst angetan. Ein zufriedenes Grunzen war zu vernehmen, als sie es ihm tüchtig besorgte, soviel konnte ich von meinem Versteck aus erkennen, und dazu sogar erstmals etwas wie eine normale menschliche Reaktion: „Aaah, tut das wohl, Kleine, du machst dich!”

Es schockierte mich besonders, diesmal quasi von außen zu beobachten, was er mit mir anstellte, aber es war gleichzeitig das letzte Mal, dass er sich auf diese Weise durch eine von uns Befriedigung verschaffen durfte. In den Werkstätten waren bereits jegliche Spuren meines verborgenen Tuns beseitigt, sodass ich nicht mehr auf seine Diskretion angewiesen war. Als er, wie gewohnt, zum Dank die Tür öffnete, trat ich neben die Androidin, und wir verließen Seite an Seite das Gebäude – zurück blieb einer, der an seinem Verstand zweifelte und sich ernsthaft vornahm, sich künftig beim Trinken zurückzuhalten.

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Da die Androidin mir tatsächlich bis aufs Kleinste ähnelte (und überdies niemand wusste, dass sie existierte), konnte ich sie, nachdem ich intensiv mit ihr trainiert hatte, an meiner Statt ausschicken, namentlich zu gesellschaftlichen Ereignissen wie etwa offiziellen Empfängen der Society oder solchen, die zu deren Ehren gegeben wurden. Bei diesen Gelegenheiten fügten sich bei der AP 2000 ® auf das Beste die von mir kopierten individuellen Verhaltensweisen mit den in ihr a priori angelegten Fähigkeiten zusammen. Eine ungeheure Datenverarbeitungskapazität erlaubte es ihr, viele nahe und ferne Gespräche synchron zu verfolgen und für mich aufzuzeichnen, während sie mit irgendeinem harmlosen Typen unverfänglichen Small Talk übte. Wenn sie so dastand, durchtrainierte Figur, schwarzes Haar, bronzefarbene Haut, darüber ein duftiges Cocktailkleidchen – niemand schöpfte je Verdacht. Ich aber bekam so viel an Informationen geliefert, wie ich sie niemals hätte sammeln können, selbst bei persönlicher Anwesenheit. Darüberhinaus stellte ich fest, dass sie für mich den Ruf umfassender Bildung generierte, war doch (abgesehen von ihrer Fähigkeit, jederzeit auf externe Quellen zuzugreifen) in ihren Speichern eine solche Fülle an Material eingebunkert, dass sie jede Konversation mit geistreichen Sprüchen dominieren konnte.

Als sich mir schließlich die Gelegenheit bot, nach Griechenland zurückzukehren, ergriff ich sie nur zu gerne, zumal die AP 2000 ® ausgekundschaftet hatte, wer hinter dieser Aktion steckte, und dass dieser Jemand noch dazu eine Menge Geld lockermachen würde – nicht sein eigenes wohlgemerkt, sondern das des Earls, der sein Konto bereitwillig erleichterte, wohl um sich endgültig aller Verpflichtungen zu entledigen: Wie die meisten Männer hatte er nicht vorhersehen können, welche Weiterungen seine Doppel-Liaison mit meiner Mutter und mir genommen hatte.

SIR BASIL CHELTENHAM:
Sie fragte auch nicht viel nach den Hintergründen des Transfers, so ungewöhnlich diese auch sein mochten: Ein alter kleiner Frachter ankerte vor Seaford, East Sussex, und mit vier oder fünf Bootsfahrten wurden Anastacias Habseligkeiten, gut verpackt in Kisten, die meine Boys zuvor an den Strand geschafft hatten, an Bord gebracht, zuletzt sie selbst. Niemand merkte etwas, geschweige denn wurde die Abreise von irgendwelchen Behörden registriert, und genau so war es bei der Ankunft an der Küste der Ägäis-Insel, direkt vor der Panagou’schen Farm.

In einer der Kisten befand sich, unbemerkt, die Androidin, die sich die künstliche Schlange um die Taille geschlungen hatte. Beide verharrten während der fünf Tage unserer Reise unbeweglich, was für sie nicht schwierig war, jedenfalls weit einfacher als für uns Biohumanoiden. Und sie dürften sich auch miteinander unterhalten haben, ohne weiter aufzufallen, denn sie konnten ja eine Art unmittelbarer Kommunikation pflegen, die keine akustischen Signale benötigte. Ich war mir überdies fast sicher, dass sie – obwohl ich es für die Zeit der Überfahrt streng verboten hatte – mit ihren Models for Emotional Response experimentierten, die Schlange (??/69-0 war ihre nüchterne Designation) mit ihrem bescheidenen und die AP 2000 ® mit ihrem höherentwickelten. Zum Glück entstand daraus kein Problem, obwohl diese meine Erfindung genau dazu da war, Androiden fallweise in einen weniger kontrollierten, sprich weniger kontrollierbaren Modus zu versetzen als normal und sie dadurch menschenähnlicher zu machen.

Natürlich war ich froh, als wir ans Ziel kamen – mehr noch, ich war sehr gespannt, was mich erwartete, und ich muss sagen, ich wurde nicht enttäuscht: Das seit Kindheit vertraute Haus war bestens in Schuss, und das Land hatte irgendwie seinen urtümlichen Zustand wiedergewonnen, was nicht ohne Reiz war. Der Kapitän des Frachters übergab mir überdies zum Abschied Papiere, aus denen hervorging, dass ich neuerdings auch eine Villa in der Inselhauptstadt mein Eigen nennen durfte. Außerdem stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich auf ein laufendes Einkommen zurückgreifen konnte, was mich aller Existenzsorgen enthob – „Wie im Märchen!”, bemerkte die kluge AP 2000 ®, und die künstliche Schlange, die sich zusehends mit vorlauten Bemerkungen hervortat, fügte hinzu: „Was denkst du, AP – unsere Chefin muss eine tolle Nummer im Bett sein, wenn einer all das für sie spendiert!”

SIR BASIL CHELTENHAM:
Die Babysitter traten unbemerkt in Aktion, allen voran die drei Jungs, die schon seit längerer Zeit da waren. Bei Tag bezogen sie fixe Beobachtungsposten und bei Nacht drehten sie unablässig ihr Runden, um Anastacia zu schützen. Direkter Kontakt zu ihr war ihnen verboten, doch sie selbst konnte über einen toten Briefkasten in einer kleinen Felsenhöhle am Meer mit uns in Verbindung treten, insbesondere dann, wenn sie für ihre Forschungen und Entwicklungen irgendwelches Material benötigte. Je nachdem, wie schwierig dieses zu beschaffen war, landete früher oder später ein Boot an jenem einsamen Strand und setzte das Gewünschte ab, worauf die Panagou bloß ihre AP 2000 ® anweisen musste, die Sachen ins Haus zu schaffen.

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Viele wussten, dass ich nach diesem längeren Aufenthalt in der Heimat von Sir Basil zurück nach England geholt wurde, diesmal nach Cheltenham House. In meinem Gefolge waren Giordano Bruno und die drei mittlerweile neuentstandenen Androiden Protos, Devteri und Tritos, die später ein solch tragisches Ende nehmen sollten. Und ich darf wohl behaupten, dass wir dort – zusammen mit dem Koori Chicago – Großes vollbrachten, nämlich den Bau des riesigen elektronisch-telepathischen Raumkreuzers NOSTRANIMA, der weit über meine bis dahin gewonnenen Erfahrungen hinausging.

Und nach vielen abenteuerlichen Ereignissen, zuletzt jenen auf VIÈVE, die rund um unseren Kampf gegen die Echwejchs stattgefunden hatten, waren wir nun abermals Gäste auf Sir Basils Anwesen, das heißt, sichtbar waren nur ich, die AP 2000 ® und der AMG, während sich die NOSTRANIMA ganz klein gemacht und in einen der Räume, die wir von den Gastgebern zugewiesen bekamen, zurückgezogen hatte, wo sie ohne weiteres Aufsehen die Traumata von Inverno, Primavera, Estate, Autunno, Irmís, Afrodíti und Oudéteron behandelte.

Ich muss gestehen, dass mir dieser Zustand ganz Recht war – trotz der anfänglichen Vorwürfe der NOSTRANIMA, ich würde mich nicht um meine Quasi-Kinder kümmern, wollte ich nach langer Zeit wieder einmal ohne Verantwortung sein respektive mich mit Dingen beschäftigen, die mich einfach nur interessierten, aber keine Verpflichtung bedeuteten.

Noch eins: Die Sehnsucht nach dem Mittelmeer blieb, und so gedachte ich also, wenn schon nicht auf meine eigene Insel, dann wenigstens nach Zypern zu übersiedeln, jedenfalls wenn sich die Gerüchte bewahrheiten sollten, dass Sir Basils Weg dorthin führte, und natürlich gesetzt den Fall, dass er uns überhaupt mitnehmen wollte.

Aber dann kam alles ganz anders.

202

Als Königin von VIÈVE verzichtete ich weitgehend auf irgendwelche Insignien und Zeremonien. Besonders den Repräsentationsraum, den Keyhi Pujvi Giki Foy Holby (wie fremd die Übersetzung seines Namens nun schon klang: Schlangen – Löwe – gestern – heute – morgen!) im Stil des Zweiten Französischen Kaiserreichs hatte einrichten lassen und der mir mit seiner Schwülstigkeit seit jeher ein Gräuel gewesen war, mied ich fortan. Allerdings riet mir Serpentina, die mittlerweile meine engste, wenn auch inoffizielle Beraterin geworden war, nicht auf jeglichen Pomp der Monarchie zu verzichten: Der König habe schon Recht gehabt, wenn er meinte, das Volk begehre Symbole.

SERPENTINA:
Ich erinnerte Mango daran, wie begeistert Keyhi gewesen war, als XX-Julia begann, im Club völlig hüllenlos aufzutreten – eine so attraktive Königstochter müsse man zur Schau stellen, und ihre bedingungslose Nacktheit wäre geeignet, den Untertanen die ganze royale Magie zu vermitteln. Zumindest war das die offizielle Lesart, aber ich wusste es besser, dank meiner früheren Gespräche mit dem König, aber auch aufgrund von Informationen, die ich bei meinen Aufenthalten im Paralleluniversum (das erste Mal mit meiner Quasi-Schwester Anpan, dann mit Vangelis) gesammelt hatte. Die Zügellosigkeit der Spiegelweltbewohner kam auch bei Keyhi dann und wann zum Vorschein, gemildert allerdings durch eine gewisse militärische Disziplin sowie (nachdem er die Station für sich persönlich in Besitz genommen hatte) die dort erworbene Attitüde eines Bonvivants.

Dass er die exhibitionistischen Aufführungen seiner Tochter nicht nur tolerierte und förderte, sondern durchaus auch als Mann daran Vergnügen fand, erinnerte mich nach den Maßstäben der alten Erde, wo ich herkomme, jedenfalls doch eher an tierische als an menschliche Gepflogenheiten.

SERPENTINA:
Die alte Erde – allein schon, wenn Mango von diesem Planeten sprach, leuchteten ihre Augen und ihre Stimme bekam eine besondere, eine dunkle Färbung. Wie immer ich diese Veränderungen an der Königin zu deuten suchte (und ich habe ja genug biohumanoide Chiffren und Szenarien gespeichert, um mit deren Hilfe reale Geschehnisse interpretieren zu können), ich kam damit nicht zurecht. Noch weniger hilfreich waren die Beweggründe, die sie selbst für diese Euphorie anbot – im Gegenteil, diese waren für mich in ihrer Tendenz in keiner Weise nachvollziehbar. Sie realisierte manchmal offenbar gar nicht, dass ich selbst von der Erde stammte, sondern schwärmte mir vor: Dass es dort Meere gab, in denen man schwimmen konnte (das schien für sie das Allerwichtigste zu sein); dass die Atmosphäre „natürlich” sei, was immer das bedeuten sollte, denn auch die Luft auf VIÈVE konnten jene anstandslos atmen, die derlei nötig hatten; dass es Probleme gab, für deren Lösung sich anzustrengen lohnte, was sich für mich äußerst unlogisch anhörte, denn wer würde freiwillig Situationen herbeisehnen, deren Bereinigung bedeutete, Ressourcen zu verschwenden; schließlich dass es in jeder Hinsicht Vielfalt gab – eine Behauptung, die mir besonders verklärend erschien, denn dieser Zustand war bereits zur Zeit meiner Entstehung, also 100 Jahre vor dem Erdendasein der Königin, längst nicht mehr gegeben.

Die berühmten 100 Jahre Zeitdifferenz! Niemand, der davon wusste, kam eigentlich richtig damit klar, weder was mögliche wissenschaftliche Erklärungen anlangte, noch was die persönliche Vorstellungskraft betraf: Ist schon das Phänomen Zeit an sich mühsam zu begreifen – zumal wir richtigen Menschen, wie ihr Androiden uns immer nennt, kein Organ zur Zeitmessung besitzen –, um wie viel schwieriger ist es dann, sich Anomalien vorzustellen, wie etwa jene Verwerfung rund um die Station, die in dem Moment entstanden war, als die beiden Universen fest aneinander andockten und der Jahrhundertvorsprung der Spiegelwelt offenbar auf diesen winzigen Sektor, in dem wir uns befinden, ausstrahlte.

SERPENTINA:
Die Königin untertrieb – wie zuweilen gerne – ihre wissenschaftliche Qualifikation. Wenn sie auch nicht die Erkenntnisse eines Giordano Bruno besaß, erlaubte ihr das Studium der Kosmologie (oder besser gesagt, der Astrophilosophie) doch entscheidende Schlussfolgerungen zu „+C ” (für „et centum”), wie die Sache inzwischen unter Insidern genannt wurde. Persönlich hatte sie sich damit abfinden müssen, das Leben einer Frau zu absolvieren, die es durch Umstände, die hier bereits zur Genüge besprochen wurden, von ihrer geliebten Erde auf diesen fernen Außenposten verschlagen hatte – und in diesem Dasein gab es nur die örtliche und keine zeitliche Distanz. Die kam bloß dadurch ins Spiel, dass Mango Berenga ein Bewusstsein mit sich trug, das sie selbst vor 100 Jahren repräsentierte: Geneviève von B. (und diese wiederum war sich tief in ihrem Inneren der Königin, also ihres Selbst in der Zukunft, gewahr).

Die Walemira Talmai hatte, wohl um die davon betroffenen Gemüter nicht allzu sehr zu strapazieren, eine Art Seelenwanderung propagiert und damit die Gräfin und deren Umgebung für einige Zeit beruhigt. Ich hingegen ließ mich a priori mit derlei metaphysischem Firlefanz nicht abspeisen – ich wusste immerhin um die prinzipiellen Schwierigkeiten einer solchen Doppelexistenz. Dementsprechend hatte ich es anfangs peinlich vermieden, Geneviève Informationen zukommen zu lassen, die sie nicht haben durfte, ohne dass so etwas wie eine übergeordnete Chronologie zusammenbrach.

Später war mir allerdings klar geworden, dass ich mich damit in die Illusion unserer Alltagskonventionen verstrickt hatte, die unbedingt in „vergangen”, „gegenwärtig” und „zukünftig” zu kategorisieren verlangten – eine Spitzfindigkeit, die dem Weltganzen eigentlich fehlt, und daher eine per se zwecklose Übung, an der die voll entfaltete Wirklichkeit gar nicht teilnimmt. „Es ist müßig, darüber nachzudenken!”, erklärte mir Berenice, „Du eine Vorausprojektion der Gräfin oder sie eine Rückprojektion von dir – für beide Varianten gäbe es plausible, wenn auch nicht beweisbare Hypothesen, etwa jene vom allumfassenden Bewusstsein, das über uns wacht und verhindert, dass ihr beide ein Zeitparadoxon darstellt, oder jene von einer unvorstellbar größeren Zahl von Universen, als wir jetzt schon bereit sind zu akzeptieren, in deren Kontext jede minimale Veränderung einer bestehenden bereits wieder eine völlig neue Realität erzeugt, wodurch du und Geneviève schwerlich miteinander kollidieren könntet.”

SERPENTINA:
Wenn Mango sich über diese Aussage der Schamanin hinwegsetzte – im sicheren Wissen, dass es sich dabei so wie beim Seelenwanderungsansatz bloß um eine gespreizte Argumentation handelte, um die Zuhörer über spekulative Abgründe hinwegzuzaubern –, schätzte sie meine Anwesenheit besonders. Schließlich war ich, und das hatte ich oft und oft bewiesen, kraft meiner Ausstattung imstande, ihren Gedankengängen zu folgen und diesen sogar eine Struktur zu verleihen. Natürlich besitze ich nicht die imaginative Begabung, die unsere Konstrukteurin Anastacia Panagou meiner Quasi-Schwester Anpan verliehen hat, aber für ein komplexes Ideenkonstrukt reicht mein virtueller Verstand allemal, da dieser sich nicht an irgendwelche Vorstellungsgrenzen zu halten braucht, wie sie bei richtigen Menschen offenbar auftreten. Eigentlich können sie einem Leid tun, dachte ich bei mir, hütete mich aber davor, das gegenüber der Königin auszusprechen.

Vielleicht war es ja unfair, Serpentina als Monitor meiner Überlegungen zu missbrauchen, die immer wieder (und gerade weil ich die Unauslotbarkeit von Berenices Fähigkeiten vor Augen hatte) bei einer unbekümmerten Verletzung physikalischer Regeln ansetzten – wie es auch das Trio aus Großem Regisseur, Produzenten und Drehbuchautorin tun mochte, denn die brauchten sich ja um so etwas schon gar nicht scheren, wenn sie eines ihrer Artefakte herstellten. Die Androidin war dadurch auch nicht beunruhigt, sah sich jedoch veranlasst, der guten Ordnung halber einzuwerfen, nach der in ihr gespeicherten sowie der ihr in externen Datenbanken zugänglichen Litterarum summa et doctrinarum müsse jede ernsthafte wissenschaftliche Phantasie mit der Relativitätstheorie und der Quantentheorie im Einklang stehen, was wiederum bedeute, dass der Zeitfluss sich nirgends stauen dürfe: „Die Zeit kann ihre Topologie ändern, aber nicht einfach stehenbleiben, um dich und dein vergangenes Alter Ego zusammenzubringen!”, erklärte sie mir und schlug damit irgendwie in die gleiche Kerbe wie die Walemira Talmai.

Schon klar: Unser freier Wille ist, wenn er denn überhaupt frei sein sollte, nicht so frei, dass wir ohne besondere Ausrüstung an der Decke gehen können, solange die Schwerkraft existiert. Geneviève und ich waren ja tatsächlich noch nie physisch zusammen, beharrte ich, also hab dich nicht so, Serpentina: Viele Personen sind bis heute zwischen der Station und der Erde hin- und hergereist und überwanden dabei mit welchen Mitteln auch immer nicht nur das ? s, sondern auch das ? t, doch genau wir beide sind einander nie von Angesicht zu Angesicht begegnet und haben daher auch keine von deinen Regeln verletzt!

Ich zögerte einen Moment. Warum sollte ich ihr nicht einfach eröffnen, wie rasant sich selbst der rein wissenschaftliche Zugang zu unserem Thema in „+C” weiterentwickelt hatte (von parapsychologischen Entdeckungen, die ich persönlich immer etwas stiefmütterlich behandelte, einmal ganz abgesehen). Wir sind über Einstein, Planck, Thorne, Hawking und wie sie alle heißen mögen weit hinausgekommen! erklärte ich: Und wie immer in solchen Belangen – was man sich nur wenig früher kaum vorstellen konnte, was man nicht bereit war anzuerkennen und worauf man keineswegs seine These bauen wollte, ist zur Selbstverständlichkeit geworden, abgelöst durch neue Fragen, neue Rätsel, neue unerklärbare Symptome.

SERPENTINA:
Sie forderte mich auf, in den unermesslichen Datenarchiven der Station, die niemals entrümpelt, sondern stets um neue Kapazitäten erweitert worden waren, nach diesen Dingen zu suchen, um mir ihren Wissensstand respektive den ihrer Zeitgenossen anzueignen. Ich nahm diesen Vorschlag dankbar an, legitimierte er doch nachträglich viele Stunden illegalen Surfens in diesen Beständen, während die Königin anderweitig beschäftigt gewesen war und sich nicht um meinen Verbleib kümmern konnte. Natürlich – aber damit wollte ich sie nicht verletzen – war ich gar nicht so leicht zu kontrollieren, denn ich vermochte, ohne Peripheral Devices direkt mit jedem Central Processing Unit zu kommunizieren. Ich saß beispielsweise einfach da, kämmte mein Haar, berührte selbstbegehrlich meine Gliedmaßen, wie es manche richtige Frau machen mochte, wenn sie sich unbeobachtet fühlte – und währenddessen drangen meine Sensoren unbemerkt in die elektronischen Speicher ein. Traf ich bei meiner Suche auf Informationen, die es mir wert erschienen, sie zu behalten, übertrug ich sie direkt in mein System, falls das Volumen nicht meine Möglichkeiten überstieg, oder setzte zumindest Flags, mit deren Hilfe ich diese Inhalte wiederfinden konnte. Für die Evolution der Physik 100 Jahre nach der Zeit meiner Herstellung – eben „+C” – hatte ich mich allerdings nie gezielt interessiert, sondern war eher unsystematisch vorgegangen (eine Verhaltensweise, die an sich jedem Androiden zutiefst missfallen sollte) und hatte dabei zu meiner nicht geringen Beunruhigung festgestellt, dass mich das erregte – was bei meinesgleichen bedeutet, dass die Schaltkreise beginnen, harmonisch zu schwingen, durchaus vergleichbar mit den Zuständen, die ich beim Zusammengehen mit Vangelis erlebt hatte: Und wie damals brachen diese Schwingungen bei Erreichen einer hohen Frequenz mittels eines deutlichen Spannungsabfalls zusammen, der meinen Maschinenleib erzittern ließ.

Ohne zu wissen, was sie dabei wirklich machte, sah ich der Androidin gerne dabei zu, wie sie sich zärtlich streichelte. Sie war mittlerweile mein Ein und Alles, und ich gestand mir das nach langem Zögern auch endlich ein. Seit es ihr mit Hilfe ihres Quasi-Bruders, des AMG, beschieden gewesen war, sich von ihrem ursprünglichen Schlangenformat und den missgebildeten Gestalten ihrer eigenen Umkalibrierungsversuche zu menschlichem (und man darf sagen: betont weiblichem) Aussehen zu entwickeln, hatte sie ja ihr früheres, von verbittertem Zynismus geprägtes Verhalten geändert und war nun von herzlicher Umgänglichkeit. Es gab zwar manche auf der Station, die von ihrer Bluttat an der Echwejch-Soldatin abgestoßen wurden, aber zu diesen zählte ich nicht – wir hatten damals eine absolute Ausnahmesituation, unter der auch ich persönlich sehr leiden musste, und ich weiß noch, welch wütende, wenngleich durch meine Gefangensetzung ohnmächtige Aggression ich selbst gegen dieses Geflügel empfand.

Ich hoffte mich nicht darin zu täuschen – Serpentina hatte den Abgang ihres Vangelis ebenso rasch überwunden wie ich jenen meines Königs: Das lag daran, dass wir nun zusammengehörten und beide unisono feststellten, dass wir deshalb dem anderen Geschlecht durchaus entraten konnten. Als mir meine Freundin zudem einen Blick unter ihre künstliche Haut werfen ließ, indem sie diese für Sekunden transparent machte, und ich dort die Umrisse ihrer Mechanik, Elektronik und Biotechnik erkennen konnte, gab es kein Zurück für meine Zuneigung – aus einem merkwürdigen Gefühl heraus war ich überzeugt, mit ihr keine Enttäuschung im menschlichen Sinne befürchten zu müssen. Zwar war sie selbst es, die in Erklärungen zu ihrer spezifischen Beschaffenheit das hohe Maß an Autonomie vermittelte, die ein ortsunabhängiger Rechner ihrer Güte aufwies, aber für mich war das nicht notwendigerweise ein Hinweis darauf, dass sie mich eines Tages verlassen würde. Sollte ein solches Risiko wirklich bestehen…

SERPENTINA:
(die das Gedachte mitbekommt) Ich kann es dir ausrechnen, wenn du das wünschst!

… wurde ich jedenfalls entschädigt durch die Qualität unserer Beziehung…

SERPENTINA:
(abermals ungerührt gegenüber Mangos Ergriffenheit) Auch diese kann ich dir beziffern!

Solche Wortspenden waren allerdings echt gewöhnungsbedürftig bei meiner Androidin – damit musste ich wohl erst fertigwerden!

Aber ich besann mich rasch. Ich begann, mich gerade an der Künstlichkeit zu erfreuen, von der Serpentinas grundsätzliche Lebensäußerungen ebenso wie ihre alltäglichen Verrichtungen geprägt waren. Sie bewegte sich, sprach, hörte zu, legte sich abends zu Bett, obwohl sie eigentlich keinen Schlaf benötigte, stand wieder auf, wenn im vorherbestimmten Rhythmus von VIÈVE der Tag anbrach, machte ihre Morgentoilette oder tat zumindest so, kleidete sich an, nachdem sie sich Unterwäsche, Bluse und Rock oder was immer zurechtgelegt hatte, unterhielt sich beim Frühstück mit mir, lächelte mir zu und spielte mit einem Wort das gesamte Repertoire durch, das Anastacia Panagous ursprüngliches Programm mitsamt den späteren Ergänzungen vorsahen. Jedem richtigen Menschen war sie in allem täuschend ähnlich.

SERPENTINA:
Ich wusste, dass Mango sich stets bewusst zu machen versuchte, dass ich ja nur ein virtuelles Etwas sei und nicht das, was ihr Gefühl in mir erblickte. Majestät, sagte ich leichthin, nimm es einfach an, genieß womöglich sogar diesen ambivalenten Zustand!

Ich genieße, wenn ich ehrlich bin, besonders die Obszönität, die man empfindet, wenn jemand etwas tut, was ihm nicht zukommt oder was man nicht von ihm erwartet.

SERPENTINA:
Ich verstand, und aus meinem Datenfundus, den ich von der Erde vor 100 Jahren mitgebracht hatte, erzählte ich der Königin von der süßlichen Mary Poppins, deren Darstellerin eines Tages, des Märchens überdrüssig, in einem knallharten Sexfilm mitwirkte. Sie erfasste sofort, was ich damit meinte, denn Kino hatte es schließlich auf der alten Erde auch in „+C” gegeben, wenngleich es auf der Station aus einem mir unerfindlichen Grund (ebenso wie das Fernsehen) völlig fehlte.

203

Selbst als sich die beiden Großmächte besannen und CORRIDOR nicht, wie ursprünglich geplant, als Föderation, sondern als einheitliches Staatsgebiet definiert hatten (FIS blieb nur noch der formale Name, um die Gemüter der zahlreichen involvierten Nationen zu beruhigen), waren es keine guten Wünsche, die sie als Geburtshelfer dem Balg in die Wiege legten: In Wahrheit sollte es ja klarerweise als Reibebaum dienen, wenn der amerikanische Tiger und der chinesische Drache es vorzogen, nicht direkt aneinanderzugeraten.

Basil tat vorerst anscheinend nichts, als sich um seine eigenen Angelegenheiten auf Zypern zu kümmern – immerhin war er jetzt ein bedeutender Grundherr auf der Insel. Besonders zu konzentrieren schien er sich in dieser Zeit überhaupt nur auf die Gestaltung seines neuen Stammsitzes, der Festung Kantara, geplant als eine Art Neuauflage des Großmeisterpalastes von Rhodos (seiner Lieblingsinsel außerhalb Großbritanniens, die er nach dem Zweiten Weltkrieg als britischer Offizier kennengelernt hatte und auf der er viel lieber sein Hauptquartier aufgeschlagen hätte, aber das war ihm anders als den Rittern des Johanniterordens nicht beschieden – er musste die Gegebenheiten dieses FIS-Gebildes akzeptieren).

Besonderes Augenmerk – aber das ist eigentlich streng geheim – richtete er auf die strategische Infrastruktur der Anlage, will sagen, er sorgte für einen Fluchtweg selbst für den Fall, dass jemand in altgewohnter Manier versuchen würde, seine Kommandozentrale zu erobern. Vom Signalturm der Burg führte eine endlos erscheinende original-mittelalterliche Wendeltreppe 700 Meter hinab bis auf Seehöhe Null: Sie wurde zu einer spindelförmigen Rampe ausgebaut, die man mit Jeeps und Kleinlastern befahren konnte. Statt des früheren Ausgangs zur Küste ließ Basil aber einen Tunnel bis zu einer künstlichen Insel graben, die innen im Stil eines U-Boot-Bunkers aus schwerem Stahlbeton errichtet, außen aber mit Felsenbrocken natürlich gestaltet war und wegen ihrer charakteristischen Form von den Leuten des Baronets Turtle Island genannt wurde. Von hier aus konnte man bequem feindlichen Seestreitkräften, die sich allenfalls dem Strand näherten, um Kantara anzugreifen, in den Rücken fallen – man konnte aber in letzter Konsequenz auch versuchen, von der Schildkröteninsel das Weite zu suchen.

Was Basil nicht aus der Ägäis nach Zypern transferieren oder dort rekonstruieren konnte, waren die Farben dieses Meeres, das Tintenblau mit den weißen Wellenkämmen (den Rossen Poseidons, wie Homer sie angeblich besungen hat), das Türkis, fast ins Elfenbeinfarbene reichend in Ufernähe, die zahllosen Abstufungen dazwischen, die auch von Wetter und Gezeiten abhängig waren – unverwechselbar.

Aber sonst holte er sich einiges von dort, vor allem die kleine Aphrodite („Venus” nannten sie natürlich Taurus und seine Legionäre) aus dem Archäologischen Museum – geradezu eine Fingerübung für ihn, wie immer generalstabsmäßig geplant und durchgeführt, wobei er selbst sich dabei selbstverständlich nicht die Hände schmutzig machte. Da stand die zarte Statue nun im privaten Arbeitszimmer meines Mannes, in das niemand außer Nicholas und mir unangemeldet eintreten durfte. Wenn fallweise jemand anderem die Ehre zuteil wurde, in dieses Heiligtum vorgelassen zu werden, verdeckte Basil die Figur mit einem kostbaren schwarzen Tuch.

Es war klar, dass die Göttin ihn inspirierte, vielleicht mehr als eine wirkliche Frau, aber ich fühlte keinerlei Eifersucht, denn das wäre bei einem Menschen wie ihm unangebracht gewesen, da er ja erkennbar auf vielen Ebenen lebte, die er sehr wohl auseinanderzuhalten wusste. Wer es ihm gleichtat – wie etwa ich, seit er mich aus Washingtons dumpfer Linearität weggeholt hatte – konnte ihm folgerichtig auf all diesen Ebenen begegnen (etwa dadurch, dass man sich auch als Frau der Magie der Venus hingab: Der Lohn dafür – nämlich genauer gesagt für die Bereitschaft, Basil nicht auf simple Art zu vereinnahmen – war natürlich, ihn auf dem Feld der Erotik präsent und mir persönlich zugewandt zu finden, in der ersten Phase unserer Beziehung ebenso wie jetzt, da die Komtesse Clio und Seiji Sakamoto emotional hinter uns lagen.

Apropos Sakamoto: Dass er die Idee von CORRIDOR geboren hatte, war mir bekannt – dass allerdings Basil als Person nicht so sehr von ihm für deren Verwirklichung instrumentalisiert wurde, sondern vom toten Tyrannen der Spiegelwelt (der seinem Doppelgänger aus dem Grab heraus das Scheitern wünschte), wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Mich faszinierte lediglich die eklatante Parallele zu Vignolo dei Vignoli, der die Johanniter in ein wüstes Abenteuer getrieben hatte, um seine persönlichen Ziele zu verfolgen. Waren ihm aber die Knights Hospitallers vielleicht deshalb gram gewesen? Ich denke, das Gegenteil war der Fall: Ein Leben im Kampf faszinierte sie, und nach der Eroberung der Dodekanes, als sie auf neuer wirtschaftlicher Grundlage ihren militärischen Schirm über das östliche Mittelmeer spannten, führten sie mehr oder weniger ständig Krieg zu Land und zu Wasser. Was spielte es da für eine Rolle, dass dieser undurchsichtige Genueser unter ihrem Schutz der Seeräuberei frönte und in so ziemlich jede zwielichtige Geschichte, die sich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in dieser Gegend abspielte, verwickelt war?

DREHBUCHAUTORIN CLAUDETTE WILLIMS:
Cheltenham tat es jedenfalls den Rittern gleich. Wie sie ließ er sich zwar benützen, machte aber mehr aus seiner Situation, als man ihm zugestehen wollte, wie er das schon immer gehandhabt hatte, sowohl in seinen privaten Belangen, aber in noch höherem Maß in seinen offiziellen und offiziösen Aktivitäten. Dank seiner langjährigen Verbindungen – Ahmed Al-Qafr im Chinesischen Reich sowie Max Dobrowolny im US-Imperium mögen nur als zwei Beispiele dafür dienen – besaß er die bestmöglichen Informationen und behielt normalerweise auch den Überblick. Eigentlich ist mir nur ein einziges bedeutendes Projekt in Erinnerung, das dem Baronet zum Desaster geriet: sein klägliches Scheitern gegen die Echwejchs auf VIÈVE, aus dem er nur mit fremder Hilfe herauskam, abgesehen von der Tatsache, dass er außerdem nach seinem Sieg im Duell mit dem Diktator der Völker des Paralleluniversums eine ganze Weile außer Gefecht gewesen war, bis es der Walemira Talmai gelang, ihn zu heilen.

Die zahlreichen Fäden zwischen Basil und Seiji waren kompliziert verwoben, und ich darf wohl sagen, dass ich in diesem Geflecht, das vorwiegend von den Animositäten zweier nicht zuletzt von ihren Sexualhormonen gesteuerter Herren geprägt war, eine nicht unbedeutende Rolle spielte. Ob der Oberste Oyabun der Yakuza-Klans und von den chinesischen Autoritäten sanktionierter Freibeuter in der Ökonomie des Reichs der Mitte, mein Ex-Geliebter, nicht doch wahrhaben wollte, dass er im jungen Nicholas Cheltenham einen Sohn hatte? Selbst ich, die ihm diesen geboren hat, kann es nicht sagen, aber es hieße wohl, seine Intelligenz zu beleidigen, wollte man seine völlige Ahnungslosigkeit behaupten.

Ob aus persönlichen Motiven (weil selbst dieser Tough Guy, der niemals zögerte, einen Menschen, der ihm im Wege stand, kaltblütig und mit eigener Hand zu töten, eine Art Vatergefühl besaß) oder wirklich nur aus purem Opportunismus (weil er die Position CORRIDORs stärken wollte, um solcherart ins Räderwerk zwischen den beiden einzigen und alleinigen Supermächten einzugreifen und damit sogar seine bisher bedingungslose Loyalität gegenüber Dan Mai Zheng zu relativieren) – jedenfalls beschaffte er, der alles auftreiben konnte, diesem absurden Staat die Basis militärischer Macht.

DREHBUCHAUTORIN CLAUDETTE WILLIAMS:
Widerwillig musste Sir Basil – dem völlig klar war, dass er diese Ressourcen nicht an sich vorbeigehen lassen konnte – seine Frau aufs Neue zu ihren Treffen mit Sakamoto nach London reisen lassen, und er fragte nicht, wie nahe sie diesem dort erneut kommen musste, wenn Nicholas – der seine Mutter begleiten musste, um deren Anstand zumindest nach außen zu wahren – zu Bett gegangen war und schlief. Es blieb eben die einzige unverfängliche Art, die Verbindung zu dem Japs aufrechtzuerhalten. Viele dachten natürlich, geschürt durch die Regenbogenpresse, Charlene habe mit Hilfe ihrer Generalvollmacht die Cheltenham-Besitzungen heimlich verkauft und fahre nun zusammen mit ihrem Sohn und einer Menge Geld durch die Welt. Als auffallend wurde jedenfalls empfunden, dass sie stets wieder nach Zypern zurückkehrte, das de facto noch als Teil des westlichen Imperiums angesehen wurde. Wer von den Journalisten zwei und zwei zusammenzufügen vermochte (wie unser gewitzter Leo Di Marconi), dem fiel natürlich auf, dass Sir Basil gerade auf dieser Insel den Mythos der Knights Hospitallers neu errichtete und sich aus jenen Personen, die von den riesigen Nachbarn abgetreten wurden, seinen Stab und seine kleine Armee sowie seine Untertanen schlechthin zusammenkleisterte – ein buntes Völkergemisch: Entlang des asiatischen Limes Russen, Kasachen, Azerbeidjaner, Armenier, Iraner, Kurden, Türken, Iraker, Syrer, am afrikanischen Limes tunesische, libysche und algerische Araber sowie die ethnisch vielfältigen Bewohner der Ostteile von Mali und der Elfenbeinküste sowie der Westteile von Niger, Burkina Faso und Ghana sowie nicht zuletzt am Neuguinea-Limes Papuas. Sie alle würden künftig in diesem seltsamen, endlosen, aber äußerst schmalen Reich leben, das langsam, aber sicher Gestalt annahm

[ Grafik 203 ]

Basil wies übrigens jegliche anzüglichen Bemerkungen über die Kleinheit seines Territoriums zurück: „Nicht nur die Fläche zählt ja, genau genommen”, so meinte er, „sondern auch die dritte Dimension, die sich praktisch ins Unendliche erstreckt. Bringt man daher die Höhe der Territorien mit ins Spiel, dann ist der Rauminhalt CORRIDORs nicht wesentlich verschieden von jenem Grand Americas oder Groß-Chinas.”

Natürlich wurde das allenthalben als typisch britischer Humor bewertet, was meinen Mann in der Regel jeder weiteren Diskussion über dieses zutiefst müßige Thema enthob. Nicholas jedoch nahm den Gedanken auf und repetierte ihn, wie oft und wo immer sich nur die leiseste Gelegenheit bot. Er lernte dabei einen wesentlichen Aspekt Cheltenham’scher Durchschlagskraft, obwohl ihm diese erwiesenermaßen nicht im Blut lag: Sich niemals dem Urteil anderer zu beugen und stets er selbst, unverkennbar und unverwechselbar, zu bleiben, stünde er auch gleich einer amorphen Phalanx Andersdenkender gegenüber – es dabei aber niemals an der notwendigen Subtilität fehlen zu lassen, die seinem richtigen Vater so sehr mangelte. Ich liebte das an dem Jungen, denn es war für mich ebenso entzückend wie die Tatsache, dass er sich anders als die meisten seiner Altersgenossen erlesen und konservativ zu kleiden pflegte. Auch Basil platzte fast vor Stolz über diesen Filius.

Mir machte es zwischendurch großes Vergnügen, den beiden zuzusehen, wie sie die „Country Volumes”, wie Nicholas das nannte, auszurechnen versuchten. „Setzen wir statt ?, mit dem wir nichts anfangen können”, sagte Basil…

DREHBUCHAUTORIN CLAUDETTE WILLIAMS:
Leibniz und Newton als Säulenheilige der Infinitesimalrechnung hören jetzt einfach weg!

… „die ungeheure Zahl von 100 Billiarden km für die dritte Dimension an, dann erhalten wir für Grand America und Groß-China ein Volumen in der Größenordnung von 1023 und für unser Land eines von 1022, und da besteht ja nun wirklich kein großer Unterschied mehr, Heaven knows!”

Die Augen des Jungen glänzten. Eines Tages aber kam er mit einem Blatt zu mir (wohlweislich nicht zu seinem Stiefvater) und hatte darauf andersherum berechnet, wie viel von der Erdmasse auf die beiden Großreiche und auf CORRIDOR entfiel. Für niemanden außer für seine jugendliche Naivität überraschend kam er zwar auf ungeheure Werte von 700, 340 respektive 40 Milliarden Kubikkilometer, aber die standen klarerweise mit 65:31:4 im exakt gleichen Verhältnis zueinander wie die Oberflächenwerte.

Es kommt nicht darauf an, was man hat, dozierte ich, sondern was man daraus macht! Ich fühlte selbst, wie hohl diese Phrase für ihn klingen musste. Daher schlug ich radikalere Töne an: Von allen Betrachtungen der Wirklichkeit, so enttäuschend die eine oder andere sein mag, wähl’ einfach jene, die dein Selbstbewusstsein untermauert, und an dieser zweifle dann niemals, wie es einem künftigen Baronet Cheltenham geziemt!

DREHBUCHAUTORIN CLAUDETTE WILLIAMS:
Genau das hatte Cheltenham seinem Sohn auf seine Weise gesagt: „We’ve got some sabres to rattle, dear – who will ask for our arts of fencing when hostilities have not commenced yet!”

203-A

Zurück im Schloss meiner Mutter, der Gräfin Geneviève von B., nachdem ich alle Brücken nach England abgebrochen hatte. Maman empfing mich herzlicher als je zuvor, mehr noch fast, so schien es mir, als nach meiner Rückkehr aus dem Exil in der Spiegelwelt, aber das war schon so lange her, dass ich es rückblickend so erlebte, als sei es ein Ereignis aus einer ganz anderen Biografie. Wir verstanden uns mittlerweile besser, zumal es keine Reibungspunkte mehr zwischen uns gab, weder die früheren Probleme der Älteren mit meiner strahlenden Jugend, noch Divergenzen in der Einschätzung mancher männlichen Charaktere (insbesondere jenes Romuald, mit dem sie sich eine Zeit lang vergessen hatte), und schon gar nicht trug die Gräfin mir meinen Ausritt zu Cheltenham nach – ich hatte fast den Eindruck, als konnte sie mir diese meine Obsession nur allzu sehr nachfühlen.

GRÄFIN GENEVIÈVE:
Clios plötzlich erwachtes Interesse für den Freiherrn Dirk von E. nahm ich mit derselben Gleichmut hin wie die Tatsache, dass sie ihn früher verschmäht hatte. Mag sein, dass mich insgesamt ein wenig Schadenfreude erfüllte, wenn ihre nun auch schon etwas in die Jahre kommende (wenngleich noch immer über jeden Zweifel erhabene) himmlische Schönheit, für die nur der Beste gut genug schien, langsam in eine bescheidenere Wirklichkeit finden musste – wiewohl ich ihr zu verstehen gab, dass es ihr ebenso wie mir jedenfalls frei stand, mit Stolz einsam zu altern. Sie würde ja dennoch immer ein Bild von einer Frau bleiben, nicht zuletzt, da sie unabänderlich von der Glut ihrer Beziehung zum Tyrannen der jenseitigen Völker erfüllt war, dessen Magie über Trennung und Tod und über jegliche konventionelle Zeitvorstellung fortzuwirken schien.

Maman und ich verbrachten große Teile unseres Tagesablaufs voneinander getrennt – das Familienschloss war gottlob so groß und auch so reichlich ausgestattet, dass es keine Schwierigkeit, aber auch keinen besonderen Affront bedeutete, einander aus dem Weg zu gehen. Wenn ich allein war, pflegte ich viel zu meditieren, wie ich es von Iadapqap Jirujap Dlodylysuap gelernt hatte, der trotz aller äußeren Brutalität, die er (vor allem auch mir gegenüber) in einem Moment zeigen konnte, im nächsten eine hohe Verinnerlichung erkennen ließ, eine Konzentration auf die wesentlichsten Dinge, die keine Ablenkung durch die Barbarei der Gefühle duldete.

GRÄFIN GENEVIÈVE:
Meine mütterliche Sorge ließ die Komtesse allerdings niemals so unbeobachtet, wie sie glaubte. Immer wieder und niemals nachlassend reproduzierte ich die Verzweiflung, die mich seinerzeit angesichts des vermeintlichen Todes meiner Tochter erfasst hatte (bis sich dann dank der Walemira Talmai herausstellte, dass Clio zwar ins Paralleluniversum entrückt worden war, aber lebte), und jedes Mal eilte ich, mich ihrer Unversehrtheit zu versichern – sogar zum Anwesen der verstorbenen Lady Pru, das Berenice und ihre Kooris in Besitz genommen hatten, war ich einige Male spontan gereist, um mich, wenn auch heimlich und von ferne, zu vergewissern, dass sie wohlauf war. Um wie viel leichter konnte ich ihr hier im Schloss hinter versteckten Türen bei ihren Übungen zusehen, und die waren einigermaßen ungewöhnlich…

Mir war drüben von Anfang an klar gewesen, dass nichts, was der Diktator in Richtung auf mich tat, auch nur im Geringsten etwas anderem diente, als der vollständigen Kontrolle über mich, und so war mein Meditationsprogramm – das ich vor seinen Augen zu absolvieren hatte, während er in einem der ihm gewidmeten Heiligtümer lüstern und nur mit seinem Magierstrick bekleidet auf dem rituellen Felsblock saß – dahin ausgelegt, dass mein Geist jede Faser meines Körpers zu beherrschen lernte, und dass mein Wille, der meinen Verstand steuerte, sich mit den Intentionen des Augustus Maximus Gregorovius, wie er in unserer Welt genannt wurde, vollständig identifizierte.

Auch jetzt, da er nicht mehr neben mir war, spürte ich fast unbewusst seine nonverbalen Befehle, ausgedrückt lediglich durch ein Heben der Augenbrauen, ein Hochziehen der Mundwinkel, eine leichte Drehung des Kopfes oder minimale Bewegungen seiner Hände, und ich legte feierlich meine Kleidung ab, ließ mich mit verschränkten Beinen auf den bloßen Marmorboden nieder, die Arme nach vorne abgewinkelt, und begann, zeitlupenartig der Reihe nach jeden einzelnen meiner Muskel anzuspannen und wieder zu lockern. Dabei öffnete ich mich ihm, der während des Intermezzos mit Basil, seinem perfekten Ebenbild, hinter diesem verborgen gewesen war und nun wieder als Individualität in den Vordergrund trat.

Ich war mir sicher, dass er mich erneut in der physischen Umarmung eines Mannes sehen wollte, aber nicht in der seines lebenden Pendants, das ihn zur Verdrängung und Vergessenheit verdammte, sondern in der eines ganz anderen, eigentlich beliebigen Burschen, den er in meiner Phantasie mühelos ausstechen konnte, sodass es mir so scheinen musste, als sei er es, der mich quasi durch jenen in Besitz nahm.

Als Zeichen sandte er mir einen öfters wiederkehrenden Traum, der ihn und mich als gewandte Reiter zeigte, die Pferde ebenso wenig schonend wie uns selbst – was mich unwillkürlich zur allseits bekannten Passion Dirks führte. Das aber war es nicht allein, was ich sehen sollte, sondern der Ritt führte uns regelmäßig zu einem frischen Grabhügel, unter dem ein unbotmäßiger Paladin lag, den Monseigneur eigenhändig erdrosselt hatte. Ich erzitterte vor seiner Gewalttätigkeit, wusste aber wohl, dass es nicht nur Horror war, was ich da empfand, sondern auch versteckte Wollust.

GRÄFIN GENEVIÈVE:
Ich konnte lediglich sehen, was äußerlich mit ihr geschah – dass sie sich in Krämpfen wand, und ich wollte bereits einschreiten, bis ich im letzten Moment zurückschreckte, da ich erkannte, dass es nichts Unangenehmes war, was sie da erschütterte. Und ich war mir völlig sicher, dass sie dabei nicht an den ihr versprochenen Freiherrn von E. dachte…

Ich hatte lange genug im Paralleluniversum gelebt, um die dortigen Verhältnisse so weit zu internalisieren, dass sie mir nicht zum täglichen und vor allem alltäglichen Ärgernis gerieten: Aus diesem praktischen Grund – da ich dort ohne Aussicht auf Veränderung meiner Situation und ohne Alternativen existieren musste – passte ich mich möglichst an. Selbst wenn mir das, was drüben als normal galt, vom hiesigen Standpunkt aus skandalös und geradezu unerträglich erscheint, gab es doch Facetten des Spiegelweltdaseins, die ich sogar heute noch mehr goutiere als alless Vergleichbare hier. Insbesondere ist das die direkte Art, mit der man damit herausrückte, was einen bewegte – zwar (um Missverständnissen vorzubeugen) auch dort nicht völlig regellos oder gar ohne Rücksicht auf die gesellschaftliche Hierarchie, aber in den gebotenen Formen impulsiv.

204

Von Trudy McGuire wissen wir eigentlich vor allem, dass sie (wie ihre Freundinnen Amy und Pussy) blondes Haar hatte und sich vorwiegend blitzblau kleidete – das war ihr individuelles Markenzeichen, während die beiden anderen uns immer pink und neongrün entgegentraten.

BRIGITTE:
Natürlich ist uns alles präsent, was in dieser Geschichte – und in den vorigen – von ihr erzählt wurde, aber bis heute fehlt uns jegliche Information darüber, wo sie herkam und wie es sie nach Washington verschlagen hatte, wo dann alles eine ungeheure Beschleunigung erfuhr.

Diese Vorgeschichte aufzudecken, bedeutet für mich als Erzähler eine Versuchung, der ich schwerlich widerstehen kann, ob es nun der Betroffenen gefällt oder nicht. Trudy stammt jedenfalls aus dem Norden Kentuckys, den man „Bluegrass Region” nennt. Ihre engere Heimat, Boone County, ist geprägt durch den Ohio River und durch an die 30 km2 weitere Wasserflächen. Dennoch verzettelte die McGuire ihre ersten Jahre nicht allzu sehr mit den vielfältigen sportlichen Aktivitäten, die sich hier boten (wenn man einmal von jenen, die in der Schule obligatorisch waren, absieht), sodass sie am Ende der High School nicht nur einfach mit dem Diplom dastand, sondern mit begeisterten Empfehlungsschreiben einzelner Lehrer sowie einer Position unter den „Upper 10 %”-Absolventen – alles zusammen geeignet, ihr den Weg zu höherer Bildung zu ebnen. Allein, die Eltern, die es verabsäumt hatten, frühzeitig das bei vielen amerikanischen Familien übliche Spezialkonto anzulegen, waren nicht bereit, weiter für die Tochter aufzukommen, worauf sich diese kurzerhand nach Lexington absetzte, um sich auf eigene Faust durchzuschlagen.

Nachdem sie einige Zeit als Bagger in einem Supermarkt gearbeitet hatte und dabei der weitaus größte Teil ihres Einkommens für die alltäglichen Bedürfnisse draufgegangen war, wurde ihr klar, dass sie auf diese Art niemals würde ein Studium finanzieren können, selbst wenn sie Grants oder Tuition Waivers in Anspruch nehmen konnte. Dementsprechend empfänglich war sie daher für den Tipp einer Kollegin, die gelegentlich ihr Gehalt aufbesserte, indem sie in einem Club als Stripperin arbeitete: „Great pay – flexible hours!” waren die Schlagworte, die sie nur zu gerne hörte. Mehr noch – um den Appeal dieser Tätigkeit, die den Normalbürger geheimnisvoll und fast mystisch anmutet, zu unterstreichen, erzählte ihr die Propagandistin, wie sie sogar im Urlaub irgendwo eine Auszieh-Schicht einlegte, um ihr Reisebudget zu strecken.

BRIGITTE:
Der Manager des „Cherry & Champagne”, bei dem Trudy sich vorstellte, war kurz angebunden: „Show me your birthday suit!”, bellte er, und als sie versuchte, sich langsam und möglichst erotisch zu entblättern, winkte er bloß müde ab: Nicht für ihn das ganze Brimborium, ihm reichte es, einfach die Ware zu besichtigen.

Was er zu sehen bekam, schien ihn geradewegs zufriedenzustellen, und er bedeutete Trudy, sich rasch wieder anzuziehen, während er ihr quasi en passant den Bühnennamen „Killer” verpasste – prophetisch in gewisser Weise, da hiermit das geeignete Motto für das weitere Leben des McGuire-Mädels formuliert war. Kaum hatte sie angeheuert und einen kleinen Vorschuss erhalten, meldete sie sich am lokalen College an, um wenigstens einmal die ersten vier Jahre, die Undergraduate Period, zu durchlaufen.

Was allerdings auf den ersten Blick wie der perfekte Job für eine Studentin aussah, erwies sich in der Praxis als Knochenmühle, die nur durchzustehen war, wenn sie in Alkohol ertränkt wurde. Jetzt erst stellte sich heraus, dass es nur mit einigen Wodkas oder Martinis möglich war, den eigenen Stolz hinunterzuschlucken – und die inferioren Bemerkungen aus dem Publikum; die quälende Rivalität mit den Kolleginnen; die physische Brutalität des Chefs; und vor allem die ständig präsente Angst, jemand aus der alten Heimat, womöglich der eigene Vater, könnte eines Tages da unten sitzen und selbst erst nach einer Weile mitbekommen, wem er da zurief: „Hey now, open up your pink parts!”

BRIGITTE:
Jetzt wissen wir also, warum die College-Girls nicht reihenweise zu ihrer örtlichen Tittie Bar laufen, um sich als Tänzerinnen zu bewerben. Ein ernsthaftes Studium war nämlich nur schwer mit dieser Nachtarbeit zu vereinbaren, und Trudy schleppte sich jeden Vormittag schlaftrunken in ihre Kurse, wo sie sich nur mit Aufbietung aller Kraft zu konzentrieren vermochte. In die Afternoon Shift des Clubs zu wechseln, versuchte sie zwar, kam aber bald wieder davon ab, denn was die halbwüchsigen Knaben, die zu dieser Zeit das Etablissement frequentierten, an Tips springen ließen, war zu vergessen. Langsam dämmerte ihr, dass es auch auf diese Weise fast unmöglich sein würde, den Abschluss zu schaffen.

Dann gab es plötzlich ein Fotoshooting im „Cherry & Champagne”, weil der Manager ein zusätzliches Geschäft mit dem Vertrieb der Bilder im Internet witterte (und sich, nebenbei gesagt, nicht im Geringsten um irgendwelche Rechte der Mädchen scherte – im Gegenteil, diese erfuhren teilweise erst jetzt beim Lesen des Kleingedruckten in ihren Verträgen, dass sie sich mit ihrer ursprünglichen Unterschrift offenbar mit Haut und Haar an den Typen verkauft hatten). Für Trudy geriet’s zum Vorteil, denn sie wurde bei dieser Gelegenheit von einem B-Movie-Produzenten entdeckt – übrigens unserem alten Freund Sid Bogdanych, der in diesen Untiefen seiner Branche unter dem Pseudonym Richmond „Buttman” Blake auftrat und immens viel Geld verdiente, das er dann löblicherweise wenigstens zum Teil in künstlerisch wertvolle Projekte unseres großen Regisseurs steckte.

BRIGITTE:
Das hast du dir jetzt ausgedacht, um unseren Personalstand nicht über Gebühr zu erhöhen!

Aber nein, Brigitte – Brigitte, du weißt doch, dass das eigentliche Leben die seltsamsten Kapriolen schlägt, und eine davon machen wir uns hier zunutze: unterstellen einen Zufall, der nicht unwahrscheinlicher ist, als dass du dem Pulitzer-Preisträger Leo Di Marconi über den Weg läufst, aber nicht nur das, sondern gleich mit ihm ins Bett steigst, und dass dieser knallharte Enthüllungsjournalist angeblich bei dir butterweich wird und eine kleine Ode auf deine körperlichen Vorzüge schreibt…

BRIGITTE:
Und Trudy?

Die drehte im Rahmen einer kurzen, aber intensiven Pornokarriere, die ihr endlich bei hohem Verdienst die Möglichkeit bot, ihre Zeit weitgehend selbst zu gestalten, etwa zwei Dutzend sehr gefragte Hardcore-Streifen, darunter „Amateur Play”, „X-Large Sensations”, „Hours of Dark”, „The Naked Thief”, „Puppet in Paradise” oder „Skin Treasures” – all das ohne Künstlernamen, denn in ihrer Begeisterung hatte sie es verabsäumt, für allfällige künftige Wendungen ihrer Biografie die Spuren zu verwischen. Mit etwa einer halben Million Dollar war die Finanzierung des Colleges damit jedenfalls ebenso gesichert wie die anschließenden Jahre in Harvard, denn diese Elite-Uni war schließlich ihr geheimes Ziel gewesen.

Tatsächlich schaffte sie es nach ihrem erfolgreichen Bachelor’s Degree dorthin und belegte Vorlesungen an der Harvard Kennedy School, der man zu Recht nachsagt, sie würde ihren Studenten mehr als andere Universitäten das Rüstzeug für die Lösung komplexer Probleme mitgeben, gemäß der Aufforderung des legendären John F.: Ask what you can do!

BRIGITTE:
Ein elitäres Motto fürwahr in einer Zeit, in der Massen von Bewegten, die bloß darauf warten, dass irgendjemand für sie etwas tut, einer relativ geringen Zahl von Bewegern gegenüberstehen.

Und genau das reflektierte die Universität: Diese Admissions, die nach dem Erwerb des Master’s Megree (geradezu ein Klacks für die McGuire, so wie wir sie bis jetzt kennengelernt haben) den Weg zum Doktoratsstudium öffnen, schafften nicht mehr als vielleicht fünf von hundert Kandidaten, darunter – natürlich – Trudy. Am Ende machte sie ihren PhD in Political Economy & Government, wobei sie selbstverständlich nicht ahnen konnte, wie punktgenau die Inhalte dieser Disziplin für ihre spätere Karriere geeignet waren: Der Einfluss der Politik auf wirtschaftliche Prozesse sowie umgekehrt die Bedeutung ökonomischer Bedingungen für das politische Leben, in der Konsequenz eine gekonnte Verknüpfung von Fachgebieten für all jene, deren akademisches Interesse jeweils durch die Wirtschafts- oder Politikwissenschaft allein nicht abgedeckt wurde.

Trudys Thesis ließ vieles von dem erkennen, was später eigentlich als die Königsidee Ray Kravcuks galt – der Verzicht auf die globale Vormachtstellung der USA und die Aufteilung der Welt zwischen Washington und Beijing, wie sie ja am Ende tatsächlich verwirklicht wurde. Versuchen wir also, ein wenig von der Ideenwelt wiederzugeben, die eine der Voraussetzungen dazu war:

– Schon im Vorwort der Arbeit hieß es: Die Tage der amerikanischen Hegemonie auf der Weltbühne scheinen gezählt. Der Aufstieg mindestens einer anderen Supermacht, die Diffusion des ökonomischen ebenso wie des menschlichen Kapitals und die zunehmenden Einflüsse nichtstaatlicher Akteure – einschließlich solcher, die zum Anarchismus neigen – werden in eine neue Ära der Geopolitik hineinführen.

– Und zur Forschungsfrage: Wie sieht ein moderner Zugang zum Begriff der Leadership aus und in welcher Beziehung steht Leadership zur Macht? Und was bedeutet eigentlich Macht – neben der „Hard Power” offenbar auch „Soft Power”, die Fähigkeit, durch Ausstrahlung eher als durch Zwang das zu erhalten, was man will?

– Und zur Position des einzelnen „Leader”: Unsere bisherige Vorstellung beschreibt den Führer als die Person, die Aufträge erteilt, den König des Berges, dessen Orders von oben nach unten kaskadieren, ausschließlich getrieben von Hard Power. Wenn man allerdings an eine vernetzte Welt denkt, wie wir sie im Zeitalter der Information haben, dann stellt man fest, dass der Leader eher inmitten eines Kreises steht und in der Lage sein muss, Menschen an sich zu ziehen, und das erfordert Soft Power. Eine große Gefahr bei der Betrachung von Leadership ist es, zu sagen: Einer ist der „Entscheider”. Viel wichtiger ist aber, wie wir die Ziele auswählen. Und wie entscheiden wir, wer entscheidet? Wie entscheiden wir das Timing der Entscheidung?

– Über die Eigenschaften von zeitgemäßer Leadership: 1. Emotionale Intelligenz, das Vermögen, die eigenen Gefühle zu steuern und sie zu verwenden, um andere zu erreichen; 2. die Formulierung einer Zukunftsvision, die andere fasziniert; und 3. hervorragende Kommunikationsfähigkeiten, sowohl auf der rhetorischen, als auch auf der nonverbalen Ebene. Diese drei Soft Power-Instrumente müssen mit der Hard Power, wie sie in Organisationen a priori vorhanden ist, kombiniert werden, um die Möglichkeiten einer wirkungsvollen Leadership voll auszuschöpfen. Der ausschließliche Top-down-Ansatz hat aus den verschiedensten Gründen ausgedient.

– Über das Phänomen der Mitte: Die einzige Methode, zeitgemäße Leadership darzustellen, ist ein Modell, in dem aus der Mitte heraus agiert wird, wobei die Führungsfigur im Zentrum einer Art Kompass gesehen wird. Im Norden hat sie einen „Chef” über sich (entweder eine wirkliche Person oder bloß ein Symbol für die Sachzwänge einer gegebenen Situation), und diesem gegenüber ist es nicht möglich, Hard Power auszuüben; im Osten und Westen gibt es Kontrahenten in Form von Gruppen, über die der Führer keine Autorität besitzt und die er folglich nur mit attraktiven Ansätzen zur Zusammenarbeit motivieren kann; im Süden schließlich finden wir die Untergebenen, gegen die zwar als einzige Hard Power unverblümt angewandt werden kann, aber offen gesagt: sollen sie die Vision glauben und diese ernsthaft teilen, wird dies kaum unter reinem Zwang zu erreichen sein. Dieses Modell gilt sehr universell, denn sehr wenige von uns haben niemanden über sich und nur wenige brauchen keinerlei Mitwirkung von den Leuten beiderseits von uns respektive kein Vertrauen von jenen unter uns.

– Über Soft Power auf der Weltbühne: Wirkungsvolle Strategien in der realen Welt sind eine Mischung von Hard und Soft Power, und die verschiedenen effektiven Kombination beider könnte man „Smart Power” nennen. Weitaus zu oft denkt man, dass Hard Power allein ausreicht, oder man setzt Soft Power mit dem Gewinnen der „Hearts and Minds” anderer gleich, aber um wirkungsvoll zu sein, muss eine Synthese von Hard und Soft Power gefunden werden. Nehmen wir als Beispiel den Terrorismus. Wir können niemals Soft Power verwenden, um bewaffnete Fundamentalisten zur Aufgabe ihrer extremen Positionen zu bewegen, und müssen daher militärische Gewalt, Hard Power, einsetzen, um uns vor ihnen zu schützen. Geht es aber um die differenziertere Frage des Gewinnens der Herzen und Gehirne des Mainstream einer Population, um zu verhindern, dass dieser von den Hardlinern vereinnahmt wird, erfordert dies vor allem auch Soft Power. Sowohl Amerika als auch China als die beiden dominierenden Imperien der Zukunft werden diese Smart Power-Konfiguration ihres politischen Handelns erlernen müssen, wenn sie in jenen Teilen der Welt, die sich als ihre jeweiligen Einflusssphären abzuzeichnen beginnen, als Leitinstitutionen reüssieren wollen.

[ Grafik 204 ]

BRIGITTE:
Prophetische Schlussworte der McGuire’schen Doktorarbeit! Aber es gibt eben immer auch noch die ganz banale Seite des Daseins: Noch nicht in ihrer Zeit als Sicherheitsberaterin ihres Vorgängers, aber gleich nachdem Trudy selbst Präsidentin der USA geworden war, holte sie ihre Killer-Stripper-Vergangenheit in Form einer Karikatur ein – aber dem Herausgeber, der diese veröffentlichte, verging nach einem Besuch einiger Officers of the Pine Tree die Lust, seine Zeitung weiter zu betreiben und der Zeichner verlor zuerst seinen Job und dann bedauerlicherweise unter ungeklärten Umständen sein Leben…

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Sir Basil hatte es am eigenen Leib erfahren: Berenice vermittelte, anders als die meisten westlichen Therapeuten, ein Gefühl der dichten Wahrnehmung und Durchdringung ihrer Patienten, das bei diesen noch lange, nachdem sie die Walemira Talmai bereits wieder verlassen hatten, anhielt. Die Diagnose einer Krankheit schien bei der Schamanin mit britischem Doktor-Diplom eine Art kritische Auseinandersetzung zu sein, nicht mit der spezifischen Fehlfunktion, sondern mit dem ganzen Menschen. Wie alle geborenen Heiler realisierte sie, ohne diese Beobachtung je akademisch fundiert zu haben, dass jede Krankheit in einer mangelhaften Metaphysis, in einer bestimmten Lebensweise wurzelte, was eine ziemliche Verunsicherung für jene bedeutete, die an ein entwickeltes, hochtechnisiertes Gesundheitssystem gewöhnt waren: Plötzlich sahen sie sich einem forschenden Blick ausgesetzt, begannen Beschämung darüber zu empfinden, dass sie in der Gegenwart Berenices krank waren. Fast war es so, als wartete sie darauf, dass der Patient sich rechtfertigte oder zumindest die geheimen Ursachen seines Zustands offenlegte.

BERENICE:
Dabei war die Behandlung individueller Störungen gar nicht von vornherein das, womit ich mich am liebsten beschäftigte. Immerhin hatte ich für meinen wissenschaftlichen Abschluss über „Geburt, Leben und Tod von Organisationen. Psychographie und Psychopathologie des Kollektivs” gearbeitet…

… was einiges Aufsehen verursachte, aber alles in allem mit höchster Anerkennung bedacht wurde und gerade in Fachkreisen eine große Resonanz erzielte.

BERENICE:
Nun hatte ich mit diesem Thema natürlich genug Erfahrung, und durchaus keine ausschließlich theoretische. Die Grundlage war meine Tätigkeit für den Stamm, solange wir noch mehr oder weniger friedlich im Outback lebten. Ich war alles für meine Koori – Ärztin, Psychologin, Priesterin, Ratgeberin, Entertainerin und anderes mehr, übrigens mit derartigem Erfolg, dass sich mein Ruf weit über unser Gebiet hinaus (selbst unter weißen Hilfesuchenden) verbreitete und schließlich sogar Canberra erreichte, wo man mich als extrem staatsgefährdend einstufte und zur Eliminierung freigab („to be extinguished” lautete der Fachausdruck). Dies und die Tatsache, dass die Australian Army – nachdem ich mich ihrem Zugriff entzogen hatte – viele unbeteiligte Ureinwohner tötete, lösten am Ende meine Untersuchungen zu Verhaltensdeformationen von Institutionen aus, denn die Ungeheuerlichkeit jener Vorgänge ließ mir eigentlich nur die Wahl zwischen blutiger Rache (was mir widerstrebte, auch wenn ich die Mittel dazu besaß) und einer bewusst rationalen Aufarbeitung.

Dabei schien es gerade so, als hätten die geisterhaften Ahnen der Koori (die Berenice dazu ausersahen, unser Universum zu retten) die australische Regierung als Instrument in diesem Projekt benützt: Indem diese nämlich die Walemira Talmai erbittert zu bekämpfen suchte, vertrieb sie die Schamanin und eine kleine Gruppe um sie herum – darunter auch mich, ihre Dienerin – nach England, wo erst alles Weitere seinen Lauf nehmen konnte. Aber diese Ereignisse sind uns wohlbekannt, daher müssen sie hier nicht wiederholt werden.

BERENICE:
Als Basil Cheltenham endlich genesen war, hatten sich die tiefgreifenden Veränderungen der Welt bereits verfestigt. Die beiden verbliebenen Supermächte stellten für den Einzelnen und seine Bestrebungen zwar nicht die befürchtete ultimative Bedrohung dar (dazu waren sie einfach zu groß), aber in ihren jeweiligen Vorfeldern installierten sie kleiner strukturierte lokale Einheiten, die sich viel genauer, wenn auch mit abgestufter Macht, in die dortige Interaktion einschalten konnten. Alles in allem hatten wir aber einen gewissen Bewegungsspielraum und waren daher nicht gezwungen, irgendjemandem ununterbrochen irgendetwas zu erklären – im Gegenteil, wir konnten sogar ein Netzwerk aufbauen, mit dem es möglich war, die Entscheidungen der beiden Machtzentralen bis zu einem bestimmten Grad zu manipulieren.

Insbesondere hatten Berenice und vor allem Sir Basil es schon früher geschickt verstanden, die beiden Staatsoberhäupter von der Beschäftigung mit kosmischen Bedrohungen abzuhalten, wozu auch die Bewunderung beitrug, die man an oberster Stelle sowohl in Washington, als auch in Beijing für beide hegte. Ohnehin wurden ja Ray Kravcuk und später Trudy McGuire auf der einen Seite sowie Dan Mai Zheng auf der anderen Seite mit tatsächlichen irdischen Problemen in ihren jeweiligen Einflusssphären geradezu in Atem gehalten, und wenn sie manchmal nicht so recht bereit waren, sich mit diesen einzulassen, halfen die Schamanin und der Baronet gerne ein wenig nach. Dazu bedurfte es allerdings angesichts der beklemmenden realen Gegebenheiten gar nicht viel.

Die zahllosen Völkerschaften der zwei Imperien litten nicht nur unter der Nivellierung, die der Errichtung solch riesiger politischer Gebilde gefolgt war, sondern vor allem an einer weitreichenden Insuffizienz des ökonomischen Unterbaus. Die Spannungen, die in den stark emotionalisierten Bewegungen, von denen bereits früher berichtet worden ist, zum Ausdruck kamen, beruhten auf handfesten Ungleichgewichten in der Einkommensverteilung – wohinter eine noch viel krassere Imbalance des Wohlstands an sich anzunehmen war.

Wie sich die Bilder glichen: Lt. Col. George Howland trug der amerikanischen Präsidentin die Fakten vor, die man als wahre Ursachen der sozialen Unrast erkannt hatte, und ein junger hervorragender Absolvent der Eliteuniversität Tsinghua (sein Name war Yang Xun Zhou, und Dan Mai Zheng hatte ihn erst kürzlich in ihr Kabinett geholt) machte dasselbe bei seiner Staatsratsvorsitzenden. Dabei wurden, ohne dass die beiden Seiten sich (wie denn auch?) nur im Geringsten verständigt hatten, nahezu dieselben Schaubilder verwendet, vor allem jenes, das die eklatante historische Differenzierung des Pro-Kopf-Einkommens zeigte. Vor 2000 Jahren und selbst noch vor 1000 Jahren hatten die Menschen rund um den Globus den Gegenwert von nur einem Dollar pro Kopf und Tag für ihre Lebenshaltung ausgeben können, und während dies für die ärmsten Gebiete Grand Americas und Groß-Chinas auch heute noch galt, stand der Bevölkerung in den reichsten Regionen nunmehr gut das 65-fache des antiken respektive mittelalterlichen Wertes zur Verfügung.

Auf den Einwand hin – er kam prompt, sowohl in Beijing wie in Washington –, dass es Arm und Reich schon immer gegeben hätte, präzisierten die Vordenker: Nicht jene verschwindend wenigen sagenhaft reichen Individuen, deren isolierter Status bereits in vergangenen Zeiten aus einer riesigen Masse des Elends einsam herausragte, seien gemeint, sondern ein völlig neuartiges Phänomen: dass sich nämlich heute eine – mit vielleicht 20 % aller Erdbewohner – zahlenmäßig nicht unerhebliche Klasse reicher Prasser über die restlichen vier Fünftel hinwegsetzte, die in Kümmernis lebten.

BERENICE:
Aber was tun? Selbst wenn allen bewusst gewesen wäre, dass dieser Zustand unvermeidlich an letzte Grenzen führen würde (wovon die Spiegelwelt schon jetzt ein beredtes Zeugnis bot), hätte es die allgemeine Ratlosigkeit nicht verändert: Gleiches Recht für alle würde doch in dieser Situation nichts anderes bedeuten können als eine Vereinheitlichung auf einem äußerst primitiven Niveau – was natürlich nicht im Interesse der Wohlhabenden lag, aber schon gar nicht in jenem der anderen, die damit nichts gewinnen konnten.

Unter dem Titel „Radikale Probleme erfordern radikale Antworten” geisterte der unsägliche Schreiner-Plan wieder einmal durch die Gemüter, und natürlich ließ die Rückbesinnung auf Pjotr Ivanovichs verstiegene Ideen nicht auf sich warten: Diesmal wurde nicht nur die öffentliche Diskussion in Amerika davon infiziert, sondern auf Umwegen auch jene in China, denn Seiji Sakamoto als Reisender zwischen den Sphären witterte auch dabei das große Geld für seine Yakuza-Organisation und wurde nicht müde, hier im Trüben zu fischen.

Fast vergessen war der seinerzeitige Ansatz Ray Kravcuks, der mit seinem Slogan „Back to Earth!” (fast zu banal klang das heute in den Ohren vieler) dazu aufgerufen hatte, Lösungen für die Welt, wie immer sie im Detail aussehen mochten, grundsätzlich hier vor Ort und mit gewöhnlichen Mitteln zu suchen. Von Dan Mai Zheng waren in ihrem Reich ähnliche Worte zu hören gewesen – nicht zufällig, hatte sie doch mit dem früheren amerikanischen Präsidenten am Orangen Telefon und später bei einem persönlichen Treffen in ihrem gemeinsamen Liebesnest in Palau darüber diskutiert –, aber obwohl ihr niemand offen zu widersprechen wagte, nahm die Elite des Reichs der Mitte diesen Rat zur Vernunft nicht so richtig ernst. Trudy McGuire, als Nachfolgerin Kravcuks, neigte zwar entschieden dieser seiner Meinung zu (immerhin hatte sie ja seinerzeit daran mitformuliert), aber ihre Offiziersfreunde kümmerte das wenig.

BERENICE:
Du solltest diese Militärs nicht zu negativ beurteilen, Idunis! Sie sind nur auf den ersten Blick simple Leute, in Wahrheit aber mehr als kompliziert, und das liegt daran, dass sie eben nicht zum Helfen und Heilen ausgebildet werden, sondern zum Dreinhauen und Töten, will sagen, selbst wenn sie ein Problem objektiv erkennen (denn sie sind ja so nebenbei auch normale Menschen), dann wird ihre Lösung destruktiv sein. Dabei gäbe es immerhin konstruktive Konzepte, wie etwa unseren Lebensstil als Koori, der durchaus geeignet wäre zur Verallgemeinerung…

… aber du weißt genau, dass hier in England, wie es heute ist – von anderen Weltgegenden ganz zu schweigen –, unser Überlebenskampf im australischen Busch als unerreichbare Idylle anmutet, und dass unser Dasein in Harmonie mit der Natur in den Augen derer, die das nicht hautnah erlebt haben, zu utopischer Sozialromantik verkommt.

BERENICE:
Die deprimierendste Erkenntnis für uns, die es aus einfachsten Verhältnissen in die sogenannte Hochzivilisation verschlagen hatte, war paradoxerweise jene, dass die Sachzwänge hier sogar noch zunehmen, was bedeutet, dass der freie Wille immer mehr zu einem Hirngespinst wird: Zwar erscheint das, was wir tun, mit den Vorgängen in unserem Gehirn nach wie vor einigermaßen kompatibel, aber wie wir nur einen Schritt über die Grenze zum Pathologischen wagen, trifft selbst das nicht mehr zu, und der Konflikt zwischen dem Wollen, etwas Bestimmtes zu tun, und der Befähigung, dieses auch umzusetzen, eskaliert. Aber – um dir auch einmal eines meiner innersten Geheimnisse zu offenbaren – die Argumentation funktioniert auch andersherum: Selbst wenn jemand wie ich die Voraussetzungen dafür hat, dass seinem Handeln keine wirklichen Schranken gesetzt sind, mangelt es wenigstens von Zeit zu Zeit (oder im Fall krankhafter Veränderungen sogar für immer) am Wollen, diese Möglichkeiten auch zu nutzen…

Was sollte das nun bedeuten? Die Walemira Talmai machte mich ratlos, und da ich wohl annehmen durfte, dass sie zumindest fühlte – wenn nicht genau wusste –, in welchen Zustand sie mich damit versetzte, war das schlicht und einfach nicht zu akzeptieren. Ich verließ sie wortlos und legte mich schlafen – allein, denn da war heute keiner meiner Stammesgenossen, der sich zu erleichtern beabsichtigte, im Sinne jener psychohygienischen Gruppenfunktion, die mir seitens Berenice von Anfang an zugedacht worden war. Zu meinem Leidwesen gab es aber auch keinen anderen, möglichst rosafarbenen Mann, der sich an einer furchtbar schwarzen Naturschönheit wie mir ergötzen mochte und dem ich mich – anders als bei jenen Pflichtvereinigungen – nicht ausschließlich mit animalischer Ergebenheit, sondern sogar mit Freuden angeboten hätte.

Es war vollständig dunkel in meinem Kämmerchen, aber als ich meine Lider schloss, sah ich mit meinen inneren Augen rundum strahlendes Weiß: weiße Wände, Boden und Decke des Zimmers weiß, eine weiße Türe, das Bett weiß, ich selbst weiß gekleidet. Mein erster Gedanke war der an ein Krankenhaus, und ich versuchte herauszufinden, woran ich litt. Aber da war nichts – ich fühlte mich kerngesund. Dennoch konnte ich mich nicht bewegen, bis plötzlich die Walemira Talmai im blütenweißen Arztmantel, der extrem zu ihrer dunklen Haut kontrastierte, zu mir trat und meine Hand ergriff.

BERENICE:
Ich komme, um dich zu kurieren, mein Kind, um dir zu zeigen, dass du dich vielleicht in all den Jahren an meiner Seite getäuscht hast, wenn du annahmst, nicht für voll genommen, nicht als meine gleichberechtigte Schwester behandelt zu werden!

Aber du bist anders! stammelte ich: Du bist größer, bedeutender. Deine Fähigkeiten übersteigen die meinen um ein Vielfaches, denn du hast sie dir hart erarbeitet in einem geradezu mörderischen Initiationsvorgang – etwas, das wir anderen Koori in Ansätzen über uns ergehen lassen anlässlich unserer Großjährigkeit, aber wir müssen uns dabei, anders als du, nicht unter völliger Selbstaufgabe zersplittern und danach wieder zusammensetzen lassen, unter der ständigen Gefahr, dass daraus nie wieder ein Ganzes wird!

BERENICE:
Und dennoch gibt es keinen Grund für mich, überheblich zu sein. Eines Tages begriff ich, dass es notwendig war, sich zurückzunehmen, um unter euch leben zu können, ohne euch durch meine Wesenheit ständig zu verletzen; dass es notwendig war, zu differenzieren zwischen den Facetten meines Seins; und dass es vor allem notwendig war, den Weg eurer Normalität zu gehen, parallel zu jenem, den ich allein beschreiten musste (aber eben nicht allein im landläufigen Sinn, sondern als das Bündel unzähliger Persönlichkeiten, das meine von den geisterhaften Ahnen verliehenen Gaben aus mir gemacht haben). Ständig auf der Suche nach dem inneren Gleichgewicht habe ich nun beschlossen, mich bis auf weiteres einfach nur um meine ganz gewöhnliche therapeutische Praxis zu kümmern, denn mit jedem einzelnen Patienten, dessen Los ich verbessern kann, scheint mir mit einem Mal genauso viel getan wie früher, wenn die ganze Welt zu retten war.

Plötzlich gehorchten mir meine Gliedmaßen wieder und ich erhob mich.

BERENICE:
Komm, umarme mich, und nimm ab jetzt gemeinsam mit Chicago die Verantwortung für unsere kleine Familie hier wahr: Brian und besonders ich wollen nichts anderes mehr sein als einfache Mitglieder dieser Schar!

Und wenn es denn eine neue Bedrohung gäbe – für unseren Mikrokosmos hier oder womöglich wieder für das gesamte Universum, was dann?

BERENICE:
Dann möge jemand anderer Sorge tragen – oder wenn nicht, möge alles zugrunde gehen im Rahmen des ewigen Kreislaufs zwischen Werden und Vergehen…

Ich verstand gut, was sie mir sagen wollte: Es konnte nicht funktionieren, dass wir gewöhnlichen Menschen unter Ewigkeit immer nur Kontinuität, ja Stabilität verstanden haben wollten, während sie sich doch im zyklischen Schwanken zwischen Sein und Nicht-Sein manifestierte.

Am Ende aber, als ich realisierte, wieder in meinem üblichen Bett zu liegen, und alles um mich herum normal war, konnte ich nicht sagen, ob diese Szene mit Berenice tatsächlich stattgefunden hatte oder ob es sich dabei um eine Hervorbringung meiner Phantasie handelte. Ich beschloss daher, künftig auf der Hut zu sein und stets auf der Suche nach Indizien für das eine oder das andere.

206

Wissen Sie, es fällt mir schwer zu erzählen, wie der Cheltenham’sche Haushalt am Stammsitz des Baronets aufgelöst wurde. Allzusehr verbinde ich mit diesem Ort Sir Basils umfassende Präsenz, selbst in Zeiten, in denen er physisch gar nicht anwesend war. Immerhin baute ja auch Charlene als Sachwalterin, obgleich sie rechtlich mit sämtlichen Vollmachten versehen war, vor allem auf den Nimbus ihres Mannes, um herrschen zu können.

Die Chinesen verlangten jedenfalls, dass Sir Basil und alle, die ihm nach Zypern folgten, die amerikanische Staatsbürgerschaft zurücklegen müssten – anders wäre das notwendige Vertrauen der zweiten Supermacht in die von der Führung CORRIDORs geforderte strikte Neutralität nicht zu gewährleisten. Seiji Sakamoto hatte das bei einem seiner London-Besuche Cheltenham als dringenden Wunsch Dan Mai Zhengs ausrichten lassen.

CHARLENE CHELTENHAM:
Ich hatte null Probleme damit, kein US Subject mehr zu sein. Zu hohl klangen mir seit jeher die Phrasen des Patriotismus, seit ich selbst mitten im bunten Treiben der Washington Upper Ten gelebt hatte, und die Entwicklung seit damals, namentlich seit Errichtung der präsidialen Diktatur, war nicht dazu angetan, meine abfällige Meinung über das System zu ändern. Das einzige, was ich fürchtete, war die mögliche völlige Enteignung unseres Besitztums in Gloucestershire, denn ich identifizierte mich in hohem Maß mit Basil Erbgütern.

Da sorgte sich die Gute allerdings völlig grundlos, zumal mit Trudy McGuire jetzt jemand an den Schalthebeln von Grand America saß, der dem Baronet äußerst wohlgesonnen war: Dieser hatte sie schließlich stets gut beraten und ihren individuellen Werdegang immer günstig beeinflusst. Gegen die Sache mit der Ausbürgerung erhob sie klarerweise keine Einwendungen (hielt diese wie ihre chinesische Kollegin eher für selbstverständlich), aber sie wünschte, dass den Cheltenhams im amerikanischen Machtbereich daraus keinerlei materieller Schaden entstand.

Die Präsidentin rief mich überraschend in London an, wo ich mich gerade aufhielt – sagte mir, wie sehr sie mein Schaffen als Filmproduzent schätze, und stellte mir sogar in Aussicht, den Zensurterror gegen mich und den großen Regisseur zu lockern, wenn nicht zu beenden. Dafür hatte sie aber einen diskreten Auftrag für mich: Ich sollte einerseits inoffiziell Sir Basil und Lady Charlene aufsuchen und diese der ungebrochenen Wertschätzung Trudys versichern, andererseits aber den lokalen Behörden des US-Bundesstaates England ein persönliches Schreiben überbringen, in dem sie ihrem Wunsch Ausdruck verlieh, man möge die Integrität der Cheltenham’schen Domäne unter allen Umständen wahren.

[ Grafik 206 ]

CHARLENE CHELTENHAM:
Nun galt es noch, jemanden für meine Nachfolge in der Verwaltung des Anwesens zu finden, denn ich wollte unter keinen Umständen weiterhin von Basil getrennt sein. Mir schwebte vor, einen der bisherigen Sub-Manager zu ernennen, am besten den braven Kerl, dessen persönliche Wünsche an mich nicht weitergingen als bis zu einem gemeinsamen abendlichen Dinner in aller Öffentlichkeit und damit in allen Ehren.

Als ich die Cheltenhams traf, debattierten sie eben (in den alten Lederfauteuils der Bibliothek fast versunken) darüber und bezogen mich ohne Umschweife ein. Sir Basil nämlich favorisierte die Idee, die Administration seines Besitzes Laura de Dubois, die manchen auch als Sissy Dobrowolny bekannt ist, anzuvertrauen. Er argumentierte, dass sie sich mittlerweile in die Angelegenheiten der Blakeney-Domäne, die ja längst ihr gehörte, bestens eingearbeitet hatte und überhaupt eher für eine solche Aufgabe geeignet wäre als die Truppe von Befehlsempfängern, die bisher Charlene auf Cheltenham House unterstanden waren.

CHARLENE CHELTENHAM:
Grundsätzlich hatte ich gar nichts gegen diese Lösung, denn die neuerliche Verschiebung meines Lebensmittelpunktes, die sich nun anbahnte, machte es ohnehin notwendig, das Bisherige loszulassen. Was ich allerdings zu bedenken gab, war die Tatsache, dass der Technische Leiter, die Spartenverantwortlichen für Saatgut, Gemüse- und Obstbau sowie der Kaufmännische Direktor, die alle davon träumten, einmal die Chefin zu bumsen (quasi als Lohn dafür, eine Frau an der Spitze überhaupt zu akzeptieren), von Laura vermutlich nicht in gleicher Weise auf Distanz gehalten würden, wie ich es getan hatte. Und selbst der Gesamtbetriebsführer – derjenige, der sich mir gegenüber nur dem platonischen Minnedienst hingab – konnte durch die Dubois ohne weiteres ermutigt werden, seiner Sehnsucht eine banale Konkretisierung zu verleihen. Dann jedenfalls würde der ganze Betrieb hier wohl nicht mehr so reibungslos laufen wie bisher.

Um meine Meinung gefragt, neigte ich Sir Basil zu – wie könnte es anders sein unter gewissen Männern, werden Sie sich jetzt denken, aber das war’s eigentlich nicht. Ich genieße einfach, wenn ich selbst nicht unmittelbar davon betroffen bin, jede Art von Komplikationen: Sie sind es schließlich, die den Film am Laufen halten und das Publikum am Einschlafen hindern! Und ähnlich schien mir ja auch Cheltenhams Motiv zu sein: Was sollte er schließlich mit seinem unübersehbaren Organisationstalent anfangen, wenn es nichts zurechtzubiegen und geradezuziehen gab?

CHARLENE CHELTENHAM:
Am Ende war es mir eigentlich nur noch wichtig, dass Cheltenham House in unserem Besitz blieb und dieser Dubois nur zu treuen Händen übergeben wurde, aber indem ich meinen Widerstand gegen die Dame aufgab, nahm ich mir insgeheim vor, Mittel und Wege zu finden, um ihr genau auf die Finger zu sehen.

Formal gab es ohnehin keine Probleme, denn wie ich den Cheltenhams versichern konnte, hatten die Politiker-Ersatz-Automaten in London willfährig dem Wunsch der Präsidentin entsprochen und den Baronet, seine Gemahlin sowie allfällige Deszendenten in ihren bleibenden Rechten bestätigt.

CHARLENE CHELTENHAM:
Nicht nur wir selbst nahmen Abschied von Cheltenham House, auch Anastacia Panagou, die so lange ein Mitglied unserer kleinen Gemeinschaft gewesen war – wohlgelitten unsererseits sowie ihrerseits dankbar für die Ressourcen, die ihr hier zur Verfügung standen –, verließ das Anwesen. Niemand lud sie allerdings ein, mit uns nach Zypern zu kommen, und sie fragte auch nicht danach. Eines Tages plötzlich war die NOSTRANIMA wieder präsent, von der wir zwar die ganze Zeit gewusst hatten, dass sie da war, aber nicht in ihrer eindrucksvollsten physischen Manifestation. Obwohl die Kategorie der Größe bei einem derart komplizierten Geist-Materie-Konglomerat irgendwie ins Leere zielt, kann man sich doch veranschaulichen, dass der elektronisch-telepathische Raumkreuzer nach landläufigen Begriffen die Fläche unseres gesamten Besitzes eingenommen hätte und dort bis in die Höhe eines etwa 70-stöckigen Hochhauses aufgeragt wäre (aber wie gesagt, diese Beschreibung kann selbstverständlich nicht die extrem flexible spirituelle Sphäre dieser Entität berücksichtigen).

Die Panagou winkte bloß, als sie an Bord ging, die AP 2000 ® desgleichen, während hinter ihnen grußlos sieben weitere Gestalten trotteten – die Androiden, die wesentlichen Anteil an der Befreiung der Station VIÈVE sowie an Sir Basils Errettung aus der Hand der Echwejchs hatten. Natürlich durfte man annehmen, dass sie von Anastacia hierher mitgebracht worden waren, aber zu Gesicht bekommen hatte sie seither niemand. Cheltenham gab sich keinen Spekulationen über ihren Zustand hin, aber es war für ihn offensichtlich, dass ihre Psyche – bei ihnen ein ähnlich kompliziertes Ding wie bei richtigen Menschen, wie er ohne weiteres einräumte – gelitten haben musste

CHARLENE CHELTENHAM:
Wir winkten freundlich zurück – auch Nicholas hatte sich uns angeschlossen, fasziniert vom bevorstehenden Schauspiel des Raumschiffstarts. Dann sahen wir, wie der seinerzeit von Margharita Sanchez-Barzon, Sharon Sakamoto und Adriana, der Hexe, mittels ihrer mentalen, aber dabei gleichzeitig den Verstand der Drei zerstörenden Energie errichtete Lichtstrahl aktiviert wurde und sich weit im Himmel verlor. An diesem entlang bewegte sich die NOSTRANIMA, wobei uns schien, als hörten wir wie von Ferne Prokofievs dramatisches Romeo-und-Julia-Thema. Wohin die Reise ging, erfuhren wir allerdings nicht, und mein Mann sagte auch dezidiert, das solle uns nicht kümmern.

[ 2 Zeilen Durchschuss ]

Es wäre ohnehin falsch zu behaupten, dass Charlene traurig über dieses spezifische Desinteresse des Baronets war: Endlich eine Angelegenheit, für die er sich nicht zuständig fühlte, bei der er a priori gar nicht wissen wollte, worum es sich handelte. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass er sich voll und ganz seiner konkreten Aufgabe, dem Aufbau CORRIDORs, widmen wollte, und sie akzeptierte bereitwillig seinen Wunsch, mit zwei Flugzeugen nach Zypern zu reisen, um die Familie nicht einer gemeinsamen Gefährdung auszusetzen. Organisiert von Cheltenhams alten Air Force-Freunden gab es also einen Flug für ihn selbst und einen für seine Frau und seinen Sohn.

Zurück auf Kantara proklamierte Sir Basil Cheltenham im gerade erst fertiggestellten Großen Audienzsaal, flankiert von Lady Charlene Cheltenham und Master Nicholas Cheltenham, die offizielle Gründung der Federation of Independent States respektive – um auch der anderen Supermacht Genüge zu tun – ???????, wobei er wohlweislich das schnoddrige Kürzel CORRIDOR vermied. Seine neuen Untertanen bekamen davon praktisch nichts mit, denn das einzige Fernsehteam, das zu der Zeremonie erschienen war, bestand aus Leo Di Marconi und einem angemieteten zypriotischen Kameramann, und was die beiden filmten, war bloß eine Videoaufzeichnung und ging noch nirgends auf Sendung – mangels einer geeigneten gemeinsamen Infrastruktur der bunt zusammengewürfelten Territorien.

Auch in den beiden Imperien, zwischen denen Sir Basils neuer Staat eingekeilt war, erfuhr die Bevölkerung nichts von diesem Akt, abgesehen von den Grenztruppen Grand Americas und Groß-Chinas, die an diesem Morgen des 20. August – unvergesslich auch deshalb, weil es zugleich Charlenes Geburtstag war – angewiesen worden waren, sich jeweils 50 km vom Limes abzusetzen und dort neue Stellungen zu beziehen. Diese militärischen Aktivitäten zeigten den Menschen in den an CORRIDOR abgetretenen Gebieten immerhin, dass sich ihre Situation verändert haben musste. Offensichtlich gehörten sie nun nicht mehr einer der beiden Großmächte an, ohne deshalb recht zu wissen, wie es nun weitergehen sollte.

Abgesehen von diesem eher abstrakten Aspekt gab es auch eine praktische Konsequenz: Man stellte fest, dass bisher bestehende lokale gesellschaftliche oder private Verbindungen zu dem der bisherigen Grenze abgewandten Hinterland mit einem Mal unterbrochen waren, während sich auf der anderen Seite unversehens die Möglichkeit ergab, den Limes zu überschreiten, was bis dahin völlig ausgeschlossen gewesen war – aber wollte man das denn überhaupt? Man kannte dort ja niemanden, das waren anonyme Leute, selbst im Bereich des Ural, wo zwar drüben auch Russen wohnten, aber völlig fremde Menschen, für die man keineswegs automatisch Sympathie aufbringen konnte.

CHARLENE CHELTENHAM:
Was sich mit der Zeit herumsprach: dass es Geld aus der geheimnisvollen Zentrale auf Zypern gab, relativ viel Geld sogar; dass dieses seltsame Land für alle erdenklichen Verwaltungstätigkeiten eine Menge offizielle Funktionäre brauchte, die es fürstlich zu entlohnen vermochte; dass es insbesondere einen großen Bedarf an Soldaten hatte, und dass diese speziellen Jobs neben dem pekuniären Anreiz auch den Umgang mit sämtlichen modernen Waffensystemen bedeuteten, von denen offenbar genug vorhanden waren.

Was das betraf, hatte der Baronet richtig kalkuliert, nicht zuletzt auf Grund der Informationen, die er via Franz-Josef Kloyber von diesem Fidschi und diesem Khalid erhalten hatte. Fast überall in seinem Machtbereich herrschten traditionelle, teilweise sogar ziemlich rückständige patriarchalische Gesellschaftsformen vor, in denen der Trade of War, wie er das nannte, einen äußerst hohen Stellenwert besaß. Es schadete ihm bei diesen Völkern nicht gerade, dass er ein geübter Militärführer war, und da er ihnen noch dazu das feinste einschlägige Spielzeug bieten konnte, begannen sie ihn nachgerade zu mögen.

CHARLENE CHELTENHAM:
Ich selbst unternahm zusätzlich ausgedehnte Propagandareisen, auf die Basil mich – selbstverständlich mit entsprechendem Begleitschutz – sandte, um sich meiner bewährten Offensivkraft in Sachen Charme zu bedienen: Eigentlich war es eine Ausweitung des „Grace Kelly von Gloucestershire?-Effekts ins Unermessliche – sozusagen in Richtung eines „Evita-Sydroms”! Wer eine derart glamouröse Frau sein Eigen nannte, der stieg noch zusätzlich in der Achtung seiner Landeskinder, und nun kamen auch die Frauen ins Spiel, denn während die Männer mich bloß neugierig begafften, um dann von mir zu träumen, identifizierten sich jene auf eine viel tiefgründigere Weise vollends mit mir und damit indirekt auch mit dem Herrscher, dem ich angehörte. Aber wie gesagt, wir verließen uns natürlich nicht ausschließlich auf Elemente dieser sublimen Ebene – wir sorgten dafür, dass es allen wesentlich besser ging als früher, wenn auch die Unterstützung zum Teil nicht durch die Schaffung neuer Jobs geschah, sondern aus blanken Almosen bestand: Es gab einen Lady Charlene-Fonds für mittellose Kranke, einen für ledige Mütter, einen für Kinder weniger begüterter Familien und so fort.

Und es gab, nicht zu vergessen, einen Master Nicholas-Fonds für begabte Jugendliche. Als sich die Verhältnisse CORRIDORs etwas konsolidiert hatten, wurde nämlich auch der junge Cheltenham in diese Agitationsmaschinerie eingespannt, meist in der Form, dass er seine Mutter auf ihren diversen Reisen begleitete und sich vor Ort differenziert um bestimmte Zielgruppen, namentlich um die jüngeren Jahrgänge, kümmerte. Er tat es gerne, umso mehr, als auch ihm das von der Baronesse aufgebaute Wohlwollen entgegenschlug. In entwaffnender Weise schwärmte er bei Veranstaltungen und Besichtigungen von seinem Vater, und niemand mochte ihm deshalb gram sein, sondern man fand’s geradezu rührend sympathisch.

Obwohl davon kaum etwas offiziell in den Westen drang, bekam ich doch über Umwege Einiges davon mit. Wenn ich mir vorstellte, welches Phantasie-Potential diese Familie aufwies, konnte ich mir ausmalen, dass wir noch nicht alles gesehen hatte…

207

Ahmed Al-Qafr – der entgegen seiner ursprünglichen Absicht, sich von Verwicklungen möglichst fernzuhalten, sogar unheimlich tief in geradezu globale Auseinandersetzungen involviert war – fand selbst als Held aller Araber, den sie Abu Al-Nasr, Vater des Sieges, nannten, immer noch dann und wann Zeit, seinen Hobbies, Archäologie und Geschichtsforschung, zu frönen. Mit der Begründung, sich tief in der Wüste ohne jede Begleitung der Meditation hingeben zu wollen, stahl er sich in regelmäßigen Abständen davon. Seine bei weitem interessanteste Entdeckung war eine alte Schrift, die von sich selbst behauptete, aus der Zeit der Vierten Dynastie des alten Ägypten zu stammen. Spontan hatte Al-Qafr das Konvolut an Sir Basil gesandt, zusammen mit einer arabischen Übersetzung, von der er annahm, dass ihr Inhalt im Land des Adressaten weniger leicht identifiziert werden konnte als eine englische Fassung. ?? ???? ?????, in ewiger Dankbarkeit, hieß es im ebenfalls auf Arabisch abgefassten Begleitschreiben.

Cheltenham war geschmeichelt – wer wäre es nicht gewesen! Sein Stolz bezog sich allerdings nicht so sehr auf die simple Tatsache, Ahmed vor langen Jahren (als Ralphs und Hardys Räuberhöhle ausgeräuchert wurde) aus den Fängen der Yankees befreit zu haben, sondern auf die elegante Art, wie er das bewerkstelligt hatte, und wohl auch darauf, dass dies sein geniales System war, sich verlässliche und bedingungslos ergebene Vasallen zu schaffen. Diese Nützlichkeit Al-Qafrs hatte sich eindrucksvoll im Abenteuer mit Tyra bestätigt, von dem für Sir Basil allerdings ein schaler Nachgeschmack verblieben war: weil seine Lieblingsagentin nicht überlebt hatte und weil er sich vor allem nicht genau erklären konnte, wie es ihrem arabischen Begleiter gelungen war, sich herauszuwinden (dabei waren die Umstände dieser Rettung durchaus trivial).

Eine direkte Schuld Al-Qafrs war jedenfalls nicht zu beweisen, und so hielt der Baronet weiterhin Kontakt – gerade deshalb, behaupte ich, weil jener begonnen hatte, die muslimischen Massen zu antichinesischen Ausschreitungen anzutreiben. So verfuhr Cheltenham mit fast allen, die ihm im Lauf seines Lebens auf mehr oder weniger freundliche Weise begegnet waren, aber auch mit so manchem, der ihm ursprünglich feindselig gesinnt schien und den er mit seiner unnachahmlichen Beredsamkeit und seinen außergewöhnlichen Ideen umgedreht hatte. Nicht wenige allerdings, die seinen Weg kreuzten, waren heute tot. Ich selbst zählte, das darf ich mir schmeicheln, zu seinen ältesten Freunden, seit ich namens der Walemira Talmai mit ihm zu kooperieren begann. Und ich lebte.

SIR BASIL:
Wie oft hatte ich ihm gesagt, dass es unter diesen Toten, die ihm offenbar so sehr zu schaffen machten, nur wenige gab, die einem Leid tun sollten!

Ahmeds Papier jedenfalls handelte von Henutsen, der zweiten Frau des Pharaos Chufu-Chnum (besser bekannt unter dem Namen Cheops, den ihm Herodot verpasst hat). Dieser nahm sich neben seiner Schwester Merit-Ites, die er obligatorisch heiraten musste, und eben dieser Henutsen im Lauf der Zeit noch zwei weitere Gemahlinnen, und obwohl das rechtlich völlig in Ordnung war, geriet seine Nummer Zwei darüber so in Rage, dass sie sich nicht mehr strikt an ihren Mann gebunden fühlte und sich anderweitig umsah.

SIR BASIL:
Wer der Glückliche war, wissen wir nach rund viereinhalbtausend Jahren nicht mehr, aber die Gute wird sich schon einen ausgesucht haben, der sie innigst befriedigte, nachdem Chufu einen neuen Palast bezogen hatte und sich bei ihr nächtens nicht mehr blicken ließ. Und wenn man bedenkt, wie Henutsen aussah (von ihr gibt es im Gegensatz zu ihrem Mann, von dem bloß eine kümmerliche Elfenbeinstatuette existiert, eine Skulptur), dann versteht man zwar den Pharao nicht, kann aber wohl dessen heimlichen Nebenmann beglückwünschen.

Cheltenham war außerordentlich bewegt von dem Bericht, der außer dem Namen des Verfassers (der vorgab, selbst jener Liebhaber zu sein) kein Detail offen ließ: Henutsen, die in ihrer Jugend eine begehrte Tänzerin gewesen war und nach zwei Geburten, anders als die übrigen Damen des Hofes, weiter auf ihre Figur achtete, trug gerne die Kleidung einfacher Leute, den schlichten Kopfschmuck und das Schultertuch. Der Oberkörper war nackt – selbstbewusst stellte die Königin ihre festen Brüste und ihren straffen Bauch zur Schau. Der eng anliegende Schurz, dessen dünner Stoff mehr enthüllte als verbarg und der von den Hüften wie beiläufig herabfiel, wurde durch einen keilförmigen gearbeiteten Gürtel gehalten, dessen Spitze geradewegs zwischen die Beine wies. Die Scham selbst war von einer großen goldenen Agraffe bedeckt, deren Chrysokoll-Verzierung das einzige Zugeständnis an die Vornehmheit der Trägerin war. Dieser Stein verlieh nach Ansicht der damaligen Zeit große Aktivität, half aber, dabei einen kühlen Kopf zu bewahren und sich an ständig verändernde Situationen geschmeidig anzupassen. Henutsen glaubte fest daran – heute würde man sagen: sie war nicht gewillt, etwas anbrennen zu lassen (wenn man eine derart despektierliche Bemerkung über eine so hehre Gestalt überhaupt machen darf).

Das Geschenk Ahmed Al-Qafrs bestand übrigens aus mehr als nur Worten. Nachdem er an sich selbst den Zauber, den der Papyrus ausübte, verspürt hatte, wollte er auch seinem ehemaligen Wohltäter das gleiche Vergnügen gönnen, und so kam es – so seltsam es klingen mag –, dass Sir Basil sich über jene endlosen Schluchten von Zeit hinweg in diesen Traum vom Nil verliebte. Er suchte sein Zelt auf (das er aus seinem Riesensaal auf Lady Pru’s Anwesen, wie so vieles andere, nach Zypern übersiedelt und an einem nur ihm bekannten, nahezu unzugänglichen Ort in der Nähe der Festung Kantara aufgestellt hatte), entzündete zwei Fackeln, legte seine Kleidung ab und band sich das Magierkleid des früheren Tyrannen der Spiegelwelt um den Leib, das aus nichts weiter als einem Strick bestand. Er konzentrierte sich auf Henutsen, die er bereits leibhaftig vor sich zu sehen glaubte, ehe sie noch tatsächlich vor ihm stand, durch geheimnisvolle Kräfte hierhergezwungen.

SIR BASIL:
Du hast mir vor langer Zeit einen Eid geschworen, Zweite Gemahlin des Chufu…

Das waren eigentlich die Worte jenes geheimnisvollen Ägypters!

SIR BASIL:
… denn als ich dir weissagte, dass von des Pharaos Liebesschwüren über kurz oder lang nichts übrig sein würde, glaubtest du mir nicht. Als ich dir anbot, ihn zu behexen und solcherart wieder für dich einzunehmen, wolltest du meinen Preis nicht zahlen – nämlich dich mir hinzugeben. Jetzt, da du dich mit Chufus Missachtung abgefunden hast, stehe ich bereit, deine Leere zu füllen!

Da er seinen Körper nicht vor ihr verbarg (so hieß es im Papyrus, und so erlebte es Cheltenham), konnte Henutsen sein heißes, deutlich zum Ausdruck gebrachtes Verlangen sehen. Sie zögerte nicht einmal mehr. Sie nahm Kopf- und Schultertuch ab und löste den Gürtel ihres Schurzes, sodass dieser zu Boden glitt. Und sie legte sich zu dem, der sie mit seiner schwarzen Kunst an sich gezogen hatte.

Etwa zu jener Zeit begann ich mich zu fragen, ob Basil nicht vielleicht wirklich ziemlich verrückt war, selbst in meiner Begriffswelt, die im Outback geprägt worden war, wo man geneigt ist, mehr Dinge zwischen Himmel und Erde zu akzeptieren als in den Diskutierstuben abendländischer Bildungseliten. Jedenfalls beruhigte ich mich mit der Feststellung, der Baronet müsse, um seine Art Dasein führen zu können, sehr wohl irgendwie unzurechnungsfähig sein. Das zeigte sich besonders im persönlichen Kontakt mit ihm, bei dem man selbst jede Hemmung verlor – so verstand er es, jeden auch für die aberwitzigsten Projekte zu motivieren.

SIR BASIL:
Ich bin vielleicht ein wenig sonderbar, da mochte mein alter Freund Recht haben, möglicherweise überspannt oder sogar grotesk – aber das sind doch bloß Worte. Manche sagen bewundernd, ich sei extrem expeditiv, während andere wieder kritisch anmerken, ich kümmerte mich um Dinge, die mich nichts angingen. Manche finden mich umtriebig, andere wieder nennen mich zielstrebig, und viele aus beiden Lagern wissen meine Energie weidlich für ihre Zwecke zu nutzen. Vielleicht ist es ja bereits abnormal, all das zu sein, und vielleicht bedeutet es Wahnsinn, sich so weit vom Durchschnitt zu entfernen. Chicago und ich – wir hätten einander gar nicht kennengelernt und könnten schon gar nicht Freunde sein, wenn ich nicht der wäre, der ich bin.

Die übersinnlichen Kräfte, die dem Papyrus eigen waren und das Erscheinen der Henutsen bewirkten, blieben mir selbst über die weite Distanz, die mich von Basil trennte, nicht verborgen. Auf telepathische Weise verstand ich, warum Cheltenham sich bedingungs- und bedenkenlos auf dieses Abenteuer eingelassen hatte. Er war eben im Gegensatz zu mir, der die eine oder andere Gelegenheit verpasst hatte (als plakatives Beispiel erschien mir da stets Basils Frau Charlene, der ich auf der ersten Reise der NOSTRANIMA leichtfertig die kalte Schulter gezeigt hatte), keiner, der eine Chance ungenützt vorbeigehen ließ, besonders wenn sie exotisch war – und wer von uns konnte schon von sich behaupten, eine Pharaonenfrau gebumst zu haben, wenn auch nur in einer Art Trance?

Wahnsinnig oder nicht, allein der Gedanke an den Baronet ließ mich vor Sehnsucht nach unseren gemeinsamen Stunden vergehen, nach den Höhen des Sieges und Triumphes, die mich die Tiefen der Niederlage und der Blamage einfach vergessen ließen. Mein Drang, ihn zu sehen, ja ihm womöglich sogar auf ein neues Gefechtsfeld zu folgen, schob die Erinnerung an die Gefahren, die wir gemeinsam überstanden hatten, einfach beiseite.

Im entscheidenden Augenblick, als ich bereits über Mittel und Wege nachdachte, nach Zypern zu gelangen, rief mich die Walemira Talmai zu sich. Sie brauchte mich bloß anzusehen, und ich wusste wieder, wo mein Platz war.

„Du kannst dort nicht helfen, nichts für ihn tun!”, sagte sie: „Dein Freund hat eine Aufgabe übernommen, die er allein bewältigen muss. Dein Job hingegen ist es, für die materiellen Bedürfnisse unserer kleinen Kolonie zu sorgen, wie du es bisher bereits in so großartiger Weise getan hast.”

Das konnte sie laut sagen, denn was ich für sie und die anderen unseres Stammes geleistet hatte, übertraf bei weitem das, wozu ich verpflichtet gewesen wäre. Allein, wie ich mir das Vertrauen der betagten Lady Prudence Godalming erwarb und sie am Ende sogar veranlasste, mir ihre gesamte Habe zu übergeben, sodass wir am Ende einen britischen Herrensitz als Behausung sowie umfangreiche finanzielle Mittel zur Verfügung hatten, war ein Meisterstück! Allerdings erlebte Lady Pru, wie ich sie als ihr Butler nennen durfte, diesen Vorgang durchaus positiv, denn sie beteilte mich frohen Herzens als einen Sohn, den sie nie hatte: Schließlich nahm ich ihr alle lästigen Bürden des Alters einschließlich des ganzen Verwaltungskrams ab, und mehr noch – ich gab ihr das Gefühl, zu jemandem zu gehören, nachdem sie das ihr Leben lang vermisst hatte, vor allem seitens ihres Mannes, der sie weder als Person im Allgemeinen noch als Frau im Besonderen wahrgenommen hatte (wobei es sich als völlig belanglos erwies, dass der echte Typ eines Tages, ohne dass sie es merkte, durch seinen Doppelgänger aus dem Paralleluniversum ersetzt worden war).

„Genug jetzt!”, mahnte mich Berenice, die – was ich wie alle um sie herum immer wieder vergaß – meine Gedanken lesen konnte. Sie wies mich darauf hin, dass ich neben allen Verpflichtungen ohnehin genug Zeit hatte, wissenschaftlich zu arbeiten und damit meinen höheren Neigungen zu frönen. Ich sollte allerdings drauf achten, meine urtümlichen Triebe nicht, wie es hier im Westen Brauch geworden ist, zu sublimieren, sondern wenigstens von Zeit zu Zeit exzessiv auszuleben – denn dazu stellte sie mir ja ihre Dienerin zur Verfügung. „Wenn sie dir den Rücken zerkratzt, dir Haarbüschel ausreißt und dich in die Schulter beißt, als wollte sie sich einen Happen Fleisch genehmigen, während sie deinen Schwanz geradezu in sich einsaugt, dann schrei deine Lust hinaus, und hernach, wenn deine Erregung und die anschließende Erschöpfung abklingen, wirst du erst die besten Ideen haben, denn der wahre Intellekt kommt bei euch Männern aus den Hoden!”

Tatsächlich erfasste mich die Wucht ihrer Worte derart, dass ich mich entschuldigte und schnurstracks zu Idunis eilte, um von der allzeit Bereiten, die sich den von ihr so begehrten hellhäutigen Kerlen als fürchterlich schwarze Naturschönheit anbot, meinen Tribut zu fordern, indem sie mir auf der Stelle gab, was ihre Herrin mir in so plastischer Weise geschildert hatte.

[ 2 Zeilen Durchschuss ]

SIR BASIL:
Ich konnte mir gut vorstellen, dass Chicago mich vermisste, denn was geht schon über eine handfeste Beziehung zwischen Männern? Auch ich entbehrte unsere Diskussionen, die sich aus dem anfänglichen Belauern zu gepflegten Florettgefechten zwischen zwei Meistern der feinen Klinge entwickelt hatten, bei denen wir alle Register unseres Könnens zogen. „Awesome fantastic!“, bemerkte der Produzent Sid Bogdanych, als er uns einmal dabei Gesellschaft leistete – und sich weigerte, aktiv daran teilzunehmen, so groß war sein passiver Genuss.

Dass Cheltenham an mich dachte, erfuhr ich durch Lady Charlene – die offenbar wieder einmal in London weilte – und mir auftrags ihres Mannes durch einen Boten ein Paket mit dreifach ineinander geschachtelten Kassetten zukommen ließ. Mit Leichtigkeit öffnete ich die erste, bei der bloß zu erkennen war, dass der beiliegende Schlüssel zweimal links und einmal rechts umzudrehen war. Die zweite verlangte mit metallischer Stimme das Wort, das sich aus den Sinnsprüchen am Beginn des Duells von Oilell Guinevere zwischen Basil und dem Tyrannen der Spiegelwelt ergab: e-n-i-g-m-a, erinnerte ich mich, und damit sollte wohl verhindert werden, dass jemand Unbefugter an den Inhalt der Sendung herankam.

Die dritte Kassette schließlich trug eine Inschrift, die da lautete: Wenn du ehrlichen Sinnes behaupten kannst, der zu sein, für den ich bestimmt bin, dann übergib mich an Dr. Berenice W. Talmai, und sie wird mich für dich öffnen! So geschah es und ich ergriff gierig den darin liegenden ominösen Papyrus. Während Berenice mir lächelnd nachblickte, schloss ich mich in meinem Zimmer ein.

Und da stand sie auch schon vor mir: Henutsen, dieses Prachtweib, das an Hoheit den Vergleich mit unserer Schamanin nicht zu scheuen brauchte! Sie streckte den Arm aus mit herrschaftlicher Geste: „Auf die Knie, Nubier!”

Ich, der jeden Vergleich oder gar jede Verwechslung meiner Person mit Angehörigen anderer dunkelfarbiger Rassen immer energisch zurückgewiesen und bekämpft hatte, schwieg zu dieser Anrede, denn sie schien mir zu bedeuten, dass die Paraonenfrau sich aufgrund des Desinteresses ihres Gemahls zu jedem herablassen würde, und dass es ihr ein besonderer Nervenkitzel wäre, sich mit der niedersten sozialen Kategorie ihrer Gesellschaft einzulassen – und dass ich von diesem Umstand nur profitieren konnte, wenn ich nicht anfing, spitzfindig zu werden.

Ich wurde nicht enttäuscht.

208

Wie kommt es (ich frage euch immer wieder, wenn’s auch nervt), dass man in Euren Filmen viel weibliches Fleisch mit möglichst allen intimen Details sieht, aber niemals einen blanken männlichen Geschlechtsteil, selbst wenn ich ursprünglich einen ins Drehbuch hineingeschrieben habe?

DER GROSSE REGISSEUR:
Was mir gar nicht gefällt, ist dieser verkappte Selbstzensurvorwurf, so als seien Bogdanych, der Produzent, und ich nicht die unschuldigen Opfer von Verboten, sondern übten uns in vorauseilendem Gehorsam!

Falsche Antwort! Die Culture Snoopers von Washington suchen gar keine sexuellen Entgleisungen in den künstlerischen Hervorbringungen, sondern ausschließlich politisch missliebige Positionen!

DER GROSSE REGISSEUR:
Was also?

Ein Beispiel: Wir sehen Charlotte Ramp¬ling, die man ja nicht gerade als Pornostar bezeichnen kann, in ihrem berühmten Film „Swimming Pool” als Krimischreiberin Sarah Morton in der französischen Villa ihres Verlegers auf einem Bett hingestreckt, als sie – selbstverständlich völlig entblößt – versucht, das alternde Faktotum Marcel von seinem düsteren Verdacht abzubringen, sie und Julie, die Tochter des Hausherrn, hätten eine Leiche im Garten verscharrt. Man sieht, wie der Bursche sie berührt, und kann ahnen, dass sie sich ihm sogar hingibt, aber er und vor allem sein in dieser Situation wichtigstes Werkzeug werden nicht im Naturzustand gezeigt.

DER GROSSE REGISSEUR:
Wir haben das bereits oft genug durchgekaut: Kein männlicher Akteur außerhalb der X-rated Movies Community würde sich für derlei hergeben!

Hast vielleicht Recht – möglicherweise entsprang ja die ganze Szene auch nur der Vorstellungskraft der frustrierten Schriftstellerin, die plötzlich fand, sie solle niederschreiben, wie sie es der lasziven Julie gleichtat, nachdem sie einige Zeit naserümpfend deren lockeres Treiben, vor allem deren unbekümmerte Zurschaustellung ihrer Reize beobachtet hatte. Aber da sind wir beim springenden Punkt – indem François Ozon diese Sequenz tatsächlich filmt, transzendiert er Sarahs Fiktion in Charlottes Realität, denn diese muss sich vor der Crew und vor allem ihrem Partner Marc Fayolle echt nackt hinlegen, noch dazu so günstig, dass die Kamera an diesem vorbei zwischen ihre Beine blickt.

DER GROSSE REGISSEUR:
Die Realität unserer Branche, Darling! Die Figur Sarah will bloß beobachten und das Beobachtete zu Papier bringen, sie begnügt sich mit dem Teasing Process, spekuliert, was geschehen könnte – aber für die Darstellerin der Figur passiert es wirklich. Dem Darsteller des Marcel hingegen wird, was immer die Phantasie seiner Figur zuschreiben mag, nichts Vergleichbares zugemutet.

[ 2 Zeilen Durchschuss ]

Im Licht dieser Erkenntnis wird dir vielleicht das gefallen: Clio Alexandrine Andromède Annette Aphrodite von B. beschloss eines Tages, nachdem sie wieder einmal meditiert hatte, zu handeln. Sie kleidete sich an, woraus klar hervorgeht, dass sie am Beginn unserer Szene nackt war…

DER GROSSE REGISSEUR:
… und ich gehe doch davon aus: auch frisch gebadet und gesalbt!

All das – und sie streifte schwarze halterlose Strümpfe über ihre Beine, legte ein seidenglänzendes Korsett an…

DER GROSSE REGISSEUR:
Halt, nicht so hastig, lass uns das doch ein wenig genießen!

So rasch ging’s auch gar nicht, denn nun brauchte sie die Hilfe von Griseldis, der alten Zofe, die schon der Gräfin Geneviève seit deren Jugend gedient hatte…

PRODUZENT SID BOGDANYCH:
… in guten wie in schlechten Tagen, wie man sagt…

So ist es! Also noch einmal runter mit dem Korsett und das tolle Stück der bejahrten Dame anvertraut, die sich als Mädchen – zu der Zeit, als sie noch gehofft hatte, irgendein schneidiger junger Offizier würde sie wegheiraten aus dem Dienst bei B.s, aber da kam keiner, und das nicht vielleicht, weil sie in irgendeiner Weise hässlich oder von unangenehmen Gemüt gewesen wäre –, die sich also früher noch selbst täglich in so ein Ding eingeschnürt hatte, weil sie, wie es damals nicht abwegig war, dachte, sie würde Aufsehen erregen, wenn ihre Mitte mit zwei Spannen zu umrunden war. Kurzum, sie wusste, worum es ging, auch jetzt noch, da der edlen Gegenstand technisch gefälliger war als in jenen fernen Tagen, aber noch immer dazu diente, Körperteile zu betonen, die ober- und unterhalb der Einschnürung umso stärker hervortraten.

„Schon mich nicht!?, befahl Clio der Alten und hieß sie nach einem ersten Durchgang, als sich die Korsett-Architektur konsolidiert hatte, ein weiteres Mal die Fäden ziehen, diesmal noch etwas straffer, und der Erfolg konnte sich sehen lassen, wie sich auch am anerkennenden Grinsen der Zofe ablesen ließ. Diese führte die Komtesse vor den großen Ankleidespiegel, drehte sie hin und her, sodass man einmal die seitliche Silhouette sehen konnte, bei der sich der hervorquellende Busen und der sich mehr als sonst rundende Derrière abzeichnete, das andere Mal die Frontalansicht mit dem deutlich betonten Schultergürtel und der nunmehr äußerst akzentuierten Hüftpartie.

DER GROSSE REGISSEUR:
Ein Körper wie ein Stundenglas!

PRODUZENT SID BOGDANYCH:
(kann nichts sagen, da ihm das Wasser im Mund zusammenläuft)

Die Zofe, die wohl begriff, dass es aufs Ganze ging (und dabei hemmungslos ihren eigenen verschütteten Sehnsüchten freien Lauf ließ), schlug als Nächstes vor, das taillenlange Haar straff aus dem Gesicht zu kämmen und als französischen Zopf – gleich dem Schweif eines arabischen Vollbluts – zu flechten, verziert mit Ringen und Schleifen…

PRODUZENT SID BOGDANYCH:
… wobei vielleicht beide Frauen unausgesprochen, aber synchron daran dachten, dass jemand diese Rute ergreifen und deren Trägerin nach Belieben wie an einem Gängelband disziplinieren könnte. Besonders die Alte, stelle ich mir vor, wird in diesem Moment, in dem all das Verlorene in ihr hochkam, außer Rand und Band gewesen sein!

Sie eilte schnurstracks zur Gräfin, um sich beurlauben zu lassen (in jenem antiquierten Sinne, in dem die Herrin über Leib und Leben ihrem Subjekt gestattete, sich zu entfernen). Geneviève war’s durchaus Recht, dass die Tochter von der Zofe akkompagniert wurde, und trug dieser auf, ihr Auge und ihr Ohr vor Ort zu sein und ihr regelmäßig getreulich zu berichten. Griseldis, deren Name „Grauer Kampf” bedeutet und die daher quasi von Amts wegen dunkel gekleidet war, und die Komtesse, der sie einen schwarzen pelzverbrämten Umhang über all die Unkeuschheit geworfen hatte, ließen sich sodann zu Dirk von E.s Besitz chauffieren, der ja nicht weit vom B.’schen Anwesen entfernt war.

Das Schloss erstrahlte bereits von Ferne, lieblich gelegen an einem kleinen Flüsschen, das jenen Weiher speiste, an dem die Echwejchs ihr Spiel mit dem Freiherrn getrieben hatten. Alles schien prächtig in Schuss, ganz im Gegensatz dazu, was die beiden Besucherinnen früher darüber gehört hatten – eine romantische Kulisse, in die jene feuchten Träume gar nicht zu passen schienen, in denen Clio Dirk als Sinnestäuschung erschienen war und die sich nun anschickten, in gewisser Weise fassbar zu werden.

Das allerdings wusste der Freiherr noch nicht. Er stand in korrekter Haltung an der Freitreppe und blickte gespannt seinen Gästen entgegen, wie sie zu ihm emporstiegen. Er war allein, das hatten die beiden schon zuvor auskundschaften lassen, denn die nun folgende Inszenierung war bis ins letzte Detail geplant und sollte nicht durch irgendwelche unvorhergesehenen Umstände – ob diese nun Max Dobrowolny oder anders hießen – durcheinandergebracht werden.

Clio und ihre Begleiterin wurden weitergeführt, wobei sie mehr und mehr den neuen Reichtum bewundern konnten, der sie hier umgab. „Hier wohnt keiner”, flüsterte Griseldis, „der noch fürderhin darauf angewiesen wäre, reich zu heiraten!” Und die Komtesse war es mehr als zufrieden, denn nun schien klar, dass man direkt zum Wesentlichen vordringen konnte…

PRODUZENT SID BOGDANYCH:
Sir Basil Cheltenham würde eine Braue hochziehen und sagen: „Now it’s to bring out the best in it!”

Aber die Komtesse legte keinen Wert darauf, in diesem Moment an den Baronet erinnert zu werden. Sie fixierte Dirk, während dieser förmlich und ein wenig hölzern sagte: „Ich freue mich, dass du am Ende den Weg zu mir gefunden hast!” – was nicht ganz stimmte, denn wie er seinem Freund Max bereits vor einer geraumen Weile anvertraut hatte, war für ihn dieses Kapitel eigentlich abgeschlossen.

DER GROSSE REGISSEUR:
Was aber auch daran liegen mochte, dass er sich – nachdem die sexuell hyperaktiven Schwanenwesen ihn in bisher völlig unbekannte Praktiken eingeführt hatten – unbekümmert auf die neuartige Erfahrung einer homoerotischen Neigung zu Dobrowolny einließ…

PRODUZENT SID BOGDANYCH:
… obwohl ihm, wie wir mittlerweile wissen, sehr bald klar wurde, dass Max sich keineswegs nur auf die literarisch-romantische Ebene mit einigen spontanen Umarmungen und oberflächlichen Küssen im fliederfarbenen Licht eines Sonnenuntergangs beschränken wollte, sondern seinen Freund, wenn es eine seiner erratischen Stimmungslagen forderte, durchaus auch physisch so richtig ’rannahm.

Da keine Antwort auf seine Begrüßung folgte, stand der Freiherr nun unschlüssig da. Mehr als sonst machte er den Eindruck eines unzufriedenen Riesenbabys, worüber sich Clio und Griseldis nicht genug verwundern konnten, denn bis dato hatten sie ja noch nicht Gelegenheit gehabt, ihn derart aus der Nähe zu sehen.

In der Stille, die sich verbreitet hatte – und die allein Dirk peinlich zu sein schien (was wohl seine Mutter ihm Unschönes über sein plumpes Verhalten an den Kopf geworfen hätte?) – schweiften die Gedanken der Zofe in die Vergangenheit: Sie sah sich noch einmal mit der zwanzigjährigen Geneviève ausreiten, und wie sie selbst, damals immerhin schon doppelt so alt, mithalten musste bei deren wildem Galopp, weit ins Land hinaus, allerdings niemals an die Plätze, die dem alten Grafen für die skandalösen Schäferstündchen mit seiner Tochter vorbehalten waren. Sie erlag noch einmal der Illusion, die Standesunterschiede würden im Schweiß dieser Aktionen, in aufgelösten Frisuren und aufgesprungenen Blusen verschwinden, erlebte aber im Geist erneut, wie ihre Herrin sie niemals körperlich an sich heranließ. Dafür lieferte Geneviève ihre Domestikin eiskalt ihrem erlauchten Vater aus, wenn sie einmal partout keine Lust hatte, ihm selbst zu Willen zu sein.

Ein schroffer Befehl Clios holte Griseldis abrupt in die Gegenwart zurück. Sie erhielt einen Wink, den Umhang fortzunehmen, worauf die Komtesse sich ungeniert dem Freiherrn zeigte, um – wie es der Zweck dieses Besuches war – ihrer beider Beziehung zu beschleunigen. Griseldis wollte sich diskret entfernen, doch ein Blick von Clio nagelte sie fest. Sie be¬griff, dass sie hier als eine Art paradoxer Anstandsdame gebraucht wurde: nicht um etwas zu verhindern, sondern um geradezu bezeugen zu können, dass es passierte.

Angesichts dessen, was sich ihm bot, machte es Klick! in Dirks Kopf, und all das Unbeholfene fiel von ihm ab: Übergangslos wurde er zum Helden seiner Utopie. Damit kam er zurecht – eine gut zugerittene und perfekt aufgezäumte Stute, die seine Reitkunst herausforderte!

Vor ihm stand ein neues Sternbild, eines, das ihm allein gehörte und das er sich – nun unverzüglich – anschickte, in Besitz zu nehmen, gleich hier auf dem Teppich, in der sogenannten Salle d’Armes, mitten im Stammhaus seines erhabenen Geschlechts.

[ Grafik 208 ]

209

Natürlich war das Protokoll, das mein früherer Freund Ikqyku Diaxu hier auf VIÈVE über die gehetzte Aussage des königlichen Leibwächters anfertigte, mit ihm und allem, was mit dem Paralleluniversum zu tun hatte, verschwunden, aber ich besaß eine Abschrift davon, die für Rejchwejch und mich, die einzigen Überlebenden des Echwejch-Massakers, eine wichtige moralische Stütze bedeutete. Ob man nun die Deutung der Ereignisse durch den Gardisten akzeptierte (derzufolge ein Wesen namens Niun-Meoa die kriminellen kosmischen Aktionen unseres Volkes initiiert habe) oder für diese Umtriebe, wie wir beide es taten, unsere Priesterklasse mit ihrem unersättlichen Hunger nach Menschenopfern verantwortlich machte – das Desaster der Echwejchs war eine direkte Folge der völlig unsinnigen und ungerechtfertigten Aggression, die wir mit unseren Schiffen ins All vorgetragen haben. Das klar zu erkennen, zusammen mit der Tatsache, dass wir beide persönlich an keinerlei Gräueltaten beteiligt gewesen waren, verhalf Rejchwejch und mir zu einem Weiterleben in Würde auf der Station.

NIUN-MEOA:
(kann sich aufgrund ?s besonderer Ausstattung mühelos in Pachwajchs Überlegungen einklinken) Sie wollen es durchaus nicht wahrhaben: weder dass ich existiere, noch dass ich der tatsächliche Motor der Ereignisse war. Dabei – verstehen kann ich die Zweifel meiner Echwejchs an mir schon, denn schließlich habe ich immer nur Dinge ausgelöst, nach denen mir gerade war, aber niemals erhörte ich irgendwelche Gebete, selbst dann nicht, wenn es in meiner Macht gelegen wäre, korrigierend einzugreifen.

Glaubst du, dass es Niun-Meoa doch gibt? fragte ich Rejchwejch – einen wirklich hübschen Jungen übrigens mit seinem zarten reichhaltigen Federkleid, da musste ich dieser Gila Graven, die ja nun offenbar auch in die andere Realität zurückkatapultiert worden war, schon Recht geben. Abgesehen davon hatten er und ich jetzt genug Abstand vom Entsetzen gewonnen und fühlten, wie die für unsere Rasse sprichwörtliche sexuelle Energie zurückkehrte. Was lag also näher, dass wir es wieder mit der gleichen Intensität miteinander trieben, wie wir es von früher gewohnt waren, allerdings in einer für unsere Art eigentlich untypischen Monogamie. Wir waren sehr auf unseren Ruf bedacht, und wenn die Leute auf VIÈVE, allen voran die Königin, die uns trotz ihrer negativen Echwejch-Erfahrungen richtig ins Herz geschlossen hatten, uns so turteln sahen, pflegten sie zu sagen: „Da wird es ja bald wieder einige Echwejchs mehr geben, so wie die beiden ‚rangehen!” Und das war nebenbei bemerkt tatsächlich unsere Absicht…

„Natürlich gibt es ?!”, antwortete mein Gefährte leise, während ich mit ihm in der Meereslandschaft schwamm, die der nunmehr in die Spiegelwelt entrückte König seiner Gemahlin dereinst zum Geschenk gemacht hatte. Anders als er erlaubte uns Mango Berenga die Benützung auch dieser Fazilität der Station, und wir wussten das wahrhaft zu schätzen – närrisch nach Wasser, wie wir waren, und das nicht nur, weil dies ein wesentliches Element unseres Herkunftsplaneten war, sondern weil es uns darüberhinaus enorm erotisierte.

NIUN-MEOA:
Diesen Cheltenham und diesen Chicago, die sich selbst offenbar für die Ausgebufftesten aller Erdlinge hielten, hatten die Echwejchs mühelos ausgeschaltet – das befriedigte mich noch heute. Dass mein Volk am Ende dennoch massakriert wurde, lag an einem femininen Exemplar jener Spezies, das viel gefährlicher war als die Männer, namentlich durch die nahezu unbezwingbare Waffe, die es sich mit seiner Androidentruppe geschaffen hatte. Das bedrohliche Potential des weiblichen Geschlechts hatte ich zuvor auch schon bei anderen dreidimensionalen Biohumanoiden beobachtet, nicht zuletzt bei den Schwanenmenschen selbst, und es schien mir dieses Phänomen bei genauerer Analyse jedenfalls mit einer gegenüber den maskulinen Entitäten intensiveren Wahrnehmungsleistung zusammenzuhängen. Je mehr ich mich damit beschäftigte, desto stärker verunsicherte mich dieser Tatbestand. Plötzlich fühlte ich mich gezwungen, meine eigene Existenz zu relativieren, die ich bis jetzt geradewegs im Vollgefühl meiner vierdimensional fundierten Überlegenheit geführt hatte. Nun zeigte sich allerdings, dass es auch für mich, der ich mich als wahres Über-Ich der 3D-Wesen sah, Grenzen gab. Vor allem eine Frage, von der ich mir bis jetzt hatte nichts träumen lassen – nämlich ob ich selbst denn männlich oder weiblich wäre – konnte ich nicht beantworten. Bis jetzt war mir bloß klar, dass ich nicht asexuell bin, sondern meine Sexualität komplexer ist als die anderer Wesen.

Rejchwejch wusste über diesen Niun-Meoa offenbar bedeutend besser Bescheid als ich und erklärte das höchst plausibel damit, dass er als Pilot des Flaggschiffs der Echwejch-Flotte sehr genau Augen und Ohren offengehalten hatte, wenn Machwajch, die Gebieterin des Schwanenreiches in seinem Beisein irgendwelche Zeremonien abhielt oder sich mit ihren wichtigsten Beraterinnen und Beratern austauschte. Ihm zufolge hatte sich Niun-Meoa für lange Zeit damit begnügt, in der nächstniedrigeren Dimensionalität seine Vorzugsstellung auszuleben, indem er sich gleich einem menschlichen Maler, der auf seinem flächigen Skizzenblock ungehindert zeichnet und verändert, an 3D-Objekten zu schaffen machte, und dabei waren sogar spektakuläre Dinge passiert wie die genetische Manipulation unserer Schwanenpopulation auf dem Planeten Amnor, durch die wir ad hoc – ohne jede Evolution – zu einer neuen intelligenten Rasse wurden.

Aus heutiger Sicht musste man allerdings einräumen, dass es sich dabei alles in allem um den Spleen eines technisch gut ausgerüsteten Müßiggängers gehandelt hatte. Selbst als wir – das plötzlich so klug gewordene Geflügel – komplexe soziale und kulturelle Strukturen aus dem Boden stampften, geschah dies im Einklang mit den Vorstellungen des vierdimensionalen Versuchsleiters: die Einrichtung einer Klerikerkaste, deren Anführer als einziger seines Volkes den Vorzug besaß, mit Niun-Meoa direkt kommunizieren zu dürfen, in dem Wissen, wer ? wirklich war, während er die übrigen in dem Glauben lassen musste, es mit einem – im metaphysischen Sinn – echten höheren Wesen zu tun zu haben; die Einsetzung einer Herrscherdynastie in der Nachfolge des armen Hejchwejch, der bei Niun-Meoas ersten Experimenten sein Leben verloren hatte, aber das auf diese Weise künstlich erzeugte Gen bereits an seine Nachkommen vererbte (an denen es bekanntlich wegen der erheblichen Promiskuität der Echwejchs niemals mangelte); und schließlich die Verpflichtung des jeweiligen Hohenpriesters, die peinlich genau vorgeschriebene Machtübergabe von einem Monarchen an den nächsten zu überwachen, denn nur durch einen bestimmten Inaugurationsritus wurde der Herrscher auf Basis jenes virtuellen Erbfaktors zum neuronalen Empfänger für ?s Anordnungen.

NIUN-MEOA:
Alles, was ich befahl, war für mich de facto Teil eines großen Spiels: all diese Eroberungen mit den zuerst sexuellen, später aber gewalttätigen Übergriffen in den besetzten Territorien; und die Menschenopfer – lediglich eine Verbrämung der religiösen Dogmen, um die Gläubigen möglichst intensiv bei der Stange zu halten. Im Grunde war das alles eigentlich eine Verschwendung meines 4D-Status, dachte ich oftmals bei mir, aber ich suggerierte ihnen von diesem Standpunkt aus, dass Opfer gebracht werden mussten im Sinn ihres weiteren Fortkommens. Denn es war nicht meine Wirklichkeit, die ich da verkaufte, sondern ich beobachtete diese Geschehnisse, wie ein Mensch Pornografie betrachtet, nicht involviert als handelnde, sondern allenfalls als sekundär entflammte Person.

Zur nicht geringen Überraschung Niun-Meoas war so manche Spezies, auf die ?s Echwejchs trafen – so auch diese Erdlinge, wie ? sie abfällig nannte –, bereits weiter weg von ihrem biologischen Ursprung und deshalb generell mit einem besseren Abstraktionsvermögen ausgestattet. Was ich in meinem seinerzeitigen Vortrag in Mangos Akademie als rückschrittlich kritisiert hatte (den Mangel an Selbstliebe und Selbstachtung, die fehlende autonome Liebesfähigkeit, aber auch das Defizit an permanent fortgesetzten Liebeserfahrungen bei meinen menschlichen Geschlechtsgenossinnen), konnte natürlich bei näherer Betrachtungsweise genauso gut als Preis für eine verstärkte intellektuelle Steuerung des Daseins und in engem Zusammenhang damit für eine ausgeprägte Fähigkeit zur Sublimation verstanden werden.

NIUN-MEOA:
Was ich selbst völlig vernachlässigt hatte, war bei jenen Erdenbewohnern, ihren Pendants aus der Spiegelwelt und natürlich auch bei vielen auf VIÈVE zur geläufigen Übung geworden, die insbesondere die weibliche Sorte intensiv pflegte: dass jemandes direkte Wahrnehmung einer – also vor allem seiner eigenen – Dimensionalität nur dann erfolgreich sein kann, wenn mindestens in Ansätzen eine Sichtweise der nächsthöheren Dimension entwickelt wird. Das Bewusstsein jener 3D-Leute war erkennbar offen für das, was sich jenseits der dritten Dimension befand. So konnten sie zum Beispiel in Gedanken über große Zeiträume springen, und auf Basis dieser vorerst blanken Phantasie schafften manche von ihnen in weiterer Folge die praktische Verwirklichung dieser Phänomene durch technische oder auch parapsychologische Mittel ihres Niveaus. Kurz gesagt: Sie schauten ehrgeizig nach oben – während ich überheblich nach unten schaute! Ihr Vermögen, sich dem ihnen Übergeordneten zu öffnen, war von ganz anderer Qualität als meine Dimensionalitätspfade, denn ich meinerseits hatte mich bis dahin nie mit Räumen größer 4 beschäftigt!

Als Rejchwejch und ich wieder zurück in unserem Quartier waren, in dem klarerweise nach unseren Bedürfnissen das große Bett dominierte, und als ich ihn noch tief in mir spürte, nachdem wir uns wie von Sinnen aufeinander gestürzt hatten, meinte ich, die Gelegenheit sei günstig für eine Frage, die mein Geliebter vermutlich als äußerst heikel empfinden würde: Was wohl nach Machwajchs Tod und dem Ende ihrer Dynastie zuhause auf Amnor geschehen sei – ob die dort Zurückgebliebenen diese Zäsur unserer Geschichte bereits mitbekommen hätten und ob wohl schon irgendwelche Auswirkungen des Desasters zu erkennen wären.

NIUN-MEOA:
Natürlich könnte ich es sie wissen lassen, aber wozu sollte das gut sein? Ihr Freund, der ihr gerade abriet, irgendwelche Gedanken an Amnor zu verschwenden und sich lieber mit ihrem endgültigen Verbleib auf VIÈVE zu arrangieren, hatte ganz Recht. Und was die eigentliche Frage Pachwajchs betrifft: Selbstverständlich kriegte der Hohepriester der Echwejchs mit, dass etwas Außergewöhnliches passiert sein musste, was seine gesamte Situation und die seiner Pfaffen-Clique, die wie immer erwartungsvoll auf ihn blickte, über den Haufen warf. Er flehte mich um Aufklärung an, um Abhilfe auch, wenn nötig, aber ich stellte mich taub, erhörte ihn nicht: Ich hatte eigentlich bereits seit geraumer Zeit nur mehr wenig Interesse an dem Geflügel (so redete ich es mir jedenfalls ein und übertünchte damit den bitteren Nachgeschmack der Niederlage, die ich mit diesem untüchtigen Volk erlitten hatte). Dass sie allein, will sagen ohne meine ständigen Anstöße nichts weiterbrachten, zeigte sich jetzt ziemlich rasch. Die Echwejchs auf Amnor lebten – anders als die auf VIÈVE – ihre sexuelle Energie nicht mehr aus, sie taten überhaupt nur noch das Nötigste. Die Weltraumfahrt gaben sie auf, und weil dadurch zugleich der Nachschub für Menschenopfer versiegte, wurden auch die von mir vorgeschriebenen Riten nicht mehr vollzogen. Selbst die Priesterklasse hatte ihren Glauben verloren und vegetierte nur mehr dahin, genau wie die Übrigen.

Könnte es sein, fragte ich Rejchwejch, dass wir die einzigen verbliebenen Echwejchs sind, somit jenes Paar, das exklusiv für den Fortbestand unserer Rasse verantwortlich ist? Statt einer Antwort machte er sich daran, dieses Ziel zu verwirklichen: Die Männer unseres Volkes zeugen ja bewusst, und die Frauen spüren unmittelbar, dass sie schwanger sind.

210

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
DDD und ich begannen vorsichtig, unsere Zelte in Wien abzubauen. Die Ereignisse rund um die Gründung der Föderation hatten sich dermaßen beschleunigt, dass es höchste Zeit schien, zu Sir Basil, den Fidschi und ich im Funkverkehr PRIME nannten, zu übersiedeln – natürlich mit dem Hintergedanken, im Zentrum des Cheltenham-Reiches den Anschluss nicht zu verpassen. Ich wartete praktisch nur noch auf die Ergebnisse der afrikanischen Reise meines ehemaligen Schulfreundes: Um die Kommunikation mit ihm aufrechtzuerhalten, schien es mir opportun, noch einige Zeit, maximal aber vielleicht drei Wochen alles so zu lassen, wie es war – abgesichert durch die technischen Mittel des Heeresnachrichtenamtes, vor allem durch den Unbreakable Code, über den es in meinem selbst verfassten Handbuch heißt: Zwei Personen, die Geheimbotschaften austauschen wollen, müssen eine unabhängige Quelle echter Random-Zahlen benützen, die eine solche Fülle über so lange Zeiträume ausstrahlt, dass kein Lauscher alles vollständig genug aufzeichnen kann, um genau jenes Zeitintervall, das für die Übermittlung der echten Botschaft erforderlich ist, abdecken und mit eindeutiger Sicherheit identifizieren zu können. Der erste Schritt besteht darin, dass Sender und Empfänger einer konkreten Botschaft zu einem bestimmten, möglichst lange davor vereinbarten Zeitpunkt eine Folge dieser Random-Zahlen aufzeichnen. Der Sender benützt diese Folge nun, um die Meldung zu chiffrieren, der Empfänger, um sie zu dechiffrieren, beides mit einem vorarrangierten Code, der Buchstaben in Zahlen umwandelt und vice versa. Selbst wenn es dem Lauscher aus irgendeinem Grund gelungen wäre, diesen Code zu knacken, wüsste er noch immer nicht, welche Zahlen er konvertieren müsste, um die Botschaft zu entziffern.

Verschlüsselter Funkspruch
FIDSCHI an BIG NUGGET
Zeit: t + 6, neunzehnhundert-50
Grenztriangel DZ / LY / NE
Im afrikanischen Teil meiner Reise habe ich rund 1250 km zurückgelegt, vom Beginn des tunesisch-libyschen Limes am Mittelmeer bis hierher an das Dreiländereck Algerien / Libyen / Niger. Abgesehen vom Küstenstreifen und der anschließenden Steppe, in der man noch ab und zu Hirten mit ihren Schafherden sichtete, führte der Weg durch verschiedenartige, weitgehend menschenleere Wüstengebiete. Die ersten paar Kilometer musste ich mangels eines geeigneten fahrbaren Untersatzes zu Fuß zurücklegen, denn von den avisierten Gewährsleuten aus Tunis fehlte jede Spur. Da aber machte sich Khalid von der anderen Seite bemerkbar und lud mich ein, in seinem Wüstentruck mitzufahren, und ich willigte mit Freuden ein. Der Trennlinie zwischen den beiden Großmächten wurde hier zu unserer nicht geringen Überraschung in keiner Weise kontrolliert, und wie mein neuer Gefährte mir erklärte, konnte man ihrem Verlauf von jetzt an ohnehin nur ungefähr folgen, vor allem mit Rücksicht auf die Bodenverhältnisse, die nicht überall ein Durchkommen ermöglichten.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
War das die Möglichkeit – da lief offensichtlich einiges anders als geplant! Dabei ärgerte mich ehrlich gesagt, die Unzuverlässigkeit Faouzi Hassinis, mit der ohnehin zu rechnen gewesen war, noch weniger als die Tatsache, dass Sir Basil mir bloß die Rolle des Wasserträgers zugedacht zu haben schien, die eines Briefkastens für die Zwei, die ja anscheinend bereits ein Herz und eine Seele waren und damit das Zusammenwachsen der einzelnen CORRIDOR-Territorien antizipierten? Im ersten Zorn beschloss ich, PRIME zur Rede zu stellen, aber abgesehen davon, wie schwierig das in der gegebenen Situation gewesen wäre, dämmerte mir gleich danach die Erkenntnis, dass meine Position gegenüber dem Baronet bereits vor langem festgelegt worden war, und zwar nicht durch mich, sondern durch ihn – oder, wenn schon durch mich, dann indirekt durch meine latente Passivität, die anderen immer wieder sehr viel Spielraum ließ, jedenfalls einer so fordernden Persönlichkeit wie Cheltenham. Abgesehen davon fühlte ich mich, als ich nach langen Jahren endlich mit mir ins Reine gekommen war, gar nicht unwohl mit mir selbst: Wie es meinem Sternzeichen, dem Krebs, entsprach, überwog das kontemplative Element meines Wesens das heroische bei weitem, und ich fuhr gut damit, auch privat – lieber der permanente Hauch von Tristesse einer kontrollierten Beziehung als das Himmelhoch-jauch¬zend-zu-Tode-betrübt einer exzessiven Liaison. Bei DDD war es heute möglich, sie zu dominieren und gerade deshalb eine gewisse Distanz zu wahren, denn das traf sich augenscheinlich mit ihren eigenen Intentionen. Was aber wäre damals geschehen, hätte ich Sexy Hexy mehr als nur von fern begehrt?

Verschlüsselter Funkspruch
FIDSCHI an BIG NUGGET
Zeit: t + 13, einundzwanzighundert-25
Grenztriangel DZ / NE / ML

Ich hatte ja gar keine Ahnung, dass dieses Weib dir bis heute nicht aus dem Sinn geht! Also ehrlich, da habe ich einen ganz anderen Ansatz: Bevor mir so eine Tussi mein halbes Leben im Hinterkopf herumgeistert, lege ich sie lieber flach (und ich habe keine getroffen, die sich verweigert hätte, wenn man ihr ernsthaft klar macht, dass man sie will) – und dann Cheerio! Was wäre denn, wenn ich der Kleinen nicht an den Muttermund gefasst hätte? Bar dieses Erlebnisses gäbe es in meiner Erinnerung nur das Bild ihres süßen Lärvchens als eines von vielen, aber auf der anderen Seite – wenn ich bei ihr hängen geblieben wäre – hätte sie statt der Gestalt jener einzigartigen Erfahrung eine von lähmender Routine angenommen. Übrigens: Khalid an meiner Seite lächelt versonnen, als könne er meine Gedanken lesen – bei ihm habe ich gelernt, dass diese Araber fast ständig irgendwelchen lasziven Phantasien nachhängen, dass sie aber auch gründlich darauf vorbereitet werden: „Meine Mutter”, erzählt er, „langweilte sich üblicherweise elend, weil ihr Ehemann entweder in irgendwelchen Geschäften unterwegs war oder mit Freunden in einem ???? beim Mokka oder einem ???? bei den Bauchtänzerinnen herumhing und kein Ende fand. Da ergab es sich von selbst, dass ich abends von der Seite, von der normalerweise der Vater sich nähern sollte, unter die Laken schlüpfte und diesen üppigen weißen Leib zu erkunden begann. Fingerfertigkeit war sehr gefragt, zumal mein eigentlich dafür vorgesehenes Instrument noch nicht seine vollen Funktionen entfalten konnte. Da war es ganz selbstverständlich und alltäglich für mich, bis ins Innerste vorzudringen, und ich schmeichelte dem Objekt meiner Wollust mit poetischen Worten, nannte es Umm al Assa´ada, Mutter des Glücks.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Die Burschen hatten unzweifelhaft zu wenig zu tun, wurden offenbar in dem ziemlich unwegsamen Gelände in ihrem Truck noch nicht genug durchgerüttelt, sodass ihnen noch immer Zeit blieb, irgendwelche Ausschweifungen zu memorieren.

Verschlüsselter Funkspruch
FIDSCHI an BIG NUGGET
Zeit: t + 18, zweiundzwanzighundert-50
Grenztriangel ML / NE / BF
Khalid war, wie er mir heute am Lagerfeuer erzählte, von Ahmed Al-Qafr angeworben worden (den wiederum PRIME gebeten hatte, einen geeigneten Mann zu finden, der ihm auch später verlässlich zur Verfügung stünde)…

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Ich wusste es!

… und er hatte mich bereits zu Anfang unserer afrikanischen Mission auf einer Düne liegend mit dem Fernglas beobachtet. Seinen Vorschlag, gemeinsam zu reisen, begründete er vor allem damit, dass in der Öde in diesem Abschnitt des Limes kaum Zwischenfälle zu erwarten waren, da wir keinerlei Truppenverbände Amerikas oder Chinas ausmachen konnten – dass diese sich bereits auf ihre neuen Stellungen zurückgezogen hatten (da der offizielle Start von CORRIDOR schon erfolgt war), hatte niemand der Rede wert gefunden, uns mitzuteilen.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Was an der Mission der beiden übrigens nicht das Geringste änderte, denn was PRIME wollte, war ein Lagebericht von größter Aktualität.

Ich zierte mich nicht lange, und ich bereute meine Entscheidung nicht. Gerade auf der Etappe, die uns über 750 km hierher an das Dreiländereck Mali / Niger / Burkina Faso geführt hat, quer durch diese bizarre Landschaft, in der man sich nichts mehr wünscht, als auf die Spur auch nur irgendeines Lebewesens zu treffen (und wenn es gleich feindlich gesinnte Soldaten des Amerikanischen oder des Chinesischen Imperiums gewesen wären), wusste ich es zu schätzen, nicht allein zu sein: Eine ganz ungewöhnliche Empfindung für mich, der immer geglaubt hat, er sei sich selbst genug, und jeder andere, der bei ihm eintreten darf, gleich welchen Geschlechts, habe einen hohen Preis dafür zu bezahlen, sprich einen wertvollen Teil von sich selbst herauszurücken ohne Gegenleistung. Khalid hingegen, das Leben im Rudel gewöhnt, schien es ganz selbstverständlich zu finden, sich in dieser Situation an mir festzuhalten. Abends, als wir den Truck im Azaouak genannten Trockental, das inmitten von Sand- und Kieswüsten liegt, abgestellt hatten, fühlten wir uns sternenweit von allem und jedem entfernt, aber dennoch ließ uns das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Wir vermieden es daher, wie sonst im Fahrzeug zu übernachten, um nicht die perfekte Zielscheibe abzugeben, sondern zogen uns mit unseren Decken in eine Felsspalte am nördlichen Abhang des Tals zurück. Und dort, mitten in der kältesten Nacht, als wir ohnehin kein Auge zumachen konnten, schliefen wir dann das erste Mal miteinander: „??? ?????, ??? ???????”, sagte Khalid schlicht, „Du bist der Mann, ich bin die Frau.”

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Mir platzte fast der Kragen! Würden diese zwei Wursteln noch irgendwann irgendetwas Zweckdienliches liefern, das man Sir Basil guten Gewissens übermitteln konnte, ohne selbst von ihm füsiliert zu werden? Ich beschloss allerdings, fürs Erste abzuwarten – ein wenig Neugier, wie es wohl weiterging, war natürlich auch dabei.

Im Mondlicht erschienen mir Khalids Lippen, die er mir zum Kuss bot, besonders sinnlich, und ich verbiss mich mit Leidenschaft darin, wobei nicht wenig der Wunsch mitschwang, alles um mich herum vergessen zu können. Als mein Partner sich umwandte und mir seinen blanken Arsch hinstreckte, dachte ich zunächst: Der macht das nicht zum ersten Mal, anders als ich! Aber in seiner Nähe schien es mir, als hätte ich nie anders verkehrt, so sehr vermittelte er mir wortlos, was genau ich tun musste, um ihm und mir Befriedigung zu erweisen. Gegen Morgen fielen wir dann gemeinsam in einen tiefen Schlaf, und so fügte es sich, dass wir nackt dalagen, als die Sonne schon sehr hoch stand und uns die Haut zu versengen begann.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Ich will nicht behaupten, dass mich das kalt ließ, aber ich erschauderte eher nicht in einem direkt sexuellen Sinn, sondern war quasi ästhetisch ergriffen: Zwei schöne Körper sah ich vor mir, jeder auf seine Weise einem Ideal nahe – der eine muskulös und durchtrainiert, der andere weich und von runderen Formen, ohne deshalb dezidiert unmännlich zu sein. Wie sich zeigte, gab es noch jemanden, der das Gleiche wie ich in dieser Szene erblickte.

Plötzlich erwachten wir, von unseren Instinkten alarmiert. Ein älterer, konservativ gekleideter Herr stand vor uns, ausgerüstet mit Skizzenblock und Bleistiftfutteral, sodass man geneigt war, an eine Fata Morgana zu glauben. „Boa manhã, Cavalheiros, darf ich mir vielleicht erlauben, sie zu zeichnen? Gestatten Sie aber zunächst, mich vorzustellen – Arminduo Emniunao.”

Selbstverständlich wollten wir uns, ohne ihn auch nur einer Antwort würdigten, voneinander lösen – denn es war deutlich zu merken, dass unsere noch immer bestehende körperliche Verquickung seine besondere Aufmerksamkeit fand –, wollten nichts anderes als in unsere Klamotten fahren und, wenn nötig ohne Frühstück, abhauen. Aber der seltsame Besucher bedeutete uns gestenreich, so zu verharren, wie wir waren: „Por favor, Senhores, ich würde es präferieren, Sie so abzubilden, wie Sie jetzt sind, como Adam e Evo! Und wenn ich mit meiner Zeichnung fertig bin und Sie sich wieder anziehen können, darf ich Sie zu einem Almoço Pequeno einladen in mein bescheidenes Zelt, das ich dort oberhalb aufgeschlagen habe.”

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Zum Teufel – diese beiden Idioten hatten in aller Ruhe übernachtet, ohne die Umgebung zu sichern! Wie Anfänger hatten sie auf die Anzeichen der Bedrohung unzulänglich reagiert und damit ihre ganze Mission aufs Spiel gesetzt!

Wir weigerten uns selbstverständlich, diesem Typen als Schauobjekte zu dienen, aber obwohl er unbewaffnet schien, hielt uns etwas davon ab, einfach unserer Wege zu gehen – und dieser Emniunao formulierte es auch gleich: „Freilich, wenn Sie selbst Ihre Körper nicht perfekt finden und sich genieren…” Davon konnte aber nun wirklich keine Rede sein, dachten Khalid und ich im Vollgefühl der nächtens durchlebten Ekstase, und wir posierten für ihn, provokanter noch als vorhin, denn eins hatten wir gut verstanden: dass hier ein Garten Eden gezeigt werden sollte, in dem als erste Menschen statt eines Hetero-Paares zwei Männer das taten, was ein leicht variierter Schöpfungsplan von ihnen verlangte.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Schließlich, man glaubt es kaum, kam sogar noch eine zweckdienlich verwertbare Meldung, wenn sie auch sehr knapp und kursorisch gehalten war.

Verschlüsselter Funkspruch
FIDSCHI an BIG NUGGET
Zeit: t + 22, dreiundzwanzighundert-50
Grenze Côte d’Ivoire / Ghana am Golf von Guinea
Wie bereits am Ende unserer asiatischen Reise berichte ich entsprechend den Instruktionen, die Khalid erhalten hat, für uns beide. Auf zwei Dritteln des afrikanischen Limes konnten wir keinerlei bevölkerungsspezifische Probleme erkennen, da die Gebiete links und rechts davon menschenleer oder allenfalls dünn besiedelt waren. Hier muss man vielmehr überlegen, wie man die Voraussetzungen für regelmäßige und effiziente Patrouillen schaffen kann, um dieses Niemandsland überhaupt mit Präsenz zu füllen. Für die letzten 1500 km wiederum gilt im Prinzip das Gleiche, was zum asiatischen Limes zu sagen war: Die Grenzgebiete des südlichen Mali und der Côte d’Ivoire, Burkina Fasos und Ghanas sind von bitterer Armut geprägt, die Bewohner zeigen sich ohne Hoffnung und frustriert, was aber immerhin die Chance eröffnet, dass man die Leute mit viel Geld auf seine Seite zu ziehen vermag. Für diese Motivationskampagne könnte man die sogenannten Randstaatenvertreter mobilisieren, und zwar jene, die du bereits kennst, aber auch die von der anderen Seite, denn die gibt es laut Khalid ja auch.

FRANZ-JOSEF KLOYBER:
Wirklich zwei ganz schlaue Bürscherln! Hoffentlich wurden sie mir nicht eines Tages zu schlau…